War Jesus ein Linker?

Boys just wanna have fun


VanekPreuß feiern Premiere in der Bühne der Brotfabrik

Eine Kritik von Hedieh Feshari

 

Triggerwarnung: Der folgende Text enthält Beschreibungen nackter schwitzender Männerkörper, die sich in spielerischer Art und Weiser singend und tanzend kontrovers diskutierten Themen unserer Zeit widmen. Zart besaitete Seelen sollten jetzt „weglesen“. Alle anderen wissen Bescheid.

Konfusionen soweit das Auge reicht: Wenn das Duo Karel Vaněk und Guido Preuß der Tanzkompanie VanekPreuß auf der Bühne im Theater der Brotfabrik stehen und eine Einführung in ihr neuestes Werk „Boys Confused Part I“ geben, reibt man sich zunächst verwundert die Augen. Umgeben von bunt leuchtenden LED-Kuben, in adrette schwarze und burgunderfarbene Samtsakkos gekleidet, mit Mikrofonen in der Hand, kommt der Gedanke hoch: ist das noch Tanz oder sind wir schon im Musical angekommen?

Experimentelles Erörterungstheater
Die Auflösung folgt auf dem Fuße – vor den Augen und Ohren des Publikums entfaltet sich ein Chanson Abend der besonderen Art: eine Mischung aus Theater, Musical und zeitgenössischer tänzerischer Darbietung gespickt mit sozialkritischen Mono- wie Dialogen. Avantgardistisch –  oh ja! Dabei gleichzeitig humorvoll und unterhaltsam – auf jeden Fall!


Kulturelle Aneignung mit Ansage
Berühren will das Duo das Publikum, nach eigener Aussage. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – ohne es dabei zu belästigen oder neudeutsch offensive zu sein. Beides gleicht heutzutage einem Drahtseilakt. Selbst im kreativen Kosmos, in dem alles von der Kunstfreiheit gedeckt sein sollte. Danger Dan von der Antilopengang lässt grüßen. Diese Widersprüchlichkeiten spüren Karel Vaněk und Guido Preuß mit vollem Körpereinsatz und allem auf, was ihre Stimmen hergeben.

Wie zwei Seismographen verpacken sie ihre Zeitgeistkritik und transportieren diese in Form einer Revue auf die Theaterbühne. Sich selbst packen sie in ultra-knappe hautenge Hotpants im Denim Style. All das soll zeigen – sie scheuen weder die Provokation noch die damit einhergehende Debatte. Konfliktscheue Fehlanzeige!

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer

Ist das woke oder einfach nur weak?
Ist das L’art pour l’art Prinzip tot? Muss Kunst zwangsläufig immer einen Bildungsauftrag erfüllen? Und was macht das mit dem freien Denken mit einer demokratischen pluralistischen Gesellschaft? Die Gefahr: bei einer unkontrollierten Entwicklung könnten diese universellen Prinzipien sukzessive der immer weiter um sich greifenden Cancel Culture zum Opfer fallen.

Diskurs statt Disco
„Früher war irgendwie mehr Lametta“ – an diesen Spruch aus dem Sketch „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ anno 1976 (Quelle: Loriot), mag „Mann/Frau/Divers“ (Quelle: Guido Preuß) sich erinnert fühlen, wenn Vaněk und Preuß geschickt zwischen den sinnbildlichen Denkboxen bzw. -Schubladen der heutigen Zeit hin- und hertänzeln. Die regenbogenfarbenen Bühnenrequisiten sind viel mehr als bloße Deko: versiert setzt das Tanz Duo sie als Stilmittel ein, indem sie sie als buchstäbliche Abgrenzungsräume und Hindernisse inszenieren und dabei mit, auf, über und neben diesen agieren. In einer Sequenz werden sie sogar von ihnen in Sisyphos artiger Manier hin- und hergeschleppt. Und man kommt nicht umhin zu reflektieren, ob jeder Satz, jede Bemerkung, jeder frei geäußerte Gedanke nur noch mit Gold aufgewogen wird. War früher wirklich alles leichter war oder wiegt heute einfach alles nur schwerer?

Die Lichtboxen repräsentieren in diesem Zusammenhang die vielen einzelnen Communitys respektive Safe Spaces, in die sich Menschen scheinbar immer weiter zurückziehen, um sich von der vermeintlich feindseligen Außenwelt abzuschotten. Miteinander reden ist out, übereinander reden hingegen total im Trend. Tja, „Das Leben ist nicht nur Pommes und Disko“ (Quelle: unbekannt). Sei’s drum!

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer

Nackte Haut gleich nackte Wahrheit
Wenn Karel Vaněk im Adamskostüm, wie Gott – pardon Universum – ihn schuf, den Denker von Auguste Rodin (1880/82) mimt und Guido Preuß über die die Empörung einiger Eltern von Schuldkindern aus Florida zu Bildern von Michelangelos nackter Davidstatue im Kunstunterricht referiert, wächst die titelgebende Confusion umso mehr und der ein oder andere Mensch im Publikum reagiert mit müdem Kopfschütteln.

Jesus war ein Linker!
Doch damit nicht genug. Im ebenfalls südlich gelegenen US-Bundesstaat Utah verurteilten jüngst religiöse Grupperungen bestimmte Bibelpassagen als pornographisch. Angesichts solcher Entwicklungen wird es immer schwieriger festzulegen, was noch heilig ist: ein allgemeingültiger Rationalismus à la Immanuel Kant? Der Name ist nicht mehr sagbar aufgrund seiner phonetischen – wenig schmeichelhaften – Entsprechung im Englischen. Jesus Christus? „Viel zu links“ – bemerkt Guido Pruß polemisch. Es bleibt einem fast das Lachen im Halse stecken. Komik und Tragik liegen eben doch gefährlich nah beieinander.

Ok, Boomer.

Das Spiel ‚Guter Bulle, böser Bulle‘ erlebt in der Aufführung eine interessante Neuinterpretation: Guido Preuß gibt dabei den vermittelnden Part zwischen Mainstream und Publikum. Dem gegenüber steht Karel Vaněk mit seiner meist konträren Auffassung, welche den so genannten alten weißen Männern zugeordnet wird. Dem anschließend geben beide im Duett ein sehr eigensinniges Cover des Pop Songs Chasing Waterfalls (1994) des amerikanischen R’n’B Trios TLC wieder.

Die darin besungenen metaphorischen bekannten Gewässer, die Mann besser nicht verlassen sollte, korrelieren nicht nur zufällig mit der deutschen Redewendung „Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten“. Es wirkt fast wie eine ironische Umkehr der Aufforderung, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und nicht immer nur die alten Gedanken und Überzeugungen wieder zu käuen. Diese Fähigkeit scheint die heutige Gesellschaft den „Verwirrten Jungs“ mittleren Alters per se aberkannt zu haben.

Check your privileges
Herkunft, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Non-Binarität und die damit einhergehende Macht: das alles sind Themen mit immenser Sprengkraft. Diesen heißen Tanz auf dem Vulkan der Political Correctness beherrschen Vaněk und Preuß wie keine anderen und hinterfragen dabei gleichzeitig die Intentionen der aktuellen Identitätspolitik sowie Genderdebatten. Das Stück endet so heiter und leicht, wie es begonnen hat – mit einem wunderschön gesungenen Bossa Nova in portugiesischer Sprache. Das Stück gibt dem Publikum die richtigen Denkanstöße und Impulse. Was es daraus macht, ist jedem selbst überlassen.

Die nächsten Vorstellungen finden am 20., 21. und 22. Oktober statt.

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer

boys confused_vanekpreuß©Günter Krämmer