Boris Charmatz überzeugt nicht mit seiner „Club Amour“ Collage

Café Amour?

Zur Uraufführung im Wuppertaler Opernhaus

Nachtkritik von Melanie Suchy

Die Säge

Der neue Leiter des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch, Boris Charmatz, hat also die Säge genommen, die seit 1980 verbundenen „Café Müller“ und „Das Frühlingsopfer“ getrennt und an des letzteren Stelle zwei eigene Jugendwerke geschraubt. Die Sägespäne liegen noch irgendwo. Der dergestalt neue dreiteilige Abend, der im Opernhaus in Wuppertal Premiere feierte, heißt „Club Amour“. Das Rotlicht aber bleibt aus, bei Pina Bausch ist die Amour eine vergebliche oder verblichene, bei Charmatz, in dem Trio „Aatt enen tionon“ von 1996 und dem „herses, duo“ von 1997, einem Ausschnitt aus „herses (une lente introduction)“, ist wenig Herz. Die Extremerregung des „Frühlingsopfers“ fehlt hier irgendwie. Der Club ist ein Versuch, das darf er sein. Aber er begeistert nicht.

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Die Ebenen

Er bespielt zwei Räume, beziehungsweise es ist die eine Bühne, auf die das Publikum auf zweierlei Weise schaut. Einmal steht es selber auf ihr drauf, im Kreis, den turmartigen Schnürboden über sich, alles in schwarz. „Café Müller“ aber betrachtet es wie immer vom Zuschauerraum aus, die vielen Stühle und umrandenden Plexiglaswände unterm jetzt unsichtbaren Schnürboden mit seinen Gerätschaften.

Die Charmatz-Stücke also wollen die fast unmittelbare Nähe der Zuschauer, das Umringen, wie man es beim Straßentheater oder bei Performances in Nicht-Theatergebäuden häufiger erlebt. Zunehmend auch in Theatern. Der Choreograf schuf diese Werke mit Anfang Zwanzig; sie brachten ihm große Anerkennung und tourten jahrelang. Damals war diese Art neu und ungewöhnlich. Zudem stellte er das Trio auf den drei Etagen in seinen Erläuterungen in die Aids-Zeit, es sei vieles zerbrochen, viele Freunde und Kollegen gerade in der Tanzszene waren gestorben, hinterließen Lücken.

So lebt „Aatt enen tionon“ vom Bröckeln, besteht aus Bruchstücken. Die Bekleidung ist unvollständig, wirkt privat, die Genitalien liegen frei, doch sind die weißen engen T-Shirts uniform. Die oberste Bewohnerin sieht man kaum je ganz, sondern nur ihre Arme, die über die Kante herunterbaumeln, mal mit dem Kopf, mal ohne. Steht sie, hebt sie sich auf, schneidet mit harten Armen durch die Luft oder weht mit ihnen, balanciert eine Arabesque, dann fehlen im Blick die Beine oder Füße. Manchmal liegt einer der drei still oder hockt, wie in Tagträumen verloren, schubst sich dann wieder in Aktivität, eckig, kraftstrotzend. Drücken, Strecken, Beinwerfen. Wird wieder weich. Lose.

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Ungeschützte Räume

Ihre Verständigung geschieht über die Geräusche auf dem Holz: das Poltern beim Fallen, das Aufstampfen und Pochen. Nie sehen sie einander, sie sind beisammen, aber auch nicht. Einmal heben alle drei im Liegen ihre Beine und Unterkörper in die Senkrechte, ein anderes Mal die linken Arme wie Antennen oder junge Bäumchen. Die Choreografie aus Schnell und Langsam, Aufbegehren und Aufgeben, die alles tanzmäßíg Elegante oder Fließende vermeidet, verfugt die drei. Als teilten sie Erinnerungen oder Gewohnheiten, die ihre Körper variieren. Aber ohne Gefühl. Sie führen aus, sie schalten Zustände um. Die Kühle ist gut hier, sie beschützt die Nackten, gibt Distanz. Die hebt am Ende nur die hereinbrechende Rockmusik von P J Harvey auf, die nach der Songzeile „take my hand“ gekappt wird.

An diese Mehrbödigkeit reicht das hier überflüssige Mann-Frau-Duett aus „herses“ nicht heran. Die zwei hier, der Tanztheaterdirektor Charmatz selber und Johanna Elisa Lemke, sind sich sehr nah, Haut an Haut, mit viel Druck und Manipulieren und Drückenlassen, langsamen Gewichtsverlagerungen. Aber sie werden nie „eins“ oder happy, kommen nie zur Ruhe, während Orgelklänge aus den Lautsprechern wie zum Spott langen Atem beweisen.

Café Müller Pina Bausch 2023 ©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Müller Pina Bausch 2023 ©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Amour?

Das gute alte „Café Müller“ von 1978 sagt das alles ja schon. Mit seinen verhuschten Figuren, den zwei Frauen in Nachtkleidchen, der dritten mit Mantel und Perücke, den drei Männern in schwarzen Anzügen, weißen Hemden. Es ist eine wunderbare Choreografie des Erscheinens und Verschwindens, des Beachtens und Übersehens, des Fürchtens und Draufloslaufens, des Verdoppelns und Vereinzelns, Haltens und Lösens. Wollen und Zweifeln. Das Lieben und Vermissen, das Vermissenlieben zwischen den ungastlich herumstehenden alten Holzstühlen. Es ist wahnsinnig viel Gefühl in dem Café, irrlichterndes Fühlen. Die recht jungen Tänzerinnen und Tänzer begeben sich tapfer da hinein, in das Laufen, Tippeln, Greifen, Fallen zu sehnsüchtigen Purcell-Arien, aber es wirkt nur in seltenen Momenten glaubhaft, also im Herzzerreißen und in der leisen Komik nachvollziehbar. In den wenigen tänzerischen Regungen, wenn die Frauen die Arme ausbreiten, nach hinten führen, die Brust wie Vögel weiten oder mit zarter Hand den eigenen Arm entlang streichen, leuchtet das Pina-Bausch-Licht. Die Tanzliebe.

Vielleicht ist es Zeit, das Café abzuschließen. Die Nachbarschaft zu Charmatz-Werken aus den 1990ern, mit gepflegter gegenseitiger Fremdheit, ist interessant, sie schärft die Sinne. Aber dabei verliert das alte „Café“, während die zwei anderen Stücke gewinnen. Der Kontext veredelt sie. Im Ergebnis kein guter Deal.

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger