TanzwerkeVanekPreuß

Der Mensch, ein verwunschenes Wesen

 PHANTASMA Premiere in der Bonner Brotfabrik

Eine Kritik von Hedieh Feshari

„Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen“, so lautet ein altes asiatisches Sprichwort. Die Kompanie Tanzwerke VanekPreuss geht mit ihrem neuesten Werk „PHANTASMA“ dieser Warnung auf den Grund.

Wir schreiben den 19. Januar im offiziellen Krisenjahr Nummer vier. Es ist 20 Uhr. Draußen herrschen eisige Minusgrade. Drinnen, im fast ausverkauften Saal der Brotfabrik Bühne Bonn, ist es angenehm warm und wohlig. Der Raum verdunkelt sich. Wahrnehmbar sind nur noch laute, tiefe Atemgeräusche.

Natur vs. Kultur

Drei nebeneinander positionierte Figuren stehen auf der Bühne. Wie altägyptische oder persische Palastwächter auf antiken Mauerreliefs wirken sie. Abwechselnd synchron und asynchron bewegen sie sich in dieselbe Richtung. Dieser noch dargestellte aufrechte Gang wird jäh unterbrochen, als sich die drei auf dem Boden der Bühne wiederfinden, um sich dort auf allen Vieren, mit zu Fäusten geballten Händen fortzubewegen.

Was anfangs noch eine Aura des Erhabenen, Zivilisatorischen einer Hochkultur verströmte, ist einer animalischen, ursprünglichen Menschheitsform gewichen. Die allerorts propagierte Wunschkultur scheint nur bedingt mit einem hohen kulturellen Gehalt einherzugehen. Vielmehr zwingt es das Individuum [quasi kollektiv] auf die Knie. 

Die menschliche „Rück-Evolution“

Der symbolische Abstieg vom aufrechten in den gebückten Gang – eine im wörtlichen Sinne Re-Evolution – gipfelt in der Vereinigung des Trios als eine Art „Tier mit drei Rücken“ zu einer amorphen Masse. Es birgt Gefahren, wenn alle das gleiche Ziel haben. Das Subjekt wird plötzlich zum Objekt seines eigenen Begehrens und es zahlt hierfür den höchstmöglich vorstellbaren Preis: den Rückschritt in der Entwicklungsstufe. Aha-Moment oder Erkenntnisgewinn?

Diese erste Sequenz endet mit einem intensiven Blickkontakt der Tanzenden mit den Zuschauenden und sorgt fast für so etwas wie Irritation, begleitet von seltsamem Unwohlsein. Der Hinsehende fühlt sich regelrecht angestarrt, geradezu ertappt. Als ob die Darstellenden sagen wollten ‚Sieh genau hin! Du bist gemeint‘. Was Brecht mit Hilfe des Verfremdungseffekts im epischen Theater durch plötzliche eingeschobene Slogans und Infotafeln erreichte, findet hier sein Contemporary Dance Pendant. Mit dem feinen Unterschied, dass dieses sowohl Verstand als auch Gefühl der Zuschauenden anspricht.

PHANTASMA©Alessandro De Matteis

PHANTASMA©Alessandro De Matteis

Kopf und Herz formen den Charakter

Wie wir Menschen uns immer wieder von äußeren Einflüssen und aufoktroyierten Versprechungen respektive Dogmen von paradiesischer Erfüllung leiten lassen, wird besonders eindrücklich dargestellt, als das moderne Tanzterzett sich mit den Beinen in die eine Richtung bewegt, mit ihren Armen bzw.  Fäusten ihre Gesichter bzw. Köpfe – den Sitz ihres Verstandes – aber in die jeweils entgegengesetzte drücken. Abwechselnd wiederholen sich diese gegensätzlichen Bewegungsabläufe, indem sie ihre Fäuste ein anderes Mal auf die Brust bzw. das Herz – den Sitz der Gefühle – pressen. In einer letzten und dritten Ausformung drücken die Künstler:innen ihre Fäuste fest gegen ihre Wirbelsäulen, Sinnbild für das Rückgrat.

Dissonanz von Körper, Geist und Seele

Wer Letzteres nicht besitzt, gilt als Mensch bar jeder Integrität. Dieser steht und fällt, mit den Dingen, die man ihm verspricht. Während er sich für einen bestimmten Weg entscheidet, schweift sein Blick, das heißt seine Aufmerksamkeit, in andere Sphären ab. Seine wahren Gefühle sind nicht involviert. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ‚nicht mit dem Herzen dabei‘. Sein Charakter, sein echtes Wesen, repräsentiert nicht sein Handeln beim Versuch den Zustand der Glückseligkeit zu erreichen. Mit anderen Worten: Körper, Geist und Seele stehen nicht im Einklang zueinander.

Ergebnislose Innenschau

Hörbar ist ein kontinuierlich lauter werdendes Lachen, Kichern, Giggeln. Gefolgt von einer sich wiederholenden Sprachsequenz. Eine Art Sprechblase, die immer wieder von neuem die Worte „I’ve recently been looking at myself“ repetiert. Man fragt sich, was das Resultat dieses inneren Monologs sein mag. Die Lösung bleibt die weibliche Stimme den Zuschauer:innen schuldig. Vielmehr erscheint im Nachgang der laute hysterische Lachanfall wie eine Übersprungshandlung, die cachieren soll, wie substanz- und gegenstandslos der nach innen gerichtete Blick hier ist. Die Botschaft kommt subtil daher, aber sie wirkt nach: Wer stets Vollkommenheit im Außen sucht, kann nie wirklich den Zustand der absoluten Zufriedenheit erreichen.

PHANTASMA©Alessandro De Matteis

PHANTASMA©Alessandro De Matteis

Gesang und Stille auf der Tonspur

War die bisherige musikalische Untermalung von schweren, dunklen Klängen und maximal minimalistischem Sound Engineering geprägt, wird eins der zentralen Duette, getanzt von Geraldine Rosteius und Yorgos Michelakis, jetzt von melodischem Kopfstimmengesang begleitet. Wie ein Bruch erscheint das Solo von Tobias Weikamp, das teilweise ohne Musik auskommen muss und sehr dynamische Bewegungen beinhaltet. Akustisches Beiwerk ist hier nur die geräuschvolle Atmung des Solisten, die als stilistisches Mittel eingesetzt wird und im übertragenen Sinne für die Anstrengung, Mühe, das buchstäbliche Abhetzen des Einzelnen beim Erreichen seiner vermeintlich selbstgesetzten Ziele steht.

Weckten die lauten Atemgeräusche zu Beginn des Stücks zunächst noch naive Assoziationen mit Tiefseetauchen, wird dem Zuhörenden durch das hinzugefügte Sinuskurvengeräusch in der Mitte des Stücks klar, es handelt sich um eine Traumsequenz. Vielleicht sogar ein Koma (?)

Harmonie und Vollkommenheit

Beim zweiten Paartanz zwischen Rosteius und Michelakis erklingt eine melodiöse Opernarie. Der zeitgenössische Charakter der Performance bekommt eine renaissanceartige Atmosphäre. Rosteius posiert wie eine Madonna vor ihrem hockenden Tanzpartner Michelakis. Die verströmte Aura lässt sich am besten mit zwei sehr modernen Attributen beschreiben: sexy und stolz. Der feminine Gegenpart zu den männlichen Tänzern steht in völliger Harmonie zu sich, ihrem Körper und der eigenen Weiblichkeit.

Ist der Mensch bei der Vollendung seiner Wünsche endlich angekommen? Oder erschöpft er sich in der bloßen Jagd nach einem Traumbild, worauf der Nebentitel des Stücks „Tänze im Hamsterrad der Fantasien“ verweist? Der Auflösung finden Interessierte des Tanzgenerator Bonn bei den nächsten Vorstellungen am 2., 3. und 4. Februar.

PHANTASMA©Alessandro De Matteis

PHANTASMA©Alessandro De Matteis