7. Internationales Tanzsolofestival Bonn

SOLO – TANZ 

Von Intimität und Transformation

Im Gespräch mit Annelie Andre

Am Sonntag ist in Bonn das 7. Internationale Tanzsolofestival zu Ende gegangen, gerade noch rechtzeitig, ehe in Deutschland alle Aufführungen vor Publikum für einen Monat untersagt bleiben.

Landauf – Landab hatten sich Choreografinnen in den letzten Monaten bemüht, ihre Arbeiten „Corona-gerecht“ zu entwickeln, unter Einhaltung der Abstandsregeln auch der Tänzer*innen untereinander. Ein Problem, das vermehrt das Format des Solotanzes in den Fokus gerückt hatte, auch wenn der Solotanz eine sehr lange und eigene Geschichte aufweist. Um die vielfältigen Aspekte der solistischen Arbeit tiefer zu beleuchten, wurde im Rahmen des Bonner Festivals eine Veranstaltung unter dem Titel „Symposium / Solo Dance – Focussing on the Self and Beyond“ abgehalten, die sich vorwiegend an ein Fachpublikum richtete. Hierin enthalten ein Keynote-Vortrag der Kölner Professorin am ZZT Dr. Yvonne Hardt mit dem Titel “Solo – Singularity – Soli/darity – on the Aesthetic, Production-Immanent and Political Dimensions of Solo Dance“. Dieser Vortrag wurde auch als Live-Stream übertragen und war, wie der Titel vermuten lässt, der Versuch, sich aus wissenschaftlicher Sicht der Kunstform zu nähern. Wir wollten  gerne von einer jungen Künstlerin wissen, was die künstlerisch solistische Arbeit aus einem ganz persönlichen Aspekt heraus bedeutet und sprachen hierüber mit der Choreografin und „Dance&Dare“-Autorin Annelie Andre (A.A.):

TANZweb: Was ist denn die besondere Herausforderung an einem „Solo“, auch unter dem Aspekt der hier verwendeten Begrifflichkeiten?

A.A.: Choreograph*innen kommen immer wieder in die Situation, an einem Solo zu arbeiten, auch für sich selbst. Das hat verschiedene Gründe. Da ist einerseits der ökonomische Aspekt, dass Soli mit kleinen Budgets einfach besser realisierbar sind als Gruppenstücke und sich somit auch für Gastspiele besser eignen. Aus meiner persönlichen Sicht ist es eine Arbeit, die dem Kern so nahe ist. Dem Kern dessen, was mich als Künstlerin ausmacht, was mein Blick auf die Welt, mein innerer Motor ist.  Es ist schön, einfach loszulegen, sich treiben zu lassen und die eigene Quelle der Kreativität immer wieder neu zu erfahren. Was ist in mir präsent, was bewegt mich und wie kann ich andere damit bewegen? Auch wenn es nicht darum geht, meine persönliche Geschichte zu erzählen, bin doch ich diejenige, die Themen aufgreift, sie durch ihren Körper fließen lässt und auf eine transformierte Weise mit dem Publikum teilt. Dieses (sich) Teilen mit all seiner Selbstverständlichkeit, Offenheit und Kraft mag ich sehr.

TW: Worin liegt denn der wesentliche Unterschied zwischen einer Soloarbeit und einer Gruppenchoreographie?


Im Prozess einer Solo Kreation stellen sich grundlegende Fragen noch dringlicher als sonst: was ist Präsenz (auf der Bühne)? Wie ist meine Verbindung zu Raum, Klang, Licht, meinem eigenen Körper? Nehme ich direkten Kontakt zum Publikum auf und durchbreche die 4. Wand oder bin ich isoliert und für mich? Was ist es, was ich mit meiner Performance sagen will? Die Nähe zu mir als Performerin ist prägend – „ich habe mich immer selbst dabei“ und kann mich somit auf sehr direktem Weg ausdrücken.

Ich bin ein wandelndes Archiv an Erfahrungen, Wissen und Visionen, die im Moment der Performance subtil oder offensichtlich mitschwingen.

Im Gegensatz zum Solo ist der Prozess des Choreographierens mit anderen Tänzer*innen, also das Übersetzen meiner Idee in andere Körper, hier nicht relevant. Dabei geht nämlich manchmal einiges an Essenz verloren, doch gibt es natürlich auch Halt und definiert die Perspektive klar: meinen Außenblick als Choreographin und den Innenblick der Tänzer*innen. Doch wie sehe und fühle ich mich als Solist*in, die zugleich Choreographin ist? Was ist nach außen hin sichtbar? Den Innenblick und die Perspektive von außen zu vereinen, ist bei dieser Form des Kreierens eine besondere Herausforderung. Denn ich habe nur meine eigene Wahrnehmung als Referenz und kann die Wirkung, die ich ausstrahle, nur erahnen. Vermittelt sich das, was ich ausdrücken möchte?

OTIME_06_J.FRANKEN

OTIME_06_J.FRANKEN

TW: Begrenzt die Soloarbeit denn nicht auch die Vielfalt an Ausdrucks- und Aussagemöglichkeiten? Ist das nun eher Limitierung oder Freiheit?

Es ist als Solist*in allenfalls eine Limitierung, nur sich selbst zur Verfügung zu haben und zugleich – oder gerade deswegen – bedeutet es Autonomie. Eine Autonomie als Privileg, in meiner eigenen Zeit, in meinem Fluss, in meiner ganz individuellen Welt forschen und choreographieren zu können.

TW: Was machen Solostücke interessant für ein Publikum?

Die Begrenzung, ja diese Fokussierung auf diesen einen tanzenden Körper auf der Bühne macht es den Zusehenden leicht – man kann sich ohne Zerstreuung auf nur eine Person konzentrieren. Früher oft in Form von „kurzen Nummern“ zum reinen Zwecke der Unterhaltung dargeboten, werden Solo Stücke im zeitgenössischen Tanz  jedoch oft zu Projektionsflächen für die eigenen Wünsche und Visionen der Zusehenden.

Das Betrachten dieses einen Körpers auf der Bühne evoziert eine direkte Konfrontation mit dem eigenen Selbst. Sich in Relation dazu zu setzen, zu projizieren und Empathie zu entwickeln, sind Teil der Erfahrung. Kann man aus dem Betrachten dieser körperlichen Ausdrucksfreiheit, aus dem Erleben von Vielfalt etwas Neues über sich und eigene Limitierungen erfahren? Dieser Vorgang der Identifikation ermöglicht eine ganz spezielle Form der Intimität. Ein Eintauchen durch den Tanz, durch den menschlichen sich bewegenden Körper. Eine Intimität, die die Grenze zwischen Performer*in und Publikum aufweicht, zutiefst menschlich ist und für die Zusehenden eine neu Art der Nähe zu sich selbst eröffnet – Chance und Herausforderung zugleich.

Emanuele Soavi in PANsolo-©Joris-Jan-Bos

Emanuele Soavi in PANsolo-©Joris-Jan-Bos

TW: Macht die Arbeit an einem Solo nicht auch einsam?

Die Nähe und Intensität, die zum Publikum entsteht, ist natürlich auch zu mir selbst als Performerin gegeben. Nur wenn ich klar bin, mit dem was ich tue und was ich transportieren will, kommt es auch so an. Nur wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, werde ich vom Publikum ernst genommen. Man merkt sehr schnell, wenn dem nicht so ist. Und das kann schmerzhaft sein. Denn man macht sich verletzlich und ist sehr direkt und ohne Umwege der Meinung des Publikums ausgeliefert – und zwar alleine.
Abgesehen davon hat man nicht immer Lust, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Konfrontation mit eigenen Denk- und Bewegungsmustern ist im Solo Prozess allgegenwärtig. Wie kann ich diese also immer wieder aufbrechen, neu erfinden, oder auch einfach anerkennen und nutzen?

Man kann sich ganz schön klein und nichtssagend fühlen in einem leeren Studio, auf einer großen Bühne, vor den Augen vieler kritischer Zuseher*innen. Es ist eine feine Linie zwischen einem voyeuristischen und einem wohlwollenden Blick, dem man sich aussetzt. Doch lag nicht immer schon ein gewisser Reiz sowohl in den Gefühlen des Sich-Zeigens als auch in der Einsamkeit? Und da dies Gefühle sind, die wir alle kennen, machen sie uns weich und durchlässig für das, was wir zu sehen bekommen. Ein wichtiger Vorgang.

Ich finde eher schade, dass oft nicht bewusst wahrgenommen wird, wie viele weitere Akteur*innen meist an Solo Stücken beteiligt sind. Bühne, Kostüm, Sound, Licht, Dramaturgie sind alles Felder, die die Performance essenziell definieren. Objekte werden zu Spielpartnern, das Publikum wird Teil der Szenerie. Viele Soli entstehen also kollektiv und sind somit ganz und gar keine einsamen Prozesse. Trotzdem wird oft nur der/die Solist*in angesprochen und in Kritiken namentlich erwähnt.

Biennale-Danza-di-Venezia_Nathalie-Larquet-_-Strategies-of-the-Imperceptible

Biennale-Danza-di-Venezia_Nathalie-Larquet-_-Strategies-of-the-Imperceptible

TW: Besteht bei der Einheit von Tanzendem und Choreographierendem nicht auch die Gefahr, dass dieser Mangel an Abstand zu einem Ergebnis führt, das nur noch das Ego behandelt aber nicht mehr etwas allgemein Gültiges, das über das Selbst hinausgeht?

Diese Frage beschäftigt mich oft, denn es ist für mich durchaus wichtig, über den Rahmen des Selbstreferentiellen hinaus zu gehen. Einerseits möchte ich mein Publikum bewegen und andererseits darf es nicht das einzige Sinnen und Streben sein, alle gleichermaßen intensiv erreichen zu wollen. Denn das wird nie passieren. Ich öffne allerdings gerne in solistischen Prozessen schon zu einem frühen Zeitpunkt die Türen für eine Art Test-Publikum, um in offenen Proben einen kritischen Außenblick zu haben und mit den Menschen in Austausch zu sein. Dadurch wird der Prozess nahbarer für die Zusehenden und zugleich nehme ich Abstand zu mir selbst, indem ich andere Perspektiven schon weit vor der Premiere miteinbeziehe.

Es ist für mich in jeder Solo Kreation von Neuem spannend zu fragen, ob es eine Rolle ist, die ich spiele, ja ein Charakter, dem ich meinen Körper und meine Stimme leihe. Oder bin ich es – voll und ganz authentisch auf der Bühne? Es hat einen besonderen Reiz, sich zu fragen, wer man sein möchte und auf welche Art von Verwandlung man sich einlässt. Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Und auch, wenn es eine Rolle ist, in die ich schlüpfe, ist es schwer, die eigene Performance sowie das Feedback dazu von mir selbst zu trennen. Denn die Art, mich mit Themen auseinanderzusetzen – und sei es die Beschäftigung mit etwas komplett Fremdem – färbt das Stück und macht es somit zu „meinem“. Meine Augen, mein Geist, mein Körper, die sich in das Unbekannte vorwagen, es durchdringen, Entscheidungen treffen und immer wieder neue Welten entdecken.  Darin liegt für mich als Choreographin die Faszination: mich dem Fremden anzunähern, Impulse aufzugreifen und der Metamorphose, die damit einhergeht, Raum zu geben. Eine Metamorphose, die ausnahmslos immer stattfindet – ob aus künstlerischer, persönlicher oder beobachtender Perspektive. Man kann mit wenig viel(e) erreichen.

SOLO©TANZweb.org_Klaus-Dilger

SOLO©TANZweb.org_Klaus-Dilger – Thiago Granato in einer Mehrfachbelichtung aus seinem Solo TRRRR während des 7. Internationalen Tanzsolofestivals Bonn