TanzSoloFestival Bonn 2023
Zwischen technischer Manipulation und Autonomie
„Rasp Your Soul“ von Kat Válastur zum Auftakt des 8. Internationalen Bonner Tanzsolofestivals
Von Elisabeth Einecke-Klövekorn
Die digitale Welt bestimmt immer mehr unser Leben, künstliche Intelligenz ist ein zentrales Thema unserer Gegenwart. Fitness-Tracker mit Bodyscan-Funktion sind längst überholt von Wearables, die unsere Gefühle messen und manipulieren können, also direkt in die individuelle Persönlichkeit eingreifen. Die aus Griechenland stammende Choreografin Kat Válastur untersucht das in ihrem 2017 uraufgeführten Stück „Rasp Your Soul“, das sie dem italienischen Tänzer Enrico Ticconi auf den Leib geschrieben hat. Sie kommt dabei ganz ohne die üblichen Live-Kameras und flimmernden Monitore aus. Die Perfomance konzentriert sich auf einen bewegten Körper.
Anfangs liegt er da in schlaglichtartig beleuchteten sinnlichen Posen wie ein aus Träumen aufgewachter moderner Faun: Ein Mann in schwarzen Jeans, weißen Turnschuhen und einem wie eine zweite Haut wirkenden transparenten Oberkörpertrikot. Dann scheinen Krämpfe ihn zu schütteln. Pochende Töne aus seinem Körper, dann folgen Laute, die sich zu Sprache und schließlich mühsam zu Wörtern und Sätzen formieren. Per Mikro verfremdet, in Loops multipliziert, mit anderen Klangspuren vermischt und im ganzen Raum verbreitet. Auf dem Boden aus weichen Teppichfliesen, die alle anderen Geräusche verschlucken, beginnt er unbeholfen zu gehen, zappelt, hüpft, läuft, fällt. Válastur hat dafür eine neue Bewegungssprache entwickelt, die sie „Strobing“ nennt. Wie bei Stroboskop-Lichtblitzen erscheinen die Bewegungen abgehackt als Folge von stehenden Bildern, akustisch fortgesetzt durch den fragmentarisierten Sound.
Der einsame Performer Ticconi produziert gleichzeitig Bewegungen und Töne, scheint ihnen aber auch zu folgen, als ob alles in einem geheimen Speicher fixiert wäre. Jede Faser seines Körpers vibriert, sogar seine Zunge beginnt zu tanzen. Animalisch wälzt er sich auf dem Boden, beißt mal in einen der herumliegenden Bambusstäbe, grunzt, schmatzt, spuckt. Dann posiert er wieder wie auf Kommando. Das ist mitunter komisch, aber auch erschreckend. „Do not disconnect“, wiederholt er. Ist er eine beseelte Marionette, ein humanoides Kunstgeschöpf, das ohne die Verbindung zu einem Apparat seine Energie verliert? Am Ende der einstündigen Vorstellung entledigt er sich seines Trikots und streift quasi die zweite Haut ab. Das wirkt wie eine Befreiung, aber aus seinen Atemgeräuschen wird ein tierisches Gebrumm.
Die Kreation „Rasp Your Soul“, mit der das Internationale Bonner Tanzsolofestival im Theater im Ballsaal seinen Auftakt feierte, ist eine tänzerisch spannende Untersuchung des körperlichen Zusammenspiels von Innen und außen. Gleichzeitig eine Reflexion über die Vermischung von Organischem und Künstlichem in der neuen Wunschmaschinerie von der perfekten Kreatur, in der das menschliche Individuum sich auflöst.