Eine Sprache finden…

Im Rahmen der Preisverleihung „Deutscher Tanzpreis 2019“

Positionen (beziehen): Tanz

Beobachtungen von Laura Brechmann

HIER geht es zum Trailer von „BONNKROTT“ von bodytalk (als positives Beispiel, wie Tanz partizipativ, Kunst im öffentlichen Raum und gleichzeitig explizit politisch sein kann)

Zeitgleich zur hier besprochenen Diskussionsrunde, veranstaltete bodytalk, das sind Yoshiko Waki und Rolf Baumgart, die im Pumpenhaus Münster „artists in residence“ und in der Spitzenförderung des Landes Nordrhein-Westfalen sind, in Berlin (ohne finanzielle Unterstützung) das „Mini“Festival „Körper als Waffe“. Hierbei kam auch die wohl beste freie Produktion der deutschen Tanzszene der letzten und laufenden Spielzeit zur Aufführung: das in Kooperation mit dem grossartigen Polish Dance Theatre (PTT)  aus Poznan entstandene „SOLIDARITOT“, das frech, geistreich und gekonnt, auch tänzerisch und choreografisch, in eindrucksvollen Bildern die derzeitigen politischen, nationalistischen und auch homophoben Auswüchse der polnischen, jüngst wiedergewählten, Regierung aufs Korn nimmt. Hierfür muss die Compagnie in Kauf nehmen auch einen hohen Preis zu bezahlen, wie etwa die eventuell versagte Weiterbeschäftigung der Intendantin des PTT. Seit der Uraufführung von „SOLIDARITOT“ in Warschau, das in „Partly (P) Inter (I) Sexual (S)“ Tanzszenen (so Rolf Baumgart), sowohl das Thema der einstigen Gewerkschaftsbewegung Solidarność, als auch die diskriminierend homophobe Politik der PIS-Regierung behandelt, muss sich die Theaterleitung mit juristischen Prozessen auseinandersetzen, mit der sie die Regierung aus Warschau überzieht, während das Ensemble in Poznan für und mit „SOLIDARITOT“ gefeiert wurde.

Doch zurück zur Theorie:

„Ein kunstvoller und kritischer Outsource“ – dies wünscht sich Michael Freundt, Geschäftsführer des Dachverband Tanz Deutschland, als er die ansehnliche Anzahl von Künstler*innen, Produzent*innen und Initiator*innen aus Theatern, Schulen und Sozialverbänden zur diesjährigen Tanztagung „Positionen: Tanz“ willkommen heißt. Die Konferenz findet jährlich im Rahmen der Verleihung des deutschen Tanzpreises statt und ist die wohl wichtigste Vernetzungs- und Fachtagung im Tanz.

Jewrope_bodytalk©TANZweb.org

Jewrope – zum Thema Holocaust -_bodytalk in Koproduktion mit dem Polish Dance Theatre (PTT) aus Poznan©TANZweb.org

Mit dem Pact Zollverein wurde ein perfekter Tagungsort gefunden, der viel Platz und (Denk)-Raum bietet, um in Diskussionsrunden, Gesprächsformaten und exemplarischen Projektpräsentationen Tanz zu reflektieren. Die vielversprechenden Leitfragen der Tagung bergen das Potential zur kritischen Diskussion in sich: „Mit welchen Haltungen, mit welcher Ethik arbeiten wir im Tanz zusammen? Welche ethischen Konzepte, welche Konzepte der professionellen Zusammenarbeit prägen die künstlerischen Arbeitsprozesse und die Ausbildung? In welcher Form erfahren Künstler*innen Anerkennungen und Respekt – durch Produzent*innen, Kurator*innen, Förderinstitutionen und die Politik?“. Neben „Ethik im Tanz“ greifen die Veranstalter mit dem zweiten thematischen Schwerpunkt „(Wie) Tanz in die Gesellschaft bringen“ einen Impuls auf, der sich vor dem Hintergrund der letzten Tagung abzeichnete. Die Auszeichnungen der Choreografin Isabelle Schad (besondere Verdienste im zeitgenössischen Tanz) und der Videokünstlerin Jo Parkes (besonderes zivilgesellschaftliches Engagement durch Tanz) zeugen davon. Es scheint sich ein stärkeres Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht nur die Produktion von herausragenden Tanzstücken Bedeutung hat, sondern gerade auch die Tanzvermittlung verstärkt Würdigung erfahren muss, wenn Tanz in Zukunft gesellschaftlich und politisch nicht obsolet werden will.

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht „Gesellschaftstanz“ heisst: bodytalk hier mit „Bonnkrott“, das im „Bonner Loch“ mit professionellen Tänzer*innen und drogenabhängigen nichtsesshaften Darstellern entstanden ist und ebenfalls das Thema Solidarität behandelt – ©TANZwebKlaus-Dilger-BONKROTT

Die Tagung deutet in Richtung Zukunft und bleibt doch hinter den Erwartungen zurück. Am Ende überwiegt, so zeichnet sich in Gesprächen ab, die Frustration über Verlauf und Qualität der Diskussionsrunden. Man ist sich einig, dass Tanz Menschen, Gesellschaft, Politik in Bewegung setzen und Transformationen entscheidend mitgestalten kann. Doch dem „Wie“ steht man angesichts bedrohlicher gesellschaftlicher Entwicklung beinahe hilflos gegenüber. Man redet viel, doch bewegt wird sich nur im Kreis. „Tanz als Schulfach“, „Diversität im Theater“, „Respekt, Miteinander, Dialog“ – thematische Schlagwörter, die seit Jahren im Rahmen von Treffen wie diesem diskutiert werden. Den Teilnehmer und Teilnehmerinnen, egal ob Künstler, Produzent oder Pädagoge, ist die Ungeduld und Unzufriedenheit anzumerken.

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht „Gesellschaftstanz“ heisst: bodytalk hier mit „Bonnkrott“, das im „Bonner Loch“ mit professionellen Tänzer*innen und drogenabhängigen nichtsesshaften Darstellern entstanden ist und ebenfalls das Thema Solidarität behandelt – ©TANZwebKlaus-Dilger-BONKROTT

Dieser Konferenz fehlt der radikale und visionäre Geist. Über erste zögerliche Bedarfsanalysen in Form von bunten Zetteln reicht es nicht hinaus. Dabei ist Veränderung gewollt – zumindest beim Großteil der zahlreich anwesenden Vertreter*innen der frei produzierenden Szene. Aber über konkrete Vorschläge wird nur am Rande diskutiert. Die Diskussionsrunden kommen zum Teil nicht über die Präsentation von Leuchtturmprojekten hinaus. Stefan Hahn, künstlerischer Leiter des Tanzpakt-Projekts „Vorpommern tanzt an“ kann seine Unzufriedenheit nur schwer verstecken. Die ausführlichen Projektvorstellungen sind „Zeitverschwendung“, so Hahn. Ihn drängt es, die perfide digitale Vernetzung des rechten Flügels zur Sprache zu bringen. Seine Frage, direkt und konkret: Was tun? Was können wir dem steigenden Rechtsdruck durch Tanz entgegensetzen? Wie kann, muss, sich die deutsche Tanzszene organisieren? – Der Funke springt über. Doch Hahn wird vertröstet. Dies sei nicht der richtige Ort; seine Fragen zu weitschweifig. Aber, wo, wenn nicht hier, wann, wenn nicht jetzt?, fragt man sich.

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht „Gesellschaftstanz“ heisst: bodytalk hier mit „Bonnkrott“, das im „Bonner Loch“ mit professionellen Tänzer*innen und drogenabhängigen nichtsesshaften Darstellern entstanden ist und ebenfalls das Thema Solidarität behandelt – ©TANZwebKlaus-Dilger-BONKROTT

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski

Das Abschlusspanel, u. A. mit Holger Bergmann und Dr. Christian Esch, zum Thema „Kunst und zivilgesellschaftliches Engagement“ euphorisiert dann doch. Auch weil Bergmann als Vertreter der Künstler-Vereinigung „Die Vielen“, die sich deutschlandweit klar gegen Rechtspopulismus, Rassismus und Antisemitismus ausspricht, deutliche Worte findet: „Wir müssen uns selbst riskieren, wir, vor allem auch Institutionen dürfen uns nicht verstecken“. Geschlossen auftreten, Zeichen setzen, sich solidarisieren – das sind die Aufgaben von Heute. Auch im Tanz. Eine Tagung, die vertagt nützt niemanden.

Der Dachverband Tanz Deutschland ist nun gefragt, die Impulse aufzunehmen und das Format neu aufzustellen. Mehr Raum für kritische Diskussionen, mehr Luft zum visionären Denken, mehr Bewegung, weniger Stillstand.

©TANZwebKlaus-Dilger-BONKROTT

Zeigen seit vielen Jahren, wie es gehen könnte mit dem Tanz in der Gesellschaft, der nicht „Gesellschaftstanz“ heisst: bodytalk hier „Bonnkrott“ – ©TANZwebKlaus-Dilger-BONKROTT