Spitzen- und Exzellenzförderung des Landes NRW

Die Compagnien und Künstler_innen stehen fest…

JURYBEGRÜNDUNGEN EXZELLENZFÖRDERUNG TANZ 2024-26

Exzellenzförderung Tanz

bodytalk

Die 2008 von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart gegründete Kompanie bodytalk bezieht mit ihren Tanztheater-Produktionen eine klare politische Haltung. Ihre sozialkritischen Arbeiten entstehen häufig unter Einbeziehung des öffentlichen Raums sowie lokaler, gewachsener, auch abseitiger Kulturaktivitäten. Als „Artists in Residence“ sind sie seit 2016 eng mit dem Theater im Pumpenhaus verbunden und mit zahlreichen Gastspielen und Auszeichnungen fest in NRW verortet. 2021-2023 konnten sie die Exzellenzförderung für die Realisierung von Großprojekten mit internationalen Koproduktionspartner:innen nutzen, wie unter anderen mit dem Polski Teatr Tańca und dem Seoul International Dance Festival „SIDance“ in Korea. 2022 erhielten sie im Rahmen des International Shakespeare-Festival in Danzig den Hauptpreis Golden Yorick. Seit 2021 veranstaltet bodytalk auch eigene Festivals („Israel is real“ und „umPolen“) in Kooperation mit dem Theater im Pumpenhaus und arbeitet eng mit der Stadt Münster zusammen. Die entstandenen nationalen wie internationalen Kooperationen konnten nachhaltig aufgebaut und verstetigt werden. So sollen Koproduktionen wie mit dem Polski Teatr Tańca auch in der Förderperiode 2024-2026 fortgesetzt werden. Darüber hinaus legt das vorgelegte Konzept nochmals verstärkt einen Fokus auf Partizipation und interdisziplinären Austausch in Zusammenarbeit mit lokalen Communities Die Jury ist zu dem Entschluss gekommen, die Entwicklungen zu unterstützen und hat sich für eine Fortsetzung der Exzellenzförderung durch das Land NRW ausgesprochen.

Pressebilder_Jewrope_bodytalk_TANZweb

Pressebilder_Jewrope_bodytalk_TANZweb

CocoonDance Company

Mit dem Votum für den Wechsel von der Spitzen- in die Exzellenzförderung würdigt die Jury die beeindruckende Entwicklung, die die CocoonDance Company seit ihrer Gründung im Jahr 2000 durch die Choreografin Rafaële Giovanola und den Dramaturgen Rainald Endraß durchlaufen hat. Seit nunmehr 19 Jahren leitet und bespielt CocoonDance die Sparte Tanz im Theater im Ballsaal, einer institutionell geförderten freien Produktionsstätte. Von dieser Basis aus entfaltet die Company eine Reihe sich gegenseitig befruchtender Aktivitäten: Neben inzwischen über 50 Einzelproduktionen zeichnen Rafaële Giovanola und Rainald Endraß auch für kuratierte Gastspielreihen, Künstlerresidenzen sowie Vermittlungsprojekte verantwortlich, besonders erfolgreich in Form der preisgekrönten Junior Company Bonn. Intensives Touring und zahlreiche Kooperationen mit internationalen Partnern kennzeichnen den sich ständig erweiternden Wirkungskreis der Bonner Company, die in den letzten Jahren mit zahlreichen Preisen geehrt und sowohl 2018 als auch 2020 zur Tanzplattform Deutschland eingeladen wurde. Ästhetisch überzeugt CocoonDance durch Bühnenwerke von beeindruckender Dichte, die sowohl in Improvisations- als auch kontinuierlicher Teamarbeit entstanden sind. Die 2016 begonnene Auseinandersetzung mit tanzfernen Disziplinen und Bewegungstechniken, dekonstruierten Körperbildern und neuen Körperkonzepten, die gängige Narrative von Physis und Geschlecht hinterfragen soll auch in den nächsten Jahren fortgeführt werden. Ausgesprochen vielversprechend erscheint die geplante Recherche zu Stimmtechniken, Volksmusiken und -tänzen aus dem nordöstlichen Teil Thailands. Der weiteren Entwicklung von CocoonDance sieht die Jury mit großem Vertrauen und ebensolchem Interesse entgegen.

CHORA_CocoonDance©TANZweb.org_Klaus-Dilger

CHORA_CocoonDance©TANZweb.org_Klaus-Dilger

JURYBEGRÜNDUNGEN SPITZENFÖRDERUNG TANZ 2024-26

Spitzenförderung Tanz

Alexandra Waierstall

Die Jury befürwortet den Antrag von Alexandra Waierstall im Rahmen der Spitzenförderung Tanz NRW 2024-2026. Die Düsseldorfer Choreografin hat die Spitzenförderung 2021-2023 genutzt und ihre Zusammenarbeit mit renommierten Künstler:innen wie Rita McBride, Oscar-Preisträger Volker Bertelmann (aka Hauschka) und Caty Olive fortgeführt. Durch vielfältige regionale bis internationale Bühnenstücke, Museumsinterventionen, Filme und Texte konnte der Dialog mit dem lokalen und internationalen Publikum intensiviert werden. Die Stärkung ihrer Beziehung zu Düsseldorf durch die weitergeführte Zusammenarbeit mit dem tanzhaus nrw und die Förderung aus dem Kulturhaushalt der LH Düsseldorf, zu wichtigen Museen, Bühnen und Partner:innen wie De Pont, Dia Beacon, zamus, Athens und Kalamata Festival unterstreichen die Reputation, die sie genießt. Die im Antrag ausführlich dokumentierten Ziele lassen eine erfolgreiche Weiterentwicklung des bislang beschrittenen Weges erhoffen. Eine signifikante Anzahl von Neuproduktionen und Wiederaufnahmen u.a. am tanzhaus nrw in Düsseldorf aber auch im Ausland sind geplant. Die Öffnung von Formaten in Open Studios, die Wiederaufnahme und Bearbeitung älterer Werke wie auch die von Alexandra Waierstall, Matthias Quabbe und Judith Jaeger seit April 2023 durch die Kunststiftung NRW geförderte Recherche „Bodies and sculpture – towards documentation and sharing choreographic practice“ zeugen von einem tiefgehenden Werkverständnis. Mit ihrer ebenso reflektierten wie handwerklich ausgereiften künstlerischen und konzeptionellen Arbeit haben Alexandra Waierstall und ihre Mitarbeiter:innen eine unverkennbare Handschrift entwickelt die großes Entwicklungspotenzial besitzt.

Bodies-and-Structures_Alexandra-Waierstall©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Pressebilder_Bodies and Structures_Alexandra Waierstall©TANZweb.org_Klaus Dilger

deufert&plischke

Was braucht es, damit Bewegung zwischen und für Menschen möglich wird? Die Arbeit von deufert&plischke beginnt hier – ob mit den Mitteln von Bühnenperformance, Film, Fotografie oder poetischem Archiv. Ihre Projekte, die sie in der Haltung von Gastgebenden anregen, sind soziale Choreografien im besten Sinn. Sie ermutigen dazu, uns die Muster und Ordnungen, in denen wir zusammenleben, nicht nur anders vorzustellen, sondern widerspenstig zu werden, sie umzuerzählen. Das Vergessene, Verdrängte, Imaginäre, Gesponnene wird ins Alltägliche eingeladen. Zum Beispiel, wenn in „Künstlerinnen erfinden“ Menschen zusammenkommen, um in sorgsamer Recherche über das, was hätte sein können, die Biographie einer Person und deren Werke samt Wikipedia-Eintrag in die Welt zu setzen und so rückwirkend Geschichte(n) von Orten und communities umschreiben. Oder wenn in Tel Aviv, Essen, Singapur Briefe an den Tanz gerichtet werden und so ein berührendes Archiv wuchert, in dem das Gesellschaftliche verflochten mit dem Persönlichen in Gedanken, Lieblingsbewegungen, Worten, Gesten aufscheint. 2021 zogen deufert&plischke von Berlin nach Schwelm und eröffneten die spinnereischwelm als „Raum für Kunst in Gesellschaft“. Still und unaufgeregt, aber umso nachdrücklicher vertreten sie dort eine Kunst der Offenheit, die kein leerer Slogan bleibt. Offenheit braucht Pflege und Bereitschaft zum Dialog. Auch zum Konflikt. Vor allem aber braucht sie nichtflüchtige Orte, durch deren Türen Menschen gehen können. Die spinnereischwelm ist so ein Ort jenseits der Bias zwischen Avantgardekunst und Kleinstadtgesellschaft, eine Utopie im Praxistest.

DIN A 13 tanzcompany

Unter der künstlerischen Leitung von Choreografin Gerda König in Zusammenarbeit mit der Choreografin Gitta Roser leistet die DIN A 13 tanzcompany seit 1995 in NRW Pionierarbeit in Sachen Erforschung von Bewegungsqualitäten ‚anderer Körper‘. Ansässig in Köln bei Barnes Crossing arbeitet die Company seit ihrer Gründung an der Sichtbarmachung und Diversifizierung nicht-normierter Körperlichkeiten im Tanz und auf der Bühne – ein Ansatz, der die Basis für die choreografische Arbeit von DIN A 13 bildet und der von großer Bedeutung für die Erweiterung des künstlerischen Ausdrucksspektrums im Tanz ist. Die Produktionen hinterfragen gängige Sehgewohnheiten und Körperideale des zeitgenössischen Tanzes und bereichern damit die Kunstform und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Diskurse mit neuen Impulsen. Ihren Fokus auf gesellschaftsrelevanten Themen wird die Company in den Jahren 2024-2025 mit dem Konzept des ‚Safe Space‘ als geschütztem Raum für marginalisierte und/oder diskriminierte Gruppen fortsetzen. Neun künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum sind für das Jahr 2024 angedacht, die 2025 zu einer größeren Inszenierung weiterentwickelt werden sollen. Ausdrücklich positiv bewertet die Jury auch die Aktivitäten jenseits der künstlerischen Arbeit, die die DIN A 13 tanzcompany zu einem unverzichtbaren Teil der Tanzlandschaft NRWs und Deutschlands machen. Mit dem Modellprojekt M.A.D.E. Programm Mixed-Abled Dance Education wird an einer professionellen künstlerischen Weiterbildung für Tanzschaffende mit und ohne körperliche Besonderheiten gearbeitet. Seit 2021 zielt ein Schwerpunkt der Aktivitäten auf das Projekt ‚UNIque@dance‘, mit dem die seit langem fehlenden Zugänge zu einer professionellen Tanzausbildung für Tänzerinnen mit Behinderung an deutschen Hochschulen etabliert werden soll.

fabien prioville dance company

Die fabien prioville dance company erhält die Spitzenförderung bereits seit 2021. Sie hat diese Unterstützung erfolgreich für ihre strukturelle und künstlerische Weiterentwicklung genutzt. Im Laufe der vergangenen drei Jahre hat die Gruppe um Choreograf Fabien Prioville einen großen Erfahrungsschatz im Bereich digitaler Technologien aufgebaut. Mit dem MIREVI (Mixed and Virtual Reality) Institut der Hochschule Düsseldorf hat sie einen dauerhaften Partner in der Erforschung des Zusammenspiels von Technik und Körper gefunden. Die Jury befürwortet den Antrag auf Spitzenförderung 2024-2026, um die weiterführende Arbeit an diesen in hohem Maße relevanten gesellschaftlichen Fragestellungen zu ermöglichen. Die drei Projekte der nächsten Förderperiode konzentrieren sich auf einen kritischen Austausch mit: 1. Kindern und Jugendlichen (DIGILAND, AT) 2. Professionals und Expert:innen (REZ_O) 3. Non-professionals, Publikum, dem „demokratischen Kollektiv“ (KI-Projekt) Dies verspricht eine gute Streuung an zu erreichenden Zielgruppen. Die künstlerische Arbeit von Fabien Prioville und seinen Mitstreiter:innen wird von der Jury als zeitgemäß und in der kritischen Auseinandersetzung mit neuen Technologien und den Auswirkungen auf den menschlichen Körper auch zukunftsweisend bewertet. Die Verortung des Menschen in einer zunehmend von digitalen Medien und KI-Intelligenzen beeinflussten Lebensweise hat – dem Antrag folgend – hier in der Verbindung von Tanz und neuesten Technologien die Chance, eine hohe Sichtbarkeit unter Einbeziehung vieler verschiedener Akteur:innen zu erlangen. Die bereits bestehenden bzw. angestrebten Kooperationen mit etablierten Playern der internationalen Tanzszene erhöhen die Chance auf einen wachsenden Erfahrungsschatz und eine auch über NRW hinausgehende Sichtbarkeit.

12FIFTY-MBS-fabien-prioville-dance-company©Klaus-Dilger

12FIFTY-MBS-fabien-prioville-dance-company©Klaus-Dilger

HARTMANNMUELLER

Changierend zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit, im Spiel mit Genderrollen und Stereotypen und stilistisch an Popkultur und Film orientiert, nehmen die Arbeiten von HARTMANNMUELLER eine besondere Rolle innerhalb der Tanzszene Nordrhein-Westfalens ein. Mit einer Bandbreite an renommierten Koproduktions- und Kooperationspartner:innen vor Ort wie dem tanzhaus nrw, Ringlokschuppen Ruhr und PACT Zollverein sind sie fest in der lokalen Tanzlandschaft verankert und haben einen wiederkehrenden Publikumskreis für ihre Bühnenproduktionen etabliert, den sie gleichsam stetig erweitern. Innerhalb der Förderperiode 2021-2023 konnten sie erstmals ausschließlich als Choreografen tätig sein, ihre Zusammenarbeit mit Musiker:innen vertiefen und ihre ästhetische Praxis deutlich weiterentwickeln. Ihren Bühnenproduktionen haben sie zusätzliche Formate und nachhaltige Recherchen beigefügt. Darüber hinaus konnten auch die Teamstrukturen in diesem Rahmen nachhaltig professionalisiert werden. Für die kommenden Jahre 2024-2026 haben HARTMANNMUELLER ein Konzept vorgelegt, das verstärkt die Weiterentwicklung und Umsetzung von Formaten vorsieht, mit denen sie neue Plattformen bespielen und Zugänglichkeit befördern. Inhaltlich begegnen sie dem Thema Wut und setzen sich mit individuellen und gesellschaftlichen Ausformungen von Emotionen auseinander. Die Jury unterstützt die Entwicklungen und hat sich für eine Fortsetzung der Spitzenförderung ausgesprochen.

HARTMANNMUELLER-Melodien zum Träumen@TANZweb.org_Klaus Dilger

HARTMANNMUELLER-Melodien zum Träumen@TANZweb.org_Klaus Dilger

Overhead Project

Overhead Project nimmt mit seiner Arbeit an der Schnittstelle zwischen zeitgenössischem Zirkus und Tanz eine bundesweit herausragende Stellung ein. Mit ihren Produktionen und Vermittlungsformaten sowie kulturpolitischen Positionierungen hat die Kompanie maßgeblich und nachhaltig die Position des zeitgenössischen Zirkus und den Tanz lokal, bundesweit und international gestärkt. Einen einschlägigen Beitrag leistet hier auch das von Tim Behren kuratierte Circus Dance Festival, das eine wichtige Plattform zur Sichtbarmachung aktueller Ästhetiken und Diskurse beider Sparten etabliert. Overhead Project hat die Spitzenförderung Tanz des Landes Nordrhein-Westfalen 2021-2023 in den Bereichen Konzeption, Vermittlung und Touring erfolgreich genutzt, um die überregionale Strahlkraft der Kompanie deutlich zu erhöhen. Professionelle Strukturen konnten erweitert und internationale Kontakte sowie weitreichende Netzwerke ausgebaut werden. 2022 wurde Overhead Project mit dem Georg-Tabori Preis ausgezeichnet. Auch das Konzept für die Jahre 2024-2026 verspricht mit innovativen Ansätzen zur Verstetigung der Produktionen und der Behandlung spannender, aktuell gesellschaftspolitisch relevanter Themen nochmals einen Schritt zur Weiterentwicklung. Unter dem Titel „Beasts & Bodies“ wird sich Overhead Project mit Prinzipien der Transgression und Körperzuschreibungen auseinandersetzen. Die Jury hat sowohl die bisherige Entwicklung, als auch die geplanten Aktivitäten als herausragend befunden und ist einstimmig zu dem Entschluss gekommen, die Fortsetzung der Spitzenförderung für Overhead Project zu empfehlen.

Polymer DMT

Polymer DMT ist das Label für die freien künstlerischen Projekte der aus Taiwan stammenden Choreografin Fang Yun Lo. Die Company erhält die Spitzenförderung Tanz bereits seit 2021. Aufgrund der erfolgreichen Verwendung der zur Verfügung gestellten Fördermittel in der Vergangenheit und eines klaren strukturierten Antrages mit guten Erfolgsaussichten, empfiehlt die Jury eine Spitzenförderung auch für die Jahre 2024-2026. Polymer DMT hat die vergangenen Jahre u.a. dazu genutzt, sich im Essener Norden mit eigenen Räumlichkeiten zu etablieren und die organisatorischen und künstlerischen Strukturen zu verfestigen. Im Bereich politisch-dokumentarisches Tanztheater versteht sich die Gruppe um Fang-Yun Lo als Mittlerin zwischen Taiwan und Deutschland. Unter inhaltlichen wie auch qualitativen Aspekten hat sie sich damit ein Alleinstellungsmerkmal in NRW und darüber hinaus erworben. Allgemeine Themen wie Identität und Migration bekommen zusätzliche Relevanz vor dem Hintergrund des sich zunehmend verschärfenden Taiwan-Konfliktes. Dabei gelingt es der Company in bemerkenswerter Weise, soziale und politische Fragestellungen im interkulturellen Bereich auf die persönliche Ebene herunterzubrechen. Die Kombination von Tanztheater und Film gepaart mit journalistischen Recherchen und zahlreichen Interviews verleihen der künstlerischen Arbeit ein sehr solides Fundament. Die Jury erkennt an, dass sich Polymer DMT in Zukunft verstärkt mit Angeboten für Kinder und Jugendliche etablieren und das von ihnen betriebene „Spacelab“ als lokalen Treffpunkt ausbauen möchte. Daneben soll das Repertoire gepflegt und das Touring ausgebaut werden. Die Jury möchte Polymer DMT in dem Vorhaben bestärken, ihre Sichtbarkeit auch überregional und international weiterzuentwickeln.

©PRESSEBILDER Klaus Dilger_TANZWEB SURROUND Overhead Project

©PRESSEBILDER Klaus Dilger_TANZWEB SURROUND Overhead Project

Reut Shemesh

Reut Shemesh interessiert sich für Oberflächen, viel mehr aber noch für das, was an Strömungen unter ihnen pulsiert. Was nicht zu sehen ist, wenn Erwartungen oder Klischees projiziert werden. Shemeshs Stücke, Filme, Fotoserien sezieren Rollen und Selbstbilder, in denen wir uns und andere wahrnehmen. Dabei verweigern sie einfache Antworten und lassen die Verantwortung konsequent bei den Betrachtenden. Faszination und Befremdung, Unbehagen und Anziehung liegen dann ganz nah beieinander. So dokumentarisch und rechercheorientiert der Prozess oft verläuft, so bildgewaltig und entschieden in ihren starken, visuellen Körperlichkeiten sind diese Choreografien bisher. Ohne Scheu vor effektiver Komposition bearbeiten sie zutiefst tänzerisch Themen, die fast immer damit zu tun haben, dass Gemeinschaftsbildung ebenso viel Energie wie Gewaltpotenzial freisetzt. Für uns selbst und für andere. Ihre erstmalige Spitzenförderung Tanz hat Reut Shemesh auf eindrucksvolle Weise dazu genutzt, ihr Produktionsteam in einer Weise breiter aufzustellen, die sie nicht unbeweglicher macht, sondern ihr Entschleunigung und vertiefende Reflexion ermöglicht. Das wird sowohl aus der Verbreiterung ihrer Arbeitspartner:innen bundesweit und international von Hochschulen über Stadttheater bis hin zu Netzwerken für Junges Publikum deutlich, als auch aus der Vielfalt und durchdachten Konzeption der für die nächsten Jahre geplanten Projekte. So erforscht sie etwa den Zusammenhang von Uniformität und Selbstfindung bei Jugendlichen und deren Instrumentalisierung für erwachsene politische Projekte sowie unser kulturelles Schablonen-Archiv an Mutter-Kind-Beziehungen. Das Strikte, Geschliffene ihrer Stücke, kündigt sie an, möchte sie dabei gezielt herausfordern. Wir sind gespannt!

GOLA_Reut-Shemesh©TANZweb.org_Klaus-Dilger

GOLA_Reut-Shemesh©TANZweb.org_Klaus-Dilger