Unsere Videoimpressionen – A UNIVERSAL HOSTILITY
Carla Jordão | SPECIES – Folkwang Tanzstudio (FTS)
LOVE, HATE and POTATOE-CHIPS
Uraufführung von „A UNIVERSAL HOSTILITY“ in der Neuen Aula der Folkwang Universität der Künste in Essen-Werden
Nach(t)betrachtung von Klaus Dilger
„A UNIVERSAL HOSTILITY“ ist die achte Auseinandersetzung der aus Brasilien stammenden Choreografin Carla Jordão | SPECIES in der der menschliche Körper mit sozialen Systemen konfrontiert und deren Einflüsse auf dessen Sprache künstlerisch untersucht wird. Diesmal mit den zehn Tänzerinnen und Tänzern des Folkwang Tanzstudio (FTS) und somit der bisher grössten zur Verfügung stehenden Ansammlung an professionellen (Tänzer-) „Körpern“, für die Erarbeitung einer daraus resultierenden Bewegungs- und Körpersprache, derer sie sich in einer solchen Versuchsanordnung bedienen konnte. Um genau zu sein, sind es neun FTS-Ensemble-Mitglieder und als Gast ersetzt Erika Polifroni Martin den nicht mittanzenden Lucas Lopez Pereira.
Entstanden ist ein humorvolles, bisweilen sogar überraschendes, sechzig Minuten dauerndes Stück in der Serie „A UNIVERSAL“, und dem Unter-Begriff „HOSTILITY“, der sich hier eher als Abwesenheit von Empathie und in boshafter Schadenfreude äussert, über die sich sogar oft und gerne schmunzeln lässt, denn der Begriff von Feindschaft wird in dieser Arbeit zu keinem Zeitpunkt spürbar, auch wenn die Protagonisten nicht gerade zimperlich miteinander umgehen. Genau genommen ist es sogar ein bitterböses Stück, nur dass eben die darunter brodelnden menschlichen Abgründe eher fein angedeutet, als aufgedeckt und beleuchtet werden.
Jordão gelingen immer wieder schöne Bilder, wenn sie die Tiefe des Raums geschickt für ihre fein gestaffelten „Tableau Vivants“ nutzt und darin von dem guten Lichtdesign von Oliver Semrau und Wolfgang Pütz unterstützt wird.
Überraschendstes Element an diesem Stück ist der gekonnte Umgang des Ensembles mit Stimme, Text und sogar Gesang. Überzeugend hier bereits in der ersten Szene Tzu-Chun Liou in ihrem wütend skurillen Eingeständnis des Kontrollverlustes und die liebevolle Ode an die Tüte mit den Kartoffel-Chips. Auch wenn sich Jordão des Öfteren gängiger Klischees bedient: sie sind gut eingesetzt und machen höllisch Spass beim zusehen.
Wer es gefühlvoller mag, muss warten bis beinahe zum Schluss. Auch hier ist wieder die Stimme, diesmal als Gesang von Gabriel Gaudray-Donnio, die tragende Ebene für Handlung und szenische Bewegung, wenn dieser sehr gekonnt und mit glaubhafter Steigerung Neil Youngs „Love and War“ a capella singt, in das die Tänzerinnen und Tänzer am Ende alle einstimmen, bis auf Julius Olbertz, der sich mimisch und gestisch als fieser „Kriegsverführer“ outet, nachdem unter seiner Hippie-Kleidung „Schlips und Kragen“ versteckt waren und er so wohl die politische Klasse repräsentieren soll. Hmmmm…
Überhaupt die Musik: Tim Rollers Soundtrack“A UNIVERSAL HOSTILITY“, Mozarts concerto N° 21 in C-Major und Saties „Gnossiennes N° 1- lent“ tragen das Stück souverän wie aus dem Tanztheater-Lehrbuch. Die Kostüme von Anne Bentgens zusammen mit Carla Jordão sind authentisch unauffällig, wirksam und bestes Handwerk.
Alles ist irgendwie sehr gutes Handwerk, auch die Arbeit und Interpretation der Tänzerinnen und Tänzer. Die Choreografin beherrscht den Umgang mit Raum, Aktion und Stille, Anordnung und Auflösung der Gruppen und Konstellationen, Auf- und Abgänge sind gut getimt, die Performer gut geführt und motiviert. Schade nur, dass sie sich viel zu selten dazu entschliesst, Tanz und Bewegungssprache mindestens auf Augenhöhe zur Ebene des gesprochenen oder gesungenen Wortes zu entwickeln und durch zu choreografieren.
Vermutlich hat Carla Jordão ihr Stück ganz bewusst plakativ und holzschnittartig angelegt mit übertriebener Mimik und Gestik, die selbst die gelegentlichen eruptiven Tanzszenen der Einzelnen konterkarieren, denen sie nur ganz sparsam innere Zustände zugesteht, die sich in der Bewegungssprache noch einen Rest von Geheimnis und Individualität bewahren dürfen.
Den Preis, den sie und ihr Stück dafür bezahlen müssen, sind folgerichtig mangelnde Identifikationsmöglichkeiten und gelegentlicher Leerlauf und Vorhersehbarkeit, die dem Stück Längen aufbürden, nicht allein wegen zu vieler Klischees.
Dennoch überwiegt der positive Eindruck und die Premiere eines Stückes ist erst einmal das Erreichen einer Etappe zur öffentlichen Sichtbarkeit. Dann kann die Arbeit weitergehen und das wäre dem Stück doch insgesamt gesehen zu wünschen.
Die sehr guten Performer waren: Mateusz Bogdanowicz, Jennifer Boultbee, Tullia Francischiello, Gabriel Gaudray-Donnio, Harrison Rodrigues Gomes dos Santos , Yun-Ru Lee, Tzu-Chun Liou, Julius Olbertz, Djamila Polo (Ensemble des Folkwang Tanzstudios) und Érika Polifroni Martín (Guest)