Deutscher Tanzpreis an Gert Weigelt verliehen

Im Rahmen einer mehrstündigen Gala mit Tanz im schönen Aalto-Theater in Essen

HIER geht es zur Laudatio von Thomas Thorausch

In Kürze folgen Ausschnitte und Impressionen der Gala und der Beiträge in Form unserer Videoimpressionen hier an dieser Stelle.

Erneut in der Trägerschaft des Dachverband Tanz Deutschland, wurde gestern Abend im Aalto Theater in Essen der Deutsche Tanzpreis an den Tanzfotografen Gert Weigelt verliehen, sowie zwei Ehrungen vergeben an Jo Parkes und die Choreografin Isabelle Schad, die beide in einem Festakt tags zuvor auf PACT Zollverein ausgiebig gewürdigt wurden. (Wir berichteten)

Die herausragende Laudatio auf den Preisträger hielt Thomas Thorausch, stellvertretender Leiter des Deutschen Tanzarchivs in Köln.

Gleichzeitig fand im Rahmen des Deutschen Tanzpreises eine zweitägige Konferenz zum Thema „Positionen: TANZ“ statt, die unsere Kritikerin Laura Brechmann in einem gesonderten Artikel zusammenfassen wird. Diese Positionen müssen in einem solchen Kontrast zur Galaveranstaltung gestanden haben, der unsere Kritikerin zu nachfolgendem Kommentar veranlasst hat:

Willkommen in der deutschen Tanzblase

Nachtkommentar von Laura Brechmann

Wieder einmal wird der deutsche Tanzpreis im Aalto-Theater Essen verliehen. Wieder einmal versammelt man sich, um einer überragenden Persönlichkeit des Tanzes die renommierte Würdigung zukommen zu lassen. Wieder einmal begleitet eine Gala den Abend und gibt Tänzer*innen auf der Bühne die Möglichkeit zu strahlen, ebenso wie den Besucher*innen im Foyer. Es ist eine Preisverleihung nach Protokoll, vom verspäteten Beginn über die eloquenten Dankensreden bis hin zum gigantischen Blumenstrauß für den Preisträger. Gert Weigelt, mit dem erstmalig ein Tanzfotograf vom Gremium ausgezeichnet wird, zeigt sich unbeeindruckt von Glanz und Glamour. Mit einem Augenzwinkern kommentiert er das Verleihungs-Procedere und weiß doch die Ehre merklich zu schätzen, die ihm an diesem Abend zuteilwird.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Betrachtet man Weigelts Werk in Form von mehreren Ausstellungen und unzähligen Tanzfotografien so ist seine Bedeutung für den deutschen Tanz nicht zu unterschätzen. Seine Bilder, so formuliert es Thomas Thorausch, stellvertretender Leiter des Deutschen Tanzarchivs Köln, treffend in seiner Laudatio, geben der vergänglichen Kunstform Tanz einen tieferen Wert, da es ihm gelingt, in jedem Bild eine eigene fotografische Vision umzusetzen. Mit seinem analytischen Blick ist Weigelt Partner der Choreografen und keineswegs Dienstleister für Presse oder Theater. Er stellt „den Tänzer und die Tänzerin ins Zentrum“ (Thorausch); bildet nicht ab, sondern transformiert den Tanz in eine Fotografie mit eigenständigem künstlerischem Wert.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Die Preisverleihung, und vor allem der dreiminütige Film „Pinatz“, den Weigelt in den 90ern als humorvolle Hommage an Pina Bausch gedreht hat, kommen erfrischend unaufgeregt daher und sind die Highlights des Abends. Das weitere Gala-Programm hingegen ist vor allem mit Blick auf die begleitende Tagung „Positionen: Tanz“, die der Tanzpreis-Verleihung unmittelbar vorausgeht und ebenfalls vom Dachverband Tanz Deutschland veranstaltet wird, kaum nachzuvollziehen. Nur Stunden zuvor diskutierten Künstler*innen, Produzent*inne und Initiator*innen aus Theatern, Schulen und Sozialverbänden über die Bedeutung und Sichtbarkeit von Tanz in der Gesellschaft; sprachen sich für Diversität, Solidarität und zivilgesellschaftliches Engagement aus; thematisierten die Arbeits- und Produktionsbedingungen von Tänzern*innen wie auch die Notwendigkeit eines ethischen Codex im Tanz.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Das Staatsballett aus Berlin mit Balanchine’s „Rubies“, die leider gar nicht glänzten. Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Überraschend sehenswert dagegen das Staatsballett Berlin mit Sharon Eyal’s „Half Life“, bei dem das Publikum in Essen widerum scharenweise davonlief. Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

In der Philharmonie haben diese Fragen keine Bühne mehr. Alles funkelt, alles lächelt. Im Parkett, auf den Balkonen und angestrengt verzerrt auf der Bühne. Das Gala-Programm zeigt Ausschnitte aus Choreografien wichtiger Weggefährten Weigelts („Rubies“ von George Balanchine und „The man I love“ von Lutz Förster aus Pina Bausch berühmter „Nelken“-Inszenierung) und wird von stimmungsvollen Balletten ergänzt. In den Inszenierungen „Im Wald“ (Xing Peng Wang), „Trois Gnossiennes“ (Hans van Manen) und die bereits erwähnte Choreografie „Rubies“ sind in all ihrer Klassik die offensichtlichsten Beispiele dafür, dass vor allem die Ballettwelt nur bedingt gewillt ist, sich zu transformieren und sich den Herausforderungen einer zunehmend diversen Gesellschaft zu stellen. Pina Bausch und ihre wegbereitenden Inszenierungen seien hiervon ausgenommen. Ihre Kunst stand zu Lebzeiten nie still, war kritisch, war gesellschaftlich. Ihr Blick nie sehnsuchtsvoll zurückschauend, sondern stets wach nach vorne gerichtet.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Doch Pina Bausch ist tot. Und jetzt, an diesem Gala-Abend wirken die Projekte der beiden weiteren diesjährigen Preisträgerinnen, Choreografin Isabelle Schad und Künstlerin Jo Parkes/Mobile Dance, im Nacheinander der Programmpunkte merkwürdig deplatziert. Dem Ausschnitt aus „Collective Jumps“ – eine Inszenierung, die sich mit Gemeinschaftsbildung im Tanz auseinandersetzt und im auffälligen Gegensatz zu Technik und Thematik der Ballette steht– fügt die Moderatorin beinahe erklärend nach, dass der Gala-Abend Vielfalt zeigen und „Zwischentöne“ zu Gehör bringen möchte. Auch die Videoinstallationen von Jo Parkes, die über ihre Projekte im Bereich „Community Dance“ informieren, finden im Foyer nur nebenbei Beachtung. Zwar bekommen beide Künstlerinnen später am Abend ihre Urkunden offiziell überreicht, aber die Fragen, die sie, und Tanzschaffende deutschlandweit, vermehrt sowohl künstlerisch wie auf Produktionsebene stellen, bleiben ungehört.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Isabelle Schad’s „Collective Jumps“ – Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Eine gesellschaftliche Welt außerhalb der Philharmonie scheint es nicht zu geben. Dabei wäre die Gala eine gute Gelegenheit, um Fragen nach Ethik und Diversität im Tanz aufzuwerfen, um das Bewusstsein darüber zu verstärken. Das Gehör von Vertreter*innen von Stadt und Land und den Zuschauer*innen der gehobenen Mittelschicht wäre ihnen gesichert, wenn vielleicht auch nicht ihr Einverständnis. Doch statt Risiken einzugehen, Kritikpunkte offenzulegen heißt es wieder einmal:

Willkommen zur Verleihung des deutschen Tanzpreises. Willkommen in der deutschen Tanzblase.

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis Gala 2019©TANZweb.org_Klaus Dilger

Tanzpreis-Gala-2019©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Tanzpreis-Gala-2019©TANZweb.org_Klaus-Dilger