Neuausschreibung und Wahl der Künstlerischen Leitung des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
Ein Kommentar von Klaus Dilger
Titelbild: Pina Bausch “Chile Stück” – como el musguito en la piedra ay si si si ©TANZweb.org_Marcelle Münkel
Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch geht neue Wege, wenn es um die Besetzung der Künstlerischen Leitung des weltberühmten Ensembles geht, die notwendig geworden ist, nachdem Bettina Wagner-Bergelt ihren bis Ende der Spielzeit 2020 | 21 laufenden Vertrag wohl nicht über diesen Zeitpunkt hinaus verlängern möchte.
Nach dem Debakel und der internen Zerreissprobe rund um das Engagement und die kurz darauf folgende fristlose Entlassung ihrer Vorgängerin, einschliesslich gerichtlicher Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung, war der vertragliche Zeitrahmen für die Doppelspitze Bettina Wagner-Bergelt, Künstlerische Leitung, und Roger Christmann als Geschäftsführender Leiter, zunächst nur auf sehr eng befristete zwei Jahre abgeschlossen worden, wenngleich beide bei der einführenden Pressekonferenz betonten, sie seien offen für eine Vertragsverlängerung.
Nun ist die erste Spielzeit unter der neuen Leitung durch die Corona-Pandemie im März jäh beendet worden und so lassen sich die Fragmente nur bruchstückhaft zu einer Bilanz zusammenfügen. (Erfolgt in einem gesonderten Bericht)
Fest steht, dass es neben dem bilanzier- und sichtbaren Teil der künstlerischen Erfolge, auch einen internen, unsichtbaren Teil gibt, in dem alle Beteiligten mit grossen Anstrengungen versucht haben, die Risse und Gräben zu überwinden, die nicht erst durch die Causa Binder entstanden sein dürften. Es darf bezweifelt werden, dass dieser Prozess als abgeschlossen gelten darf. Wer die, in Zusammenarbeit mit der Belegschaft entstandene, öffentliche Ausschreibung zur Findung einer neuen künstlerischen Leitung aufmerksam liest, braucht kein studierter Psychologe zu sein, um die seelische und zwischenmenschliche Topographie des Ensembles zu erfassen. Diese öffentliche Ausschreibung haben sich die Mitglieder des Tanztheaters durch ihren (berechtigten) Protest errungen, waren sie doch in allen Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit nicht gehört worden.
Dieser partizipative Prozess ist aussergewöhnlich, gehört(e?) doch die Künstlerische Leitung des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch zu den begehrtesten, aber auch anspruchsvollsten Positionen der Tanzwelt, für den sich nur die wagemutigsten und ambitioniertesten Künstlerinnen und Künstler, oder auch Kuratorinnen und Kuratoren bewerben würden und konnten. Weshalb? Weil eine künstlerische Leitung nur erfolgreich sein kann, wenn es gelingt, die Werke Pina Bauschs zu erhalten, wofür das Tanztheater Weltruf geniesst, und gleichzeitig mit einem Mehrgenerationen-Ensemble so in die Zukunft zu führen, dass ihre Gültigkeit im Hier und Jetzt ersichtlich wird. Zusätzlich müssen möglichst gleichwertige, neue, künstlerisch gültige Werke geschaffen werden, um eine Compagnie zu formen, die auch als solche, jenseits der Werke Pina Bauschs, (irgendwann) ebenfalls Weltruf geniessen darf. – (Künstler)Persönlichkeiten, die hierzu in der Lage wären, gibt es weltweit nur sehr wenige, vermutlich nicht einmal eine Handvoll.
Natürlich bedeutet dies nicht automatisch und zwingend, dass die oder der sich Bewerbende bereits ein sogenannter anerkannter „Weltstar“ sein muss. Pina Bausch war „Anfängerin“, als sie die damalige Tanzsparte in Wuppertal übernahm. Aber ist dies noch vergleichbar und im Heute ein Neubeginn auf diesem Niveau denkbar?
Wären Stadt, Land und selbst die Tänzerinnen und Tänzer noch wie damals bereit „vor fünfzig Zuschauern zu spielen, von denen dann zwanzig oder dreissig vorzeitig gehen…“, wie es unlängst Raimund Hoghe in einem Gespräch zu Pina Bausch und ihren Anfängen in Wuppertal formulierte, nur weil sie alle so kompromisslos an das Werk des (zu wählenden) Künstlerischen Leiters glauben?
Wohl kaum, wird die Antwort lauten, selbst in Zeiten, in denen das Corona Virus den Begriff der Zeit wieder neu ins Bewusstsein gerückt und Vieles verändert hat? –
Die Wahl?
Solche Gedanken dürften bei dieser Form der Ausschreibung kaum eine prägende Rolle eingenommen haben.
Nach Wochen, in denen in den sozialen Medien immer wieder dazu aufgerufen wurde, sich für die künstlerische Leitung des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch auf der Basis der genannten öffentlichen Ausschreibung zu bewerben, findet nun ein Auswahlprozess statt, an dem zunächst die gesamte Belegschaft des Tanztheaters beteiligt war, um aus dem Bewerberkreis fünf Kandidat*innen für diese Position vorzuschlagen.
Jeder dieser fünf Kandidaten, die oder der es auf die sogenannte „short list“ geschafft hatte, stellte sich und seine Pläne für die Zukunft des Ensembles zuerst allen Mitarbeitern vor, die per Votum ihre Favoriten bestimmen durften, ehe sie sich nun dem Beirat des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch präsentierten, einschliesslich eines jeweils einstündigen Austauschs über die Vorstellungen der Bewerber.
Genau an dieser Stelle befindet sich der aktuelle Findungsprozess:
Aus diesen Kandidaten und Kandidatinnen soll der Aufsichtsrat der GmbH nun seine Empfehlung zur Einstellung finden, wobei er laut Ausschreibung, „wenn möglich, dem Votum des Personals Rechnung tragen soll“. Die Ernennung erfolgt dann durch den Finanzausschuss der Stadt Wuppertal, die alleinige Gesellschafterin der GmbH ist. – Soweit das Prozedere, für das sich die Beteiligten selbst unter Zeitdruck gesetzt haben: man wollte unbedingt noch im Juni eine Entscheidung treffen, um diese Causa noch vor den Sommerferien, spätestens aber vor den im Herbst anstehenden Kommunalwahlen abgeschlossen zu haben.
Doch wie angemessen ist dieser Zeitdruck und was, wenn die Stadt aus vielerlei denkbaren Gründen der Empfehlung des Ensembles nicht folgen will und wird?
Neubestimmung der Organisationsstrukturen des Pina Bausch Zentrums
Als wären dies nicht Fragen und Zweifel genug, legte die Verwaltung am vergangenen Mittwoch dem Kulturausschuss der Stadt ein überarbeitetes Konzept der Münchner Firma Actori GmbH vor, das notwendig geworden war, nachdem sich der Bund, zum jetzigen Zeitpunkt, nicht bereit erklärt hatte, seinen erhofften Anteil in Höhe von circa 3,4 Millionen Euro jährlich an den Betriebskosten des geplanten Pina Bausch Zentrums zu übernehmen. Der vorgelegte Businessplan zur Überwindung der Finanzierungslücke, sieht ein Betreiber-Modell vor, bei dem die Leitung des Tanztheaters und des Pina Bausch Zentrums in einer Hand liegen, indem diese Beiden miteinander verschmelzen, während die Pina Bausch Foundation zwar Teil des PBZ sein wird, nicht aber in der Betreibergesellschaft aufgehen wird, sondern ihre Eigenständigkeit beibehält .(Wir werden auch hierüber gesondert berichten)
Der Kulturausschuss vertagte eine Entscheidung über dieses Papier, so dass es auch nicht, wie vorgesehen, am 17. Juni im Hauptausschuss behandelt werden kann.
Bereits im Februar hatten die Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH und die Pina Bausch Foundation ihre (Finanzierungs- und inhaltlichen) Pläne der Stadt für die kommenden beiden Jahre der Übergangszeit vorgelegt. Danach sollen perspektivisch Pläne der dann gegründeten PBZ GmbH entwickelt werden, die bis zur geplanten Eröffnung im Jahr 2027 reichen werden. In den vorgelegten Plänen wird deutlich, dass bereits jetzt eineinhalb Stellen für die Vorbereitung des Pina Bausch Zentrums (PBZ) im Stellenplan des Tanztheater Wuppertal (TTW) angesiedelt sind. Die Gründung einer PBZ-GmbH ist ab dem 1.1.2023 vorgesehen,
In der Zwickmühle
Sollte der Rat der Stadt, ebenso wie das Land Nordrhein-Westfalen und die Pina Bausch Foundation | Salomon Bausch, dem Actori-Papier nach der Sommerpause zustimmen (einem Papier, das in seiner Gesamtheit und in zahllosen Details fragwürdiger ist, als hier Platz zur Verfügung stünde, um dies angemessen behandeln zu können), dann wäre die Aufgabenstellung einer Künstlerischen und Geschäftsführenden Leitung des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch eine vollkommen andere, weitergehende, nämlich die einer Generalintendanz.
Auch weitere, in dem Papier vorgeschlagene „Maßnahmen“ zur Finanzierung des PBZ greifen so massiv in die Struktur des Tanztheaters ein, dass sie, sollte dieses Papier verabschiedet werden, eine neue künstlerische Leitung eines Grossteils ihrer eventuell vorgesehenen künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten berauben würden, auch wenn auf den ersten Blick alle aktuellen Zahlen des Tanztheaters unverändert in das Actori-Papier übernommen wurden: “Im Bereich des TTW geht actori bei der Berechnung der Personalkosten von einer Reduktion der Personalkosten bis 2027 um rund 5% aus. Dieses Potenzial ergibt sich vor allem durch das hohe Alter und die hohe Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter im TTW. Gehälter für neu geschaffene Stellen wurden von bestehenden Stellen abgeleitet. Für neu geschaffene Stellen, deren Gehälter von bestehenden Stellen des TTW abgeleitet wurden, gilt die Reduktion der Gehälter um 5% entsprechend…” Zitat Actori-Papier (Seite 31), Dem Papier zur Folge lässt sich die Finanzierungslücke des PBZ also zum Teil durch die so festgeschriebene “Verjüngung” des Ensembles | der Mitarbeiter erreichen, doch was, wenn eine neue künstlerische Leitung diese Verjüngung gar nicht im errechneten Maße gutheissen will (um nur ein kleines Beispiel zu nennen)?*
*dieser Abschnitt wurde am 30. Juni 2020 ergänzt
Gewaltige Konflikte sind vorprogrammiert, sollte es sich bei der jetzt zu wählenden Leitung des Tanztheaters nicht um die selbe Person handeln, wie bei der Generalintendanz, sofern dies juristisch überhaupt zu bewerkstelligen wäre.
Die jetzt ausgeschriebene Intendanz des TTW, ist befristet zur Spielzeit 2025 | 26 mit der Option auf Verlängerung, während die General-Intendanz des PBZ allerspätestens zur Spielzeit 2026 | 27 beginnt und nach bisherigem Recht öffentlich ausgeschrieben werden muss. Wenn es stimmen sollte, dass spätestens ab 2023 die Pina Bausch Zentrum GmbH (mit Stadt und Land als Trägerin) gegründet werden soll und gleichzeitig das vorgelegte Actori-Papier die Grundlage des PBZ darstellen sollte, dann würden damit zwei Gesellschaften entstehen, von denen die eine in die andere eingreifen müsste, um die in dem Actori-Papier geplante personelle “Verjüngung” zwingend durchzusetzen.
Dieses (un)mögliche Szenario jetzt zu ignorieren und weiterhin an einem „Fahrplan“ festzuhalten, dessen Ergebnis mit einem enorm hohen Risiko eines Fehlversuchs behaftet ist, der das Tanztheater Wuppertal dann nachhaltig und dauerhaft beschädigen, oder um es salopp auszudrücken, gegen die Wand fahren würde, wäre in hohem Maße verantwortungslos.
Dass dieses Szenario seit langem vorhersehbar war, macht ein sofortiges Handeln nur umso dringender.
Noch wäre dazu Zeit, – Mut und Weitsicht vorausgesetzt – um so die kommenden Aufgabenstellungen der Gestaltung des Pina Bausch Zentrums und des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch gleichzeitig anzugehen, so dass diese wichtigsten Bausteine in der „Utopie Wuppertal-Stadt“ ihre gesellschaftliche Relevanz erfahren können.
Die Grundvoraussetzung hierfür wäre wohl unabdingbar, dass es den Verantwortlichen gelänge, sich ein zusätzliches Jahr der Entscheidungsfindung zu erarbeiten.
Ob Bettina Wagner-Bergelt und Roger Christmann noch zu ihrem Wort aus der Pressekonferenz zu ihrer Amtseinführung stehen oder dazu überredet werden könnten, wäre als ein möglicher Ausweg aus diesem gefährlichen Dilemma zumindest einen Versuch wert.
Frau Wagner-Bergelt äusserte sich hierzu laut WZ wie folgt: Die neue künstlerische Leitung solle „auf unserer Arbeit aufbauen und hoffentlich zusammen mit dem Ensemble künstlerisch davon profitieren“ können. Sie selbst werde nur dann weitermachen, wenn entweder keine geeignete Person gefunden werde oder sich eine kurze Übergangs- und Einarbeitungszeit zu zweit empfehle. Christmann, der in den letzten Jahren als Freischaffender arbeitete, äußerte sich nicht”.