Premiere: Metabolisten in der Alten Feuerwache

 

Zeit gewinnen

 
Das neue Tanzstück von Silke Z. zeigt eine Gruppe ohne Streit und ohne Chef. „Die Metabolisten“ sind Umwandler oder Veränderte, und niemand bleibt zurück.
 
Nachtkritik von Melanie Suchy
 

Statt auf der Meta-Ebene beginnt das Stück am Boden. Während ein elektronisches „bububu“ wie ein Nebel in den dunklen Raum in der Alten Feuerwache kriecht und die Luft füllt, schieben sich ganz langsam von hinten zwei linke Hände auf die Bühnenfläche. Dann zwei rechte. Es sind Paare. Armpaare, zwei Menschen auf allen Vieren, Schulter an Schulter. Bald sind an den drei Rändern noch mehr Paare zu erkennen und ein Dreier. Sie haben alle Zeit der Welt und noch keine Gesichter. Allmählich füllen sie die Bühnenfläche, sie sind viele. Aber immer geradeaus. Wunderbarerweise gibt es keinen Zusammenstoß, als habe das alles seine Ordnung so. Ein natürlicher Vorgang: immer vorwärts. Im nun helleren Licht ist zu sehen, dass in den Rücken der Vierbeiner etwas ruckelt, bebt, vielleicht das Menschwerden. Jahrtausende überspringend, rollen sich die fünfzehn Wesen in den aufrechten Stand, frontal zum Publikum gerichtet, und sind nun unterscheidbar.

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Mit diesem schönen Anfang legen „Die Metabolisten“ die Latte der Erwartung hoch. Die Kölner Choreographin Silke Z. hat lange an diesem neuen Stück mit dem Untertitel „Stoff wechseln“ gearbeitet. In ihm liegt eine gewisse Folgerichtigkeit, wenn man ihre vorherigen Werke kennt. Sie selber also hat den Stoff nicht gewechselt, sondern anders vernäht und ausgebreitet. Denn sowohl das Ausstellen des Choreographiemachens aus Bewegungen mit irgendwo hergeholten Bezeichnungen oder Vorbildern, als auch das paarweise Agieren, Erzählen, Vergleichen, das Thema Lebensalter sowie das Integrieren von Nicht-Profitänzern in eine Inszenierung waren in Stücken der letzten Jahre zu sehen. Nun kondensiert sie daraus – oder stoffwechselt – etwas, das sich einfacher gibt, ganz untheatralisch, unspektakulär. Das ist mutig, weil es ohne Text und lustige Pointen auskommt. Es vertraut den Performern. Es arbeitet sich an Unterscheidungen ab, indem es an ihnen reibt und knetet. Dennoch ist es als Kunst auch etwas flach.
 

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Grüßen
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Wenn im Folgenden je zwei gemeinsam tanzen, entweder mit fünf Metern Abstand oder nah beieinander, stehen die restlichen dreizehn aufmerksam hinterm Rand der Tanzfläche. Sind die zwei fertig, wechseln sie Blicke, ein unausgesprochenes „genug? – ja, komm, wir gehen“, und verlassen das Feld, schauen aber vorher nach dem oder den Nächsten, „Du bist das? Aha, gut“. So passiert fortan kein Anfangen und kein Enden ohne diese einfachste Geste des Einverständnisses: Augenkontakt. Das macht die Metabolisten lebendig und auf gewisse Weise zu Stellvertretern der Zuschauer, die sich eben auch ihres Blickes bewusst werden. Nur wirkt es nach der x-ten Wiederholung ein bisschen marottenhaft. Problematisch auch, wenn die einen Performer sich dem Publikum mit neutraler Miene zuwenden, einzelne andere aber lächeln, als würden sie verführen wollen. Um Anmache geht es aber in dem Stück nicht, auch nicht um Wettbewerb, Neid, Stolz, Scham. Dies alles bei einer solchen alters-, geschlechts-, berufsgemischten Gruppe herauszuhalten, ist die Kunst der Choreographin. So wird das Tanzstück zu einer Art Utopie: jeder, wie er und sie ist, und alle miteinander. Keiner gewinnt.
 

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Sie tanzen ja bloß
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Eben! Das ist die Energie, die aus dem Metabolismus dieser fünfzehn Menschen entsteht. Oder umgekehrt: Das Tanzen ist der Stoffwechsel, aus dem die Energie des Zusammenhalts entspringt? Mal ist es ein kleines Ziehen im Oberkörper, hin und her, und ein leichtes Schlenkern der Unterarme und Hände im Takt der ständig tickenden Musik, mal heben sich auch Ellbogen, Knie und Fersen dabei, die Schultern rucken, die Hüften wackeln, die Köpfe ragen hintenüber. Manche Tänze nehmen großen Schwung mit weit heraus gestreckten Armen und Beinen, greifen viel mehr in den Raum aus, wechseln Richtungen, streben zum Boden und mühelos wieder hoch, rollen, drehen, springen. Das sind die Partien der Profis. Sie haben mehr Möglichkeiten. Zwar lassen sie es nicht wie Show-off aussehen, sondern spielerisch wie Einfälle. Aber damit werden sie sichtbarer oder interessanter für die Zuschauer, auch weil sie so unterschiedliche Bewegungsstile mit sich tragen. Hier scharfkantig und schnell, dort flüssig und rund.
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Auch wenn das Ensemble zunächst in relativ altersgleiche Paare aufgeteilt wird, die jeweils Ähnliches tanzen oder hibbeln, werden bald auch Grüppchen gebildet. Mit Übergang: Einmal zuckelt Karel Vanek mit den Älteren im Stehen, dann fällt der Endfünfziger nahtlos in die folgende Gruppe mit ein, die furchtlos fallen kann, im Hocken gleiten, die Beine kicken und hochschwingen lassen. Das Alter ist eigentlich uninteressant; es reicht von 19 bis 62. Im Moment. Es verliert sich hier als Thema. Das ist schön und auch ein Teil der Utopie vom Aufgehobensein im netten Kontakt zueinander. Eine längere Szene gegen Ende zeigt, wie einer dem anderen eine kurze Tanzsequenz beibringt, kompliziertes Rauf-Runter oder Einfacheres, dann fügt die ganze Gruppe das Neue an eine länger werdende Choreographiekette an. Sie wiederholen, wiederholen unermüdlich; das ist der Spaß, den man in Tanzkursen erleben kann, wo Lehrer beim Label „Modern“ oder „Zeitgenössisch“ genauso vorgehen. Nur dass hier jeder einmal lehrt und von jedem etwas lernt.
 

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Kapiert
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Wenn sich die Metabolisten schließlich fast in Ekstase tanzen, wobei sie zu schneller werdendem Beat im Elektrosoundstrom von André Zimmermann mehr und mehr aus der vorgeformtem Choreographie aussteigen, sie reduzieren auf ein markantes Hände-hoch-auf-einem-Bein und eine Drehung, dann auf je eigene Weise flippen, zucken, pumpen, bis sie einfach aussteigen, einer nach dem anderen; dann ist auch das ziemlich vorhersehbar und fürs Publikum unergiebig. Doch die Letzte, die Durchhaltende, die offenbar noch Energie zum Verschleudern hat, ist die Tänzerin Caroline Simon, Jahrgang 1977. Ihre wilden Sprünge werden von Stroboskoplichteffekten geblitzt, so dass fürs Zuschauerauge Fotos einer Fliegenden entstehen: ein Gruß an den Beginn der Tanzmoderne vor hundert Jahren und an die heutige Selfiegeneration, ein toller Stoff-Wechsel.