Tanz Köln – Tanz im Schauspielhaus / Depot 1
Den Tiefsinn schlachten
Kurze Nachtkritik von Melanie Suchy
Peeping Tom aus Brüssel gastieren wieder im Schauspiel Köln im Depot 1. Im Rahmen der Reihe „Tanz Köln“ überraschte die berühmte Company von Franck Chartier und Gabriela Carrizo mit einem Stück, das fast ohne Tanz auskam, aber umso mehr Worte machte. Diesmal zeichnete nur Chartier für Konzeption und Regie. Der Titel ist unaussprechlich: „S 62° 58’, W 60° 39’“.
Was wollt ihr im Theater? Gefühle? Hier habt ihr Gefühle, sogar echte. Auch unangenehme. Ihr wollt Bühnenbild? Wir geben Euch Bühnenbild, großes Kino oder Historiengemälde: ein Eismeer, in dem ein Schiff steckengeblieben ist mitsamt einer untauglichen Besatzung, dazu viel Nebel. Ihr wollt Sinnbild? Hier ist es, das Scheitern, das zum Weitermachen aufruft irgendwie. Ihr wollt Brüche außer diejenigen im Schaumstoffpackeis? Aber klar, das Heraustreten der Darstellerinnen und Darsteller aus ihren Rollen wird zum eigentlichen Drama. Mehr noch: Die Katastrophe ist nicht das Überwintern im Nirgendwo auf der Position „S 62° 58’, W 60° 39’“, das Frieren, Warten, Hungern, Sterben. Sondern die Unzufriedenheit der Menschen mit ihren Rollen in dem Spiel oder Stück. Es wird gejammert, gemeckert und geheult, so dass es dem Eis wahrscheinlich leid tut, dass es das Schiff eingequetscht hat. Aber da kommt es jetzt nicht mehr raus.
Chartiers Wrackstück lässt sich als Liebeserklärung ans Theater, ans Spiel und dessen Magie betrachten; gleichzeitig als sein Abgesang, also als Ausdruck eines furchtbar tiefen Zweifels an der Sinnhaftigkeit von Kunst angesichts der Katastrophen in der Welt „da draußen“ (die auch, aber nicht nur das Packeis betreffen). Aber diese Zweifel sind vielleicht auch nur schick und gehören zur „Performance“ eines Künstlers, damit er heutzutage sein Geld wert ist. Der hier, der als Regisseur, „Franck“ genannt, sozusagen körperlos zuweilen aus dem Lautsprecher in Richtung Bühne lamentiert und kommandiert, ist ja Teil der Kreation, die ihr Gemachtsein offenlegt, aber dabei auch nur so tut als ob. Das ist für Peeping Tom ein neuer, unerwarteter, kritischer Dreh, der die Gemütlichkeit beim Anschauen stört und konsequenterweise die Erwartung hurtig herumrollenden Tanzes auch nur ein einziges Mal befriedigt.
Was es mit dem Hund, dem Fisch, dem toten Kind, Romeo und Julia und zu viel Plastik auf sich hat: Details dazu morgen