Maura Morales bei tanz nrw ’21

Blinde Suche

Mit „Cherchez le femme“ wird eins übersehen: die Frau

Von Rico Stehfest

Da stehen sie nun und können wohl nicht anders. Drei Frauen, und um ihre „Funktion“ als solche geht es hier schon gemäß dem Titel, konfrontieren das Publikum gleich zu Beginn mit dessen eigenen Vorurteilen. In der Aufzeichnung, die eben tatsächlich vor Publikum stattgefunden hat, ist für den Betrachter des Streams die direkte Wirkung offensichtlich. Ein optisch rätselhaftes Bild, das sich inhaltlich augenblicklich erschließt: Die drei Performerinnen tragen verspiegelte runde Scheiben vor dem Gesicht, sich selbst damit als Individuen (hier: als Frauen) ausblendend, negierend und damit dem Publikum als Projektionsfläche dienend. Bedeutungsvolles Posen. Die Arbeit von (und mit) Maura Morales greift hier bildlich wie thematisch auf die Bildsprache der US-amerikanischen Fotografin Francesca Woodman zurück. Deren weibliche Akte zeigen oftmals undeutliche bis teilweise gar komplett verborgene Gesichter, nicht selten stand sie dabei selbst vor der Kamera.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.

Diese Befragung des weiblichen Körpers und des gesellschaftlichen Blicks darauf hat nichts an Aktualität verloren. So gesehen ist es konsequent, dass Morales hier die Körper ihrer Tänzerinnen ausgestellt, nicht allein durch bloße Nacktheit. Auch in weit ausholenden Gesten, teils expressiv groß, mal konvulsiv in sich verdreht zeigt sich der äußere Ausdruck der inneren Reflexion. Immer wieder gibt es Augenblicke der Kontemplation, des Innehaltens, aber auch innerer Widersprüche. Das Anlegen von fertigen Gipsabdrücken, vielleicht des eigenen Körpers, vielleicht eines fremden, verfremdet die Frau zum Objekt. Mihyun Ko performt auf einer dunklen Couch, die ihre Nacktheit noch stärker sichtbar sein lässt, bis der Körper und damit das Objekt zwischen den Polstern, also von der Oberfläche verschwindet.

Eine Pause bringt Illusionsbrechung; Maura Morales reicht Mihyun Ko eine Wasserflasche. Was folgt ist ein Text, der die Frau als „Problem“ bezeichnet, als Problem an sich, denn sie sei Verführerin, Mutter und noch vieles andere mehr. Es braucht nicht lange, bis deutlich wird, dass sich diese Aussagen auf die Fotografin Woodman beziehen. Das wirft eine grundlegende Frage auf: Worin besteht die Intention, die Aussage dieser Arbeit? Ist sie mehr als ein verlängerter Arm Woodmans? Morales findet durchaus eine eigenständige Sprache im choreografischen Ansatz, nur scheint es an eigenen vermittelten Inhalten zu mangeln. Die eigene Stimme, sie spricht hier nicht.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.

Diese Suche, wie sie der Titel aufwirft, scheint hier die sprichwörtliche Sache mit dem Wald und den Bäumen zu sein. Die aufgeworfenen Problematisierungen erwecken den Anschein, als würden die Performerinnen ihr deutlich vorhandenes Selbstverständnis als Frauen schlichtweg übersehen. Ein erfolgreiches in Frage stellen eines Rollenverständnisses oder gar eventueller gesellschaftlicher Rollenzuschreibungen ist zumindest nicht erkennbar und bei diesen Performerinnen gefühlt auch gar nicht sinnvoll weil überflüssig. Selbst in den schwächsten Momenten wohnt diesem Trio eine grundlegende dynamische, tatsächlich individuelle Stärke inne.

Der offensichtliche Zusammenschnitt des Streams aus mehreren Performances unter zusätzlichem Einsatz einer äußerst verwackelten Handkamera, die nicht sonderlich gelungen komponierte Nahaufnahmen einfängt, tun dem Ganzen auch keinen Gefallen.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.

Maura-Morales-Cherchez-la-Femme©Klaus-Handner.