asphalt festival düsseldorf:
bodytalk und das Polski Teatr Tańca überzeugen mit
„Romeos & Julias unplagued“
von Steffen Georgi
Shakespeare war ein Genie der großen letzten Abgänge:„A plague on both your houses!/ They have made worm´s meat of me!“ wütet da der tödlich verwundete Mercutio, Blut und Galle spuckend. Und ist doch bekanntermaßen nur eins der Opfer in „Romeo und Julia“.
In Shakespeares berühmten Stück gehört die Liebe exklusiv der Jugend – und der Tod ebenso: „In Romeo & Julia sterben die jungen Leute, alle jungen Leute, während die Alten überleben“ vermerkt da lakonisch der Programmtext zu „Romeos & Julias unplagued“, dem neuen Tanzstück von bodytalk. Unter der bewährten Ägide von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart hat die Münsteraner Company nach „Jewrope“ und „Solidaritot“ mit dieser Inszenierung zum inzwischen dritten Mal den Schulterschluss mit Polski Teatr Tańca aus Poznan geschlossen. Und ein gewissermaßen Pest-modernes Stück darüber geschaffen, was es heißt, wenn Begehren mit Angst kollidiert und die Lust auf Nähe und Intimität von Impfstatus oder Testergebnissen abhängt. Oder anders und für diese Inszenierung weit treffender gesagt: Wenn die Liebe den Todestanz tanzt und all die jungen, liebes- und lebenshungrigen Shakesperoes unserer Pandemiegegenwart in der Isolation der Quarantäne verschwinden, um dort Ego Shooter mit ihren Träumen zu spielen.
Und sich in diesen Träumen dann auch mal ganz simpel ihr Leben in zehn Jahren ausmalen. Oder, im Kontrast dazu, dionysische Orgien feiern als gäbe es kein Morgen.
Beides geschieht in „Romeos & Julias unplagued“. In zwei Szenen, die wie Plus-Minus-Pole in dieser Inszenierung funktionieren. Da ist auf der einen Seite der Traum von der mehr oder weniger normalen Zukunft, die die Tänzerinnen und Tänzer mehr oder weniger normal ins Mikro sprechen. Fest auf dem Boden stehend, wenn man so will. Und da ist auf der anderen Seite eine Phantasmagorie orgiastischen Tanzes, die alles Feststehende wegwischt, die den Boden der Ratio umpflügt und hervor wuchern lässt, was darunter begraben ist. Und so tanzen sie dann mit üppigen Blumenblüten auf nackter Haut, mit Pferden und Schmetterlingen, mythische Wesen allesamt. Und weder Liebe, Sex noch Tod ist etwas, wovor man sich fürchten muss, denn statt sich ins Bockshorn jagen zu lassen, wird hier ins Widderhorn geblasen und das brachte ja schließlich einst schon die Mauern von Jericho zum Einsturz.
Aber die Zeiten, als Orgien noch geholfen haben (oder man sie zu feiern wusste, was vielleicht das gleiche ist) sind lange vorbei. Nur noch ein Traum aus eben irgendwie mythischen Zeiten. Zwischen diesen und der Irgendwie-Zukunft in zehn Jahren macht sich die Wirklichkeit breit, deren momentanes Update so aussieht, dass man konsequenterweise gleich mal auf der Bühne den Nasenstäbchen-Corona-Test offensiv mit inszeniert. Oder sich die Tänzerinnen und Tänzer vereinzelt und luftdicht verpackt in körpergroßen Plastikplanen-Kuben durchs Scheinwerferlicht bewegen.
Was fraglos seinen für bodytalk durchaus auch typischen gallig grotesken Witz hat. So wie „Romeos & Julias unplagued“ energetisch insgesamt so wirkt, als hätte man damit der lähmend-lahmenden Pandemiewirklichkeit die Krücken wegtreten wollen. Um sich frei zu tanzen aus der auch intellektuellen und mentalen Quarantäne eines beengten Seins-Zustandes, in dem man wie das von der Schlange paralysierte Kaninchen nur noch auf die jeweils neuesten Inzidenzwerte starrt. Die Ahnung freilich, dass diese Paralyse eine ist, in der man auch steckt, wenn man Pandemie und Inzidenz wie es so schön heißt „im Griff“ hat, das die Krise also eine ist, die über ihr aktuelles Erscheinungsbild hinausgeht, kann einen dabei durchaus auch in „Romeos & Julias unplagued“ ankommen. Die Namen (Pest, Aids, Corona. Krieg, Klimawandel) mögen sich ändern – doch „Plague“ ist immer irgendwie. Auch dann, wenn die Theater offen haben.
Und so schwingt in „Romeos & Julias unplagued“ wider der darin pulsierenden Musik (inklusive Hip-Hop-Einlage und Gesangsdarbietung des Garbage-Hits „Crush“, einst auf dem Soundtrack zu Baz Luhrmanns „Romeo & Julia“-Film berühmt geworden), wider des atemstockend gefährlich anmutenden Rotierens eines Baugerüstes (natürlich mit Tänzerinnen und Tänzern darauf!) und selbst wider eines herrlich überkandidelten Konfetti-Pumpgun-Geballers, zugleich und hartnäckig etwas nachgerade Melancholisches, wenn nicht Elegisches mit. Und geradezu folgerichtig ist es deshalb, dass die Inszenierung nicht nur zwischen den oben erwähnten Polen ihr Spannungsfeld, sondern auch in ihren zwei stillsten Szenen, die dichtesten Momente findet.
Dann nämlich, wenn ungefähr in der Mitte der Inszenierung einmal in verliebt kindlicher, aber völlig sentimentalitätsfreier Verspieltheit, kaum mehr geschieht, als dass Laser-Pointer krakelige Herzen auf einer sich durchs Dunkel ziehenden Leinwand aufleuchten lassen. Und zum zweiten, wenn zum Finale schließlich die vormals senkrechten Plastikplanen-Kuben in die Waagerechte gebracht sind und die Bühne sich so plötzlich mit durchsichtigen Särgen gefüllt hat, in die, in einer Mischung aus Prozession und Schwerstarbeit, jetzt all die Julias ihre Romeos und all die Romeos ihre Julias wuchten und zur letzten Ruhe betten. Szenisch ein echt großer Abgang!
Wie in Shakespeares Tragödie: Der Liebe letzter Akt spielt in der Gruft. Und so, wie dazu in „Romeos & Julias unplagued“ die Musik verklingt, mit der Damien Pielka bis dato die einstündige Inszenierung atmosphärisch immer punktgenau begleitete, scheint hier dann auch die Liebe selbst zu verklingen. Ein paar Seufzer, schweres Atmen, Röcheln – dann das völlige Verstummen im völligen Bühnendunkel. Was bleibt ist Wurmfraß. Naja, und ein Stück beeindruckendes Tanztheater.
Foto Valentin Dobrun