Aurora’s Redlines von Tanzwerke Vanek Preuß

50 Shades of Red

Ganze vier Jahre liegt die Uraufführung von Aurora’s Redlines von Tanzwerke Vanek Preuß bereits zurück. Das eigentümliche Werk mit dem verheißungsvollen Nebentitel „Tanzstück für die Alarmgesellschaft“ kommt im Herbst 2021 im Rahmen des Internationalen Tanzfestivals „Into the Fields“ zurück auf Bühne der Brotfabrik Bonn. Ein optischer Genuss und ein wahrer Segen für Kopf, Körper, Geist und Gedächtnis.

 

Eine Kritik von Hedieh Feshari, 21.10.2021

Eine Bühne eingetaucht in rotes Licht, im Hintergrund sanftes Meeresrauschen. So karg und minimalistisch das Setting zunächst anmutet, umso beeindruckender und kraftvoller gestaltet sich die Inszenierung, welche sich den Zuschauer:innen innerhalb der folgenden 60 Minuten bietet. Die Farbe Rot spielt hier eine besonders herausragende Rolle. Das vielbeschworene red light der Morgenröte repräsentiert im Rahmen der roten Grenzlinien vielmehr als „nur“ eine Signalfarbe. Über die klassische Farbsemiotik hinausgehend, erscheint sie in einer unverwechselbaren Ambivalenz als Haupt- und Neben-Akteur zugleich und oszilliert dabei zwischen den unterschiedlichen möglichen Abstufungen ihres Frequenzbereichs. Mal in fluoreszierendem Karmesin, abwechselnd in kräftigem Zinnober, bis hin zu düsterem Rubinrot, erzeugt die eingesetzte Lichttechnik geschickt unterschiedliche Stimmungen und Schwingungen bei den Betrachter:innen.

Menschliche Skulpturen vor maritimer Soundkulisse

Im Vordergrund positioniert sind drei (fast) nackte männliche Körper. Buchstäblich kopf-, jedoch nicht haltlos führen sie minimale Bewegungen abwechselnd mit Armen und Beinen aus. Ganz zaghaft und in einer Art „Schritttempo“ entfaltet sich etwas, das bildhauerischen Gebilden am nächsten kommt. Der menschliche Körper agiert hier sowohl als Objekt als auch als Subjekt. In ersterer Erscheinungsform wirken sie beinahe wie Exponate einer Kunstausstellung, die den menschlichen Blick standhalten müssen. In ihren subjektiven Repräsentationsformen gestalten sie aktiv den perspektivischen Klang- und Sichtraum, den sie immer wieder aufs Neue auszuloten versuchen. Stetig mitschwingend: die allegorischen roten Linien, die sie zu umgehen versuchen.

Animalische Gebilde à la Franz Marc

Die außergewöhnlichen Posen und Positionen, die die Tänzerkörper einnehmen, erinnern bisweilen immer wieder an tierische Pendants, ähnlich jenen eines Franz Marc aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. In der Performance fallen diese ein gutes Stück exotischer aus: man fühlt sich an Elefanten bzw. Sträuße erinnert, die den Kopf in den Sand(stein) stecken und an Seeanemonen mit flirrenden und schwirrenden Gliedern am sandigen Meeresgrund. Zum Teil werden aber auch Assoziationen an andere expressionistische Werke in der Tradition eines Paul Klee wach. Allen voran das Werk „Zwei Männer, einander in höherer Stellung vermutend, begegnen sich“ (1903). Das tänzerische Moment diffundiert in einem artistischen Balanceakt, der nicht nur enorme Körperspannung und -beherrschung voraussetzt, sondern auch ein ungleich hohes Maß an Kraft und Energie erfordert. Dieser Umstand macht das Stück nicht nur optisch zu einem echten „Hingucker“, sondern lässt auch die Genregrenzen zwischen zeitgenössischem Tanz, bildender Kunst und Akrobatik geschickt verschwimmen.

AURORAS REDLINES©TANZweb.org_Klaus Dilger

AURORAS REDLINES©TANZweb.org_Klaus Dilger

Eine Verquickung von Modern Dance und Yoga

Das tranceartige und meditative Element von Aurora und ihren Redlines fungiert als Wirkung und Gegenwirkung zugleich. Mit Yogi-artiger Disziplin halten die Performenden ihre Figuren und führen im gleichen Stil ihre Bewegungen aus. Die Zuschauer:innen fühlen sich dabei fast selbst schwere- und losgelöst von Raum und Zeit. Letzteres wird während der rund einstündigen Performance zu einer abstrakten unfassbaren wie unmessbaren Einheit. Einzig was sich noch konkret greifen bzw. wiedererkennen lässt, ist die geschickte Kreuzung von Tanz, Verrenkungskünsten und einzelnen Elementen des zeitgenössischen Tanzes. Dadurch kommen Liebhaber:innen verschiedenster Kunstformen und Performance Arts auf ihre Kosten.

Ein ästhetisch gekonntes Spiel aus (akustischem) Licht und Schatten

Erwähnenswert ist ebenso die Wahl der musikalischen Untermalung. Was anfangs wie reiner Ambiente-Sound anmutet und die Zuschauer:innen in „maritime Stimmung“ versetzt, erreicht seine Klimax in einer bedrohlich klingenden Klaviersequenz, die sich in immer kürzeren Abständen wiederholt. Jeder Mensch, der schon mal einen Thriller oder Krimi gesehen hat, erkennt ad hoc, um was für eine Melodie es sich dabei handelt. Instinktiv wird einem klar, es ist Gefahr im Verzug, etwas Riskantes steht bevor, das ist eine Warnung. Die popkulturelle Referenz fungiert hier als geschicktes Stilmittel, das die Zuschauer:innen aus der vermeintlichen harmonischen Gewöhnung an ein optisch anschauliches Bühnenspektakel quasi wachrüttelt. Der Verfremdungseffekt funktioniert: die Aufmerksamkeit des Publikums ist bis aufs Äußerste geschärft.

 Der hüllenlose Körper als “bodenlose Hülle“

Laut „innerem Logbuch der Tanzwerke Vanek Preuß“ erinnert Aurora’s Redlines an die mystische Resistenz der „Urkaft des Lebens“, welche entgegen aller Gefahrensignale stetig von Neuem beginnt. Hic et nunc – ist das Motto, auf welches das Stück ausgerichtet ist. Ziel ist eine Fokusverschiebung vom stetigen Denken an das Morgen, das Zukünftige, auf das Unmittelbare, das Augenblickliche auf das, was wir ganz aktuell und tatsächlich fühlen und denken. Losgelöst von der ständigen Alarmbereitschaft, in der die Menschheit sich permanent als Ganzes befindet. Der sich bewegende Akt, will heißen – die freie Körperkunst im Rahmen der roten Grenzlinienführung – referiert dabei aber gleichzeitig auch auf das Dunkle, Verborgene, Vergangene der Erinnerungen. Ein „bodenloser“ Umstand so könnte man sagen, dessen Dimension der Gedankentiefe gegen unendlich reicht. Genau wie das Universum selbst. Aurora’s Redlines – das ist monumentale Körperkunst at its best, performed von Karel Vanek, Guido Preuß und Tobias Weikamp. Prädikat: sehens- und (vor allem) ‚fühlenswert‘!

AURORAS REDLINES©TANZweb.org_Klaus Dilger

AURORAS REDLINES©TANZweb.org_Klaus Dilger