„schlafwandeln im Wald – etwas Schönes finden – wieder nach Hause…“

Boris Charmatz zeigt im Rahmen von „WUNDERTAL“ sein 2020 entstandenes Solo „SOMNOLE“ im ehemaligen Schauspielhaus und zukünftigen Pina Bausch Zentrum

Nachtgedanken und Bilder von Klaus Dilger

„Schlafwandeln im Wald – etwas Schönes finden – wieder nach Hause“…, so hätte eine Aufgabe lauten können, wie sie Pina Bausch ihren Tänzerinnen und Tänzern für ihre Collagen-artigen Werke immer wieder gestellt hatte und die, wenn die daraus entstandenen Fragmente der Choreografin gefallen haben, kurze Teile ihrer weltberühmten Stücke geworden sind.

SOMNOLE, das Boris Charmatz 2020 entwickelt hat, ist knapp 50 Minuten lang (gefühlt weitaus länger). Es hätte zur erdachten Aufgabe passen können. Es wurde nun im ehemaligen Schauspielhaus Wuppertal, im Rahmen der Veranstaltungsreihe WUNDERTAL zweimal vor ausverkauftem Haus aufgeführt Fünfzig Minuten, in denen sich der Choreograf und Interpret Boris Charmatz, neuer künstlerischer Leiter des Tanztheaters, vollkommen verausgabt, was umso beeindruckender ist, als er sich dabei (nahezu durchgängig) pfeifend begleitet.

Zwei Tage zuvor war es die Masse an Teilnehmenden, die sich unter der Schwebebahn vollkommen verausgabte, begleitet von teilweise pompös wirkenden Orgelklängen. Die Aktion der Masse mit dem erklärten Ziel, ein Höchstmaß an Energie durch Bewegung und Farbigkeit freizusetzen das doch auch, ein Kreisen um sich selbst war mit Anderen um sich selbst Kreisenden. Für Viele ein Fest, das sie genossen und gefeiert haben, das sich dennoch für nicht wenige der Zuschauenden nach spätestens zwanzig Minuten erschöpft hatte, nicht zuletzt weil dem Prinzip doch schnell die Luft ausgeht, es zu durchschaubar und eindimensional geblieben ist.

SOMNOLE_Boris Charmatz@TANZweb.org_Klaus Dilger

SOMNOLE_Boris Charmatz@TANZweb.org_Klaus Dilger

Dieses Spiel um die vollkommene Verausgabung treibt Charmatz in SOMNOLE pfeifend auf die Spitze.

Einen träumerischen Zustand zwischen Wachen und Schlafen sucht Charmatz laut Programmheft als Quelle schöpferischer Ideen. Er will, dass seine „…choreographischen Ideen im Liegen entstehen, wenn man kurz vorm Einschlafen ist, wenn man schläfrig wird. Ich würde gern ein schlaftrunkenes Solo machen das seine Inspiration aus solchen Übergangszuständen schöpft in denen alles ein wenig verschoben ist. …“ Als Schwierigkeit dabei beschreibt Charmatz an anderer Stelle, dass er, um noch pfeifen zu können, nicht so angestrengt tanzen dürfe, dass er außer Atem gerate.

Auch hier ein Kreisen um sich selbst als Thema und Prinzip, dem leider ebenfalls nach zwanzig gefühlten Minuten die Luft ausgeht, auch wenn Charmatz dies gekonnt, amüsant und mit vollem Einsatz inszeniert und die Situation auch dann noch meistert, wenn alle glauben, er sei nun doch ausser Atem geraten. Wirklich überraschend ist an diesem Abend aber nur, wenn das Publikum erstmals gewahr wird, dass es tatsächlich der Tänzer ist, der sich selbst, vor allem pfeifend, begleitet, denn das macht Charmatz wirklich gekonnt.

Dabei gelingen ihm tatsächlich auch schöne und starke Momente, die am Ende zurecht mit viel Beifall vor ausverkauften Rängen belohnt wurden.

Dass ihm dieser Applaus im ehemaligen Schauspielhaus, an der Wirkungsstätte von Pina Bausch und ihrem Ensemble, dem Tanztheater Wuppertal, viel bedeutet, ist dem neuen künstlerischen Leiter dieser Compagnie anzusehen.

SOMNOLE_Boris Charmatz@TANZweb.org_Klaus Dilger

SOMNOLE_Boris Charmatz@TANZweb.org_Klaus Dilger