Ein Unentschieden
„MATA DORA“ des El Cuco Projektes in Köln
Nachtkritik von Melanie Suchy
Die zwei Kühe lagern bäuchlings auf der Bühne; auf die Ellbogen gestützt, sind nur die Schultern und die schweren Köpfe erhoben. Sie blicken so vor sich hin. Irgendwo hin, irgendwoanders hin, während es aus den Lautsprechern zwitschert wie auf einer friedlichen Wiese am Waldrand. Einer der beiden wird das Maul so schwer, dass es sackt. „Hmpf“, denkt man bei dem Anblick und möchte sich inmitten dieses heißen Sommers dazu legen und wohlig der Gedankenleere frönen.
„Mata Dora“, die neue Tanzperformance von El Cuco Projekt alias Sonja Franken und Gonzalo Barahona, lässt es langsam angehen. So kann man sich als Zuschauerin bei der etwas spärlich besuchten Premiere in Barnes Crossing, der alten Wachsfabrik, in diese Welt einfühlen. Man nimmt die Kreaturen so hin. Mit Turnschuhen an den Füßen, Faltenröckchen, die Schurze sind, einer blau, einer rot, T-Shirts, von Lena Thelen gestaltet. Die Köpfe sind Masken, Barahonas Spezialität: Sie erinnern an Kühe, aber irgendwie wilder, mit braunem, struppigem Fell, abstehenden recht großen Ohren, und überm Scheitel biegt sich elegant ein Paar Hörner. Bei El Cuco, die sich 2014 als Team aus Choreographin und Bildendem Künstler in Köln formierten, bevölkerten schon Katzen, Vögel, Echsen und zuletzt Fledermäuse die Bühne und enterten die Menschenwelt. Oder umgekehrt. Oder hielten, nach alter Fabelmethode, dem Menschenverhalten den Spiegel vor.
In „Mata Dora“ reizen sie den Übergang von einem zum anderen zum einen oder anderen, die Verwandlungen einer Gestalt und ihrer Bewegungen nun noch mehr aus. Bis es zu viel wird. Die Kuh als Fliege.
Kein Muh, kein Mucks
Die Kühe hier gibt es eigentlich gar nicht. Es sind, laut Abendzettel, Auerochsen. Die starben 1627 aus, vom Menschen ausgerottet. Nur die Linie Kuh, „Bos Taurus“, überlebte, ließ sich domestizieren, hochzüchten zu Hochleistungstieren. Mit der Leistung also ist es bei Mata und Dora hier nicht weit her. Obwohl sie es versuchen. Sie können sich, Hintern zuerst, erheben und auf die Hinterbeine stellen. Den Oberkörper etwas geneigt, schreiten sie auf geknickten Beinen, zuweilen flitscht ein Unterschenkel hoch, reibt eine Schuhspitze an einer Kniekehle, wedelt eine hängende Hand hinten wie ein Schwanz, eine Schulter reibt sich an der Bühnenrückwand. Es juckt sie was. Das Hinterteil zuckt. Ein Maul ragt in die erste Zuschauerreihe, ganz zahm. Jimin Seo und Margherita Dello Sbarba sind Kuh geworden.
Als eine silberne Sporttasche vom Himmel auf die Wiese fällt, dient sie erst zum gemütlichen Maulablegen. Bis das Entdecken beginnt, das Streicheln (Leder), das Auspacken, das Menschwerden, das Spielen, Musizieren (Klimpern), die Nervosität – dann ist die Ruhe (Natur) dahin, die natürlich eine imaginierte ist und die in kurzen Momenten des Langsam-, Schwer- und Ungelenkwerdens immer wieder durchscheint.
Ein Match
Dem Inhalt der göttlichen Tasche entsprechend, tun sich die Viecher Tennis an: Handtücher, Schläger, zwei Blechmedaillen an Bändern, rot und blau, eine oscarähnliche Minitrophäe mit Hörnern. Keine Bälle. Die spendiert der Komponist Jörg Ritzenhoff in Form von Titsch- und Ploppgeräuschen, dazu Sporthallenrufe und zwischendurch muntere Musik mit supertiefem Posaunentröten wie aus der Höhle der Urmenschenvergangenheit und kleinteilige Elektro-Rhythmen. Die Spieler oder Spielerinnen bohren in Ohren und Zähnen, tippeln, zuppeln an Shirt und Horn. Dann lauern sie breitbeinig einander gegenüber. Bis Hände und Mäuler das Gegenüber einfach streicheln. So kann’s gehen.
Sie schlagen mit den Schlägern, später ohne, die unsichtbaren Bälle hinüber und herüber, jubeln mit erhobenen Fäusten, die lächerlich klein neben den Ochsköpfen wirken. Erlauben sich Tänzchen mit gelüpften Rocksäumen oder mit spanisch angehauchten Handgelenkzwirbeln. Spielen am Ende Doppel, der gemeinsame Gegner ist die Publikumsseite, und werden selber zum Publikum. Unisono wenden die Köpfe nach rechts, nach links, rechts, links. Plopp. Plopp. So schaut, wer schauen kann, dem Spiel zu oder der Politik oder in die Leere.
Der Tenniskuhwitz trägt nach dem starken Anfang nicht durchgängig. Die Kunst bändigt die vielen Einfälle zu wenig. Spaß machen die Momente des „uncanny“, sich zu ertappen, die Theatermagie der Masken zu glauben und sie zu hinterfragen. Die Idee, sich in den eigenen Feind zu verwandeln, ohne Argwohn, hinterlässt einen juckenden Stich. Nur hat man das Imitieren von Athleten samt ihrer Ticks schon häufiger auf Tanzbühnen gesehen, und gerade Tennis hat eine Geschichte mit der Tanzgeschichte, was hier scheinbar vergessen wird: als das eine Stück von Vaslav Nijinsky, „Jeux“, das keinen Ruhm abbekam. Ein Jahr vorher, 1912, hatte er ein Menschtierwesen getanzt. Das war der berühmte „Faun“, im Kostüm mit Kuhflecken.
“MATA DORA” ist der Beginn eines überjährigen Projekts von El Cuco Projekt. Im Laufe des Prozesses wird es weitere öffentliche Vorstellungen geben, die Premiere wird im März 2024 in der Alten Feuerwache stattfinden.