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Hinter dem Zaun

„Leviah“ – ein Stück über Israel, Weiblichkeit und Gewalt von Reut Shemesh in der TanzFaktur Köln

Nachtkritik von Nicole Strecker

Sehr junge Frauen in Uniform – sie beflügeln seit jeher erotische Fantasien. 18 Jahre alt sind die Frauen in Israel, wenn sie zum staatlich verordneten Wehrdienst in die Armee müssen, an den meisten von ihnen dürfte noch ein bisschen familiärer Flaum haften. Und dann finden sie sich unvermittelt in einem chauvinistischen System wieder, in dem es immerzu um Kampf, Waffen, Staatsideologie geht. Um strikte Hierarchien, Befehle und: Sex. Denn im Kopf so manchen Mannes gehen nun mal militärische und erotische Potenz ziemlich durcheinander. Wer auf dem Schlachtfeld gegenüber den Geschlechtsgenossen mit seiner Männlichkeit protzt, kann sie offenbar kaum zügeln, wenn er aufs Gegengeschlecht trifft. So ist längst bekannt, dass speziell in der israelischen Armee sexuelle Belästigungen an der Tagesordnung sind. Auch für Choreografin Reut Shemesh muss ihre Zeit bei der Armee ein Martyrium gewesen sein, das sie speziell als Frau tief erschüttert hat. Was genau ihr widerfahren ist, deutet sie nur an – „something bad happened“ -, aber sie zeigt die Wirkungen auf ihren Körper: krampfartiges Zittern, Entfremdung vom eigenen Leib, selbstzerstörerische Schonungslosigkeit.

„Leviah“, was sich wohl mit „Löwin des Herrschers“, „Kämpferin“ und Heldin“ übersetzen lässt, heißt ihr neues Stück, in dem sie sich nach einer langen Phase der Verdrängung mit ihren Erfahrungen bei der Armee auseinander setzt und das in der Tanzfaktur Köln uraufgeführt wurde.

Ein Frauen-Duo ist so entstanden, drastisch und aggressiv. Der Raum ist noch vollständig in Dunkelheit gehüllt, als eine weibliche Computerstimme erklärt: Die enge Uniform sei ihr zum Symbol geworden – zum Symbol für verlorene Träume und sexuelle Konfusion. Die emotionslose elektronische Stimme begleitet an diesem Abend immer wieder den Tanz von Reut Shemesh und ihrer Partnerin Hella Immler. Sie erzählt von der Entdeckung der eigenen erotischen Attraktivität und der Sehnsucht nach einem Freund. Von Depressionen, Ekel und Wahnsinn, der sich eines Tages in der Zerstörung der Büroeinrichtung entlädt. Von dem Hass auf eine Institution, die Individualität, Freiheit, ja überhaupt jedes positive Gefühl, Zuneigung und Empathie abtötet. Ein starker Text, auf den Reut Shemesh und Hella Immler mit Tanzbildern reagieren, die eindringlich von den psychischen Turbulenzen erzählen, wenn sie den Unterschied zwischen Zärtlichkeit und Brutalität, wie auch zwischen maskulinem und femininem Habitus immerzu verwischen.


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Am Anfang ist es, als gebäre die Dunkelheit langsam zwei künstliche Kreationen: Zwei Frauen in ziemlich sexy aussehenden olivegrünen Uniformen – streng geschnittene Bluse, kurzer enger Rock, viel nacktes Bein. Doch aus den Soldatinnen ist jede weibliche Anmut getilgt. Mit ruckelig-kantigem Roboter-Charme exerzieren sie ihr militärisches Bewegungsrepertoire durch: Hand zum Schwur, Hand aufs Herz, die Beine breit und fest wie Pfähle in den Boden gerammt, die Arme in Siegerpose nach oben gereckt. Seelenloser Drill. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes: Während Reut Shemesh stramm steht, fließt plötzlich Urin unter ihrem Rock zwischen den gegrätschten Beinen hervor, plätschert leise auf den weißen Tanzboden. Eine Pinkel-Provokation. Aber noch viel mehr: ein sehr bemitleidenswerter Ausdruck von Angst. Ein Kontrollverlust und die Aufgabe von Selbstachtung und Würde.


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Wie viel Humanität lässt eine Institution zu, deren Existenzgrund die Gewalt ist? Wie Frau-Sein in dieser patriarchalisch-physischen Umgebung? Und wie jemals Frieden schaffen, wenn eine ganze Gesellschaft im Krieg geschult ist, jedes Mitglied die Erfahrung von Unterdrückung machen muss, von ideologischem Brainwashing und simplem, undifferenziertem Freund-Feind-Denken? Wie lassen sich Idealismus und utopisches Denken trotz staatlich verordneter Indoktrination bewahren? Das sind Fragen, die Reut Shemesh den Zuschauern in die Köpfe pflanzt, auch wenn ihre Produktion nach einem kraftvollen Anfang choreografisch etwas auf der Stelle tritt und ästhetisch allzu erwartbar dem typisch israelischen, ruppig-physischen Stil treu bleibt.

Ein bisschen zu oft suchen sie und Hella Immler die aggressive Körperkonfrontation, knallen mit dem Brustkorb gegeneinander als hätten sie keine weiblichen Formen –  sarkastisch im Walzertakt als hätte man es hier mit dem israelischen Initiations-Pendant zum Wiener Opernball zu tun. Sie verkeilen die Schultern ineinander wie zwei massige Bullen, heben sich hoch und man weiß nicht, ob die eine die andere beschützen will oder zerschmettern. Dennoch muss man die Schonungslosigkeit bewundern, mit der Shemesh und Immler ihre Körper der Deformation aussetzen, hecheln wie Hunde, auf die Knie krachen oder die Arme so lange gewaltsam ineinander verhakeln, bis die Fäuste ganz weiß vor Blutarmut werden.

Wer an diesem Ort, wer hinter dem Zaun war, dessen Weiblichkeit bleibt beschädigt – so das Fazit dieser Produktion, in der Shemesh sehr persönlich und mit expressivem Tanz ihr brisantes Thema umkreist. Ein Stück das ahnen lässt, wie sehr das Ende der Naivität auch politisch folgenreich ist.

weitere Aufführungen am 28.11.; 20 Uhr und 29.11.; 18 Uhr


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