Filmkritik

DANCING PINA

Seit dem 15.September in den Kinos

von Klaus Dilger

Florian Heinzen-Ziob ist kein Tanzfilmer, – genausowenig wie Wim Wenders, dessen 3D-Film „PINA“ aus dem Jahre 2011 dennoch ein Publikumserfolg wurde, auch wenn die Mehrheit der Tanzkünstlerinnen und -künstler diesen wohl eher nicht mit dem Prädikat „Besonders Wertvoll“ ausgezeichnet hätten.

Seit einer Woche ist nun Heinzen-Ziobs’ Film „DANCING PINA“ in den Kinos, der, in Zusammenarbeit mit der Pina Bausch Foundation, die Weitergabe des Werks der Choreografin an zwei vollkommen verschiedene Compagnien, jenseits des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch begleitet und thematisiert.

Heinzen-Ziob hat dafür in 2019 die Einstudierung von Pina Bauschs’ Frühwerk „Iphigenie auf Tauris“ (1974) für die klassisch ausgerichtete Compagnie an der Dresdener Semperoper durch Malou Airaudo und Dominique Mercy begleitet, Wegbegleiter von Pina Bausch der ersten Stunde und langjährige Tänzer-Interpreten der von ihnen mit geschaffenen Rollen, sowie Clémentine Deluy, ebenfalls langjährige Pina Bausch Tänzerin.

Und in 2020 im Senegal, für die eigens zusammengestellte Pan-Afrikanische Compagnie, an der „École des Sables“ von Germaine Acogny, Ikone des zeitgenössischen afrikanischen Tanzes, die Einstudierung von „Das Frühlingsopfer“ (von 1975), Bauschs weltberühmte Interpretation von Strawinskys’ „Le Sacre du Printemps“. Hier war es Josephine Ann Endicott, ebenfalls Wegbegleiterin von Pina Bausch der ersten Stunde und langjährige Tänzer-Interpretin, die gemeinsam mit Jorge Puerta Armenta und unterstützt durch Çağdaş Ermiş, Kenji Tagaki und Ditta Miranda für die Einstudierung verantwortlich zeichnete.

Auch Heinzen-Ziobs‘, in zwei Teilen entstandener, Film wird zur Hommage an die große Choreografin und Ikone des Tanztheaters weltweit: Pina Bausch, allerdings aus einer anderen Sichtweise als Wim Wenders. Der in Köln lebende Dokumentar-Filmer lässt neben den früh(er)en Bausch-Protagonistinnen und -Protagonisten auch die neuen Interpreten zu Wort kommen, lässt sie darüber sprechen, was diese, für sie neue, Bewegungs-Sprache mit ihnen macht, aber auch über ihre Lebenswege, Wünsche und Träume und öffnet somit auch einen Einblick in kulturelle Verwurzelung und Unterschiede.
All dies in einem beinahe schon vorhersehbaren Mix mit den getanzten Bildern und dem Wechsel zwischen Senegal, wo Tanz quasi im Blickkontakt und Austausch mit der Natur entstehen darf, während in der Dresdener Semperoper im Ballettsaal gearbeitet wird. Das könnte spannend sein und doch merkt man dem Film immer wieder an, dass er zweigeteilt entstanden ist. Was wie eine Konferenzschaltung zwischen Dresden und Dakar anmutet, ist in Wahrheit das Ineinanderschachteln unterschiedlicher Orte in unterschiedlichen Zeitebenen. Dass hier Brüche unangenehm spürbar werden mag daran liegen, dass sich die Filmemacher selbst weiterentwickelt haben, die vermutlich bis dahin sehr wenig Ahnung vom Tanz gehabt haben dürften. Im Moment sein, Empathie und Authentizität ploppen als Begriffe und Voraussetzung für Pina Bauschs’ Tanz immer wieder auf. Müssten sich diese nicht auch im Film selbst spiegeln?

Hier Menschen, die mit ganz unterschiedlichen Tanzstilen, von Street-Dance bis Traditionellen Afrikanischen Tänzen, bis Folklore, die für dieses „Sacre“ ausgewählt wurden, das sie alle zum ersten Mal auf einem kleinen Video gesehen hatten, das man ihnen im Vorfeld gegeben hatte, und das sie nun erlernen und interpretieren sollten, dort hochspezialisierte und -trainierte Balletttänzerinnen und -tänzer, die vor allem vergessen lernen sollten, was sie von der Tanzsprache einer Pina Bausch so weit entfernt hielt, um „Iphigenie“ mit Leben zu erfüllen, obwohl die Choreografin hier selbst noch weit von dem entfernt war, was sie später als Tanztheater prägen sollte.

Es sind die Sätze, die Menschen sagen, die mit Pina Bausch gelebt und gearbeitet haben und die Menschen, die beginnen Pina Bausch durch den Tanz zu erleben, die haften bleiben und verstehen lassen. Es sind die Entwicklungen im „Frühlingsopfer“, die die einzelnen Körper prägen und irgendwann als Gruppe eine fulminante Wucht zur ebensolchen Musik von Strawinsky durch die Choreografie entstehen lassen, die unter die Haut gehen.
Dort in Dresden konnte gerade noch rechtzeitig vor Corona eine angeblich erfolgreiche Premiere gefeiert werden, hier im Senegal die zu Tode betrübten Künstlerinnen und Künstler, für die so Vieles vom Erfolg dieser Einstudierung und deren Aufführungen abhängig gewesen wäre und denen letztlich sämtliche Aufführungen wegen des Virus abgesagt wurden.

Doch so endet der Film nicht: am letzten möglichen Morgen vor der erzwungenen Abreise, versammeln sie sich alle zu einer der ersten vollständigen Proben, um in einer Bühnenähnlichen Fläche am Strand „Das Frühlingsopfer“ für zwei Kameras zu tanzen. Dabei entstehen im Licht der Morgensonne die wohl schönsten Bilder dieses nicht immer überzeugenden Films.

Eine Tänzerin in Senegal sagt an einer Stelle: „Ich möchte so gerne wissen, was Pina ihren Tänzern ins Ohr geflüstert hat, dass sie alle bereit sind, sich zu opfern….“ und sie lächelt dabei, als würde sie es nun wissen.