50 Jahre Tanztheater Wuppertal? Eine Pressekonferenz

„Wir blasen die Kerzen langsam aus…“

…das klingt je nach Lesart und Betroffenheit nicht nach grosser Sause für einen runden Geburtstag, den es eigentlich zu feiern gilt: 50 Jahre Tanztheater Wuppertal Pina Bausch!, …es klingt vielmehr nach…. ausblasen!

Bericht und Kommentar von Klaus Dilger

Zehn Jahre zuvor, beinahe auf die Woche genau, gab es die Pressekonferenz zur Spielzeit 2013/14 und damit 40 Jahre Jubiläum, in Anwesenheit der damaligen Ministerin Ute Schäfer und des Staatssekretärs Bernd Neuendorf, die weitere 700.000 Euro im Gepäck hatten, damit dieses ganz aussergewöhnliche Ereignis gebührend gleich in vier Städten in Nordrhein-Westfalen und damit gefühlt im ganzen Bundesland gefeiert werden konnte. Damals mit 104 Veranstaltungen, bestehend aus vierzehn Produktionen von Pina Bausch und zahlreichen Gastcompagnien von Weltruf, die freundschaftlich und ästhetisch eng verbunden waren mit der Tanzikone, die nicht nur ihre Welt berührt und verändert hatte.

Die (Kunst)Welt hat vor zehn Jahren wahrgenommen, wie Pina Bausch dafür gewürdigt wurde, es geschafft zu haben, mit ihrer Kunst eine Identifikationsfigur und ein Teil einer Gesellschaft geworden zu sein, die Menschen berührt und beeinflusst hatte, selbst jene, die in Wahrheit vielleicht noch nie eines ihrer Werke persönlich erleben durften, vielleicht, weil die Vorstellungen in Wuppertal alle innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren, häufig an Besucherinnen und Besucher aus aller Welt, oder auch, weil sie sich einen Vorstellungsbesuch nicht haben leisten können. Pina Bausch war mit ihrer authentischen, ehrlichen Form des Tanzes, dem von ihr entwickelten Tanztheater, zur Ikone geworden, auf die die Menschen nicht nur in Wuppertal und NRW stolz waren und sind, sie war und ist zu einem Kulturgut von nationaler und internationaler Bedeutung geworden.

como-el-musguito_Pina-Bausch-©-Marcelle-Muenkel

como-el-musguito_Pina-Bausch-©-Marcelle-Muenkel

Diese öffentliche Wertschätzung war ein umso bedeutenderes Signal, als dass Pina Bausch in Deutschland und in Wuppertal in den Anfangsjahren auf wenig Verständnis gestossen war und ohne die Wertschätzung aus dem Ausland, vor allem Frankreich und später Italien und dann der ganzen Welt, kaum jemals hätte so lange durchhalten können.

Auch wenn sich diese Ablehnung begann, Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, in das Gegenteil zu verwandeln, so war dieses Signal, erstmals nach ihrem Ableben in 2009, doch von grosser Bedeutung. Eine Art „kulturelle Völkerverständigung“, auch um deren „Ikonen“ und die Stellung von Kunst und Kultur in den Gesellschaften zu stärken.

Wäre ein solches Signal zehn Jahre später zum Fünfzigsten nicht umso mehr von unseren (geistigen und kulturellen) Nachbarländern in der ganzen Welt erwartet worden und wäre ein solches Zeichen nicht nötiger denn je?

PalermoPalermo_cMEYER_ORIGINALS

Palermo Palermo Ein Stück von Pina Bausch©meyer originals

Bewusste Entscheidung…

„…das hatte ich Anfangs auch erwartet“, wird sich Salomon Bausch, der Leiter der Pina Bausch Foundation, später aus dem Publikum zu Wort melden, „… doch jetzt bin ich froh, dass Ihr nicht in diese Falle getappt seid, denn es ist viel wichtiger, dass wir auch in 70 und 80 Jahren die Werke meiner Mutter noch feiern können und hierfür bedarf es der Weiterentwicklung…“

Diese doch gewichtige Wortmeldung folgte, nachdem Roger Christmann, der scheidende kaufmännische Geschäftsführer des Tanztheaters sachlich erklärt hatte, dies sei eine ganz bewusste Entscheidung gewesen, um den Transformations-Prozess des Ensembles mit Boris Charmatz in den Mittelpunkt seiner ersten selbst gestalteten Spielzeit zu stellen.

Analytische Sachlichkeit, auch wenn man ihr im Ergebnis nicht zustimmen muss (und auch nicht kann), war angebracht, denn allein die Frage zum Vergleich mit dem 40jährigen Jubiläum liess die Gemüter auf dem Podium bei denen hochkochen, die in der zugesagten Unterstützung von Bund und Land zum Bau eines „Pina Bausch Zentrums“ und der Teilnahme der NRW Ministerin Brandes beim Architekturwettbewerb und der Bekanntgabe der Siegerentwürfe (wir berichteten) bereits ein starkes Zeichen der Verbundenheit gesehen haben.

Vermutlich war Ina Brandes, anders als die spärlich erschienen Pressevertreterinnen und Pressevertreter, bezogen auf das, was eigentlich Anlass der Pressekonferenz hätte sein müssen, nämlich „50Jahe Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“, bereits darüber informiert, dass es hier keineswegs um das grosse „Tanztheater Wuppertal Pina Bausch – Jubiläum“ gehen wird.

Ein Podium und zwei Bildschirme…

Das Podium, bestand (von rechts nach links) aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Tanztheater Wuppertal Pina Bausch gGmbH Herrn Rolf Jürgen Köster, dem Beigeordneten für Kultur der Stadt Wuppertal, Herrn Matthias Nocke, Boris Charmatz, Künstlerischer Leiter von  [terrain] und seit der noch laufenden Spielzeit auch des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, daneben Roger Christmann, scheidender kaufmännischer Geschäftsführer und zukünftiger Senior Advisor des Tanztheaters (neue Stelle?), sowie Daniel Siekhaus, dessen Nachfolger. Eingerahmt wurden die Herren links und rechts von zwei grossen Bildschirmen.

Auf diesen sind im Dauer-Loop Filme zu sehen, in denen Tänzerinnen und Tänzer des Tanztheaters Wuppertal bekannte Werke von Pina Bausch TANZEN, dazwischen immer wieder drei verschiedene Szenen von Menschentrauben, die sich übereinander krabbelnd durch einen undefinierten Raum wälzen, ein nackt anmutendes Paar, Mann und Frau, die sich aufeinander wälzen, sowie ein Plateau mit drei Ebenen, auf denen sich eine Frau und zwei Männer bewegen, jeweils unten nackt, oben bekleidet mit weissem T-Shirt. Irgendwann begreifen die Besucher der Pressekonferenz oder eher auch nicht, dass hier die Abbildung dessen stattfindet, was wohl zuvor als Weiterentwicklung deklariert wurde.

Liberté Cathedrale_Boris Charmatz©Copyright Martin Argyroglo

Liberté Cathedrale_Boris Charmatz©Copyright Martin Argyroglo

Sichtbar wurde hier, worauf wir in unseren Besprechungen des sogenannten „Wundertals“  und „Palermo Palermo“ immer wieder hingewiesen hatten: dass es eine gigantische Diskrepanz gibt zwischen dem, wofür die aktuellen Tänzerinnen und Tänzer vermutlich ihr Leben lang gearbeitet haben, nämlich die Werke Pina Bausch’s, ihre Kunst und Meisterschaft zu erfahren und zu tanzen und zu vermitteln, und dem, was es an Voraussetzungen braucht, um in Stücken von Boris Charmatz mitzuwirken.

Das soll nicht einmal wertend klingen, allein, die Situation ist ebenso simpel wie kompliziert: Die Werke Pina Bausch’s brauchen diese Compagnie, brauchen feinfühlige und technisch versierte Tänzerinnen und Tänzer, die sich aller Ebenen und deren Zusammenführung bewusst sind, und dies in ihren Körpern, durch ihre Körper und darüberhinaus abrufen können.

Das was Boris Charmatz macht, braucht sie nicht. Den aktuellen Besetzungen und Einstudierungen ist anzusehen, dass die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne kein Echo mehr erfahren, obwohl nur im Echo (auch mit dem Publikum) Stücke und Authentizität entstehen können. Die beweisführenden Details wären allein für das Spezialistenpublikum, aber sie sind evident.

HERSES (Duo)_Boris Charmatz©webseite pina-bausch.de

HERSES (Duo)_Boris Charmatz©webseite pina-bausch.de

Worüber also ist Salomon Bausch froh? So und mit diesem Konzeptkünstler des Non-Danse, Boris Charmatz, ist diese Entwicklung nicht im Ansatz ersichtlich. Auch hierauf haben wir mehrmals in unseren Besprechungen hingewiesen. Und dies bezieht sich noch nicht einmal auf die zu befürchtenden „Eingriffe“ in das Werk von Pina Bausch, sondern lediglich auf die Veränderungen, die durch neue Engagements und|oder Trainingsmethoden entstehen.

Wo blieb das Medieninteresse?

Es ist beinahe schon beschämend, dass für einen solchen Anlass kaum internationale oder auch nur nationale oder regionale Kolleginnen und Kollegen anwesend waren, um darüber zu berichten, um Fragen zu stellen, die Tanzwissen erfordern und den Kern des jeweiligen Anliegens freilegen.

Charmatz hat auf der Pressekonferenz gezeigt, dass er keine Antworten hat auf die bedeutsamen Fragen der Zukunft des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zu deren DNA unabdingbar ein Mehrgenerationen-Ensemble geworden ist. Schlimmer noch, dass es ihm vielleicht sogar egal sein kann im Hinblick auf seine eigenen Stücke.

Politikerinnen und Politikern, die naturgegeben wenig Ahnung haben dürften von der internationalen Tanzszene (und dies auch nicht müssen), die aber wissen, dass sie sich eine neuerliche Fehlbesetzng des Chefposten beim Tanztheater Wuppertal nur schwerlich leisten können, werden Charmatz nicht ohne Weiteres in Frage stellen. Im Gegenteil: Fragen sind unangenehm für alle, die daran beteiligt waren, Boris Charmatz für acht Jahre die Verantwortung für dieses (bisher) einzigartige Ensemble zu übertragen.

TRIPPLE-BILL-TTW_CAFE-MUeLLER_Pina-Bausch@TANZweb.org_Klaus-Dilger

TRIPPLE-BILL-TTW_CAFE-MUeLLER_Pina-Bausch@TANZweb.org_Klaus-Dilger

Kein Echo mehr…

Es ist und war vollkommen unstrittig, dass dieses Ensemble neue Kreationen dringend braucht und die sich dies auch gewünscht hat. Auch dass die Leitung wieder an eine Choreografin oder einen Choreografen übertragen wird war wünschenswert. Dass diese nun an Charmatz übertragen wurde, dessen eigene Arbeiten absolut nichts mit der Arbeit von Pina Bausch gemein haben, hat viele Expertinnen und Experten verwundert und überrascht, vor allem auch in Frankreich, wo das Werk von Pina Bausch seit jeher verehrt wird.

Tanz entstand bei Pina Bausch durch die Menschen, die Tänzerinnen und Tänzer, und diese daraus entstehenden Werke müssen immer und immer wieder, bei jeder Aufführung, durch die sie Tanzenden neu entstehen und in all ihren Ebenen und Dimensionen wieder lebendig werden.

Sie müssen untereinander einen „Echoraum“ erzeugen können (siehe Oben), in den die Zuschauenden eintauchen können und darin einbezogen werden.

Wenn dieses Echo nicht mehr entsteht, dann liegt es wohl in den selteneren Fällen am Werk (auch Pina Bausch ist nicht alles gleich gut gelungen). Das Wesen von Kunst liegt auch in seiner Zeitlosigkeit, dies gilt auch für die Werke der Tanztheater-Ikone. Gelegentlich ist oder war von selbsternannten Expertinnen und Experten zu hören, die Arbeiten von Pina Bausch seien nicht mehr „zeitgemäß“ und müssten überarbeitet werden. Hmmmm…. Wenn dem so wäre, wären sie keine Kunst und es gäbe keinen Grund, sie weiterhin aufzuführen.

Picasso hat 1937 gesagt, „„Es ist mein Wunsch, Sie daran zu erinnern, dass ich stets davon überzeugt war und noch immer davon überzeugt bin, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt und umgeht, angesichts eines Konflikts, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann.“ Anlass zu dieser Aussage war sein Umdenken bezüglich der Gestaltung des beauftragten „Spanischen Pavillons“, nach der Zerstörung der Stadt Guernica durch einen Luftangriff. Statt „Der Maler und sein Modell“ entstand „Guernica“. Aus einem zeitlichen, heute geschichtlichen, Anlass entstand ein Kunstwerk, das über der Zeit steht. Käme jemand auf die Idee, es „überarbeiten“ zu wollen?

Kunstwerke haben immer schon andere Künstler inspiriert zu eigenen Versuchen, Experimenten und Arbeiten. Diese Prozesse können spannend sein, aber sie sind eigenständige „Zitate“.

Über solche „Zitate“, auch von Boris Charmatz, würden wir uns freuen, dazu braucht er weder die Werke von Pina Bausch zu „übermalen“, noch ihren Namen zu nutzen.

„Überarbeite“ Version des Freskos von Jesus (Beast Jesus) von Cecilia Gimenez  (Cecilia Giménez, a woman in her 80s, is known for her botched restoration of a 19th century “ecce homo” fresco of Jesus in Santuario de la Misericordia, a Roman Catholic church in Borja, near the city of Zaragoza.)

„Wir blasen die Kerzen langsam aus…“,

„Das Tanztheater Wuppertal feiert dieses Jahr einen runden Geburtstag: 50 Jahre!“ sagte der neue Künstlerische Leiter auf der Pressekonferenz schließlich doch noch und ganz zum Schluss im vorgefertigten Pressedossier dazu. „Wir werden dieses Ereignis ausgiebig feiern – auf unsere Art! Die Kerzen werden wir sehr langsam, aber mit viel Emotion ausblasen. Im Laufe der Spielzeit werden diese Aufführungen durch zusätzliche Veranstaltungen ergänzt, die sich mit der Zeit herauskristallisieren. Den Anfang aber bildet im September eine existentiell bedeutsame Choreographie (Anmerkung: SEINE) in einer im brutalistischen Stil errichteten Kirche. ICH FREUE MICH AUF SIE“  sagt und schreibt er.

Wenn Boris Charmatz „wir“ sagt, spricht er vermutlich von sich selbst in der dritten Person, denn in dieser Pressekonferenz geht es vor allem, fast ausschließlich sogar, um ihn: Boris Charmatz. – Dies zumindest sollte allen Beteiligten der Pressekonferenz klar geworden sein!

Ersichtlich wird dies auch auf der neuen Webseite:

„TANZTHEATER WUPPERTAL PINA BAUSCH TERRAIN BORIS CHARMATZ“

… auf der sich nun im „Archiv“ in der Auflistung der „Stücke“, kunterbunt aber auf Augenhöhe zu den Werken von Pina Bausch, vermutlich alles wiederfindet, was Boris Charmatz jemals an Stücken erarbeitet hat.

Ein Novum wohl für den „ersten Angestellten“ eines Tanzensembles, das programmatisch den Namen seiner Gründerin im Titel trägt und deren Werke die Ursache des Weltruhms sind, den die Compagnie noch geniesst. Manche mögen dieses Novum auch Anmaßung nennen.

„Wir blasen die Kerzen langsam aus…“

Aatt-enen-tionon-La-Chaufferie-Saint-Denis

Aatt-enen-tionon-La-Chaufferie-Saint-Denis