BRUTAL GUT GETANZT…DIESE REISE

SHARON EYAL und L-E-V Dance Company | Tel Aviv in Köln zu Gast mit

CHAPTER 3 – THE BRUTAL JOURNEY OF THE HEART

gesehen von Klaus Dilger

Die Israelin Sharon Eyal gehört zu den gefragtesten Choreografinnen der Zehner- und Zwanziger- Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und wenn ihre Stücke gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern ihrer, in Tel Aviv beheimateten, L-E-V Dance Compagny erarbeitet und von ihnen getanzt werden, dann erwartet das Publikum sehr wahrscheinlich eine Aufführung der Weltklasse. Langjähriger „Partner in Crime“ und Co-Autor der meisten Kreationen ist dabei der Designer Gai Behar und einmal mehr stammt die Musik von Ori Lichtik.

„CHAPTER 3“ wurde bereits in 2019 während der Ruhrtriennale uraufgeführt und ist seither um die Welt gereist. Corona bedingt war der aktuelle dritte Teil in vielen Ländern sogar noch vor dem zweiten Teil ihrer „Love-Trilogie“, „LOVE Chapter 2“, zu sehen gewesen, dessen Aufführungen vielfach in 2020 entfallen mussten.

Auch wenn die Choreografin betont, dass jeder der drei Teile für sich stünde, so wird doch in „The Brutal Journey of the Heart“ deutlich, wie sehr die inneren Landschaften dieser Choreografien aufeinander aufbauen. Als absolut essentiell für den Zugang darf hierbei der erste Teil betrachtet werden, „OCD LOVE“, basierend auf dem OCD (obsessive-compulsive disorder) Gedicht des Rappers Neil Holborn.

Sharon Eyal, hier in der Übersetzung, schrieb dazu:

„Viel Inspiration für die Arbeit (von OCD LOVE) kommt aus dem Text „OCD“ von Neil Hilborn.

Dieser Text ist stark für mich, weil ich das Gefühl habe, dass er mich so sehr widerspiegelt. Ich konnte nicht aufhören es zu lesen. Für mich war es bereits eine Choreografie oder eine Form, in die man sich selbst inspirieren kann.

Es ist das erste Mal, dass der Kern des Stücks in meinem Kopf geformt wird, und zwar so figurativ, bevor wir überhaupt mit der Arbeit begonnen haben. Ich weiß, wie es sich anfühlt und riecht. Wie das Ende der Welt, ohne Gnade. Ein Duft von Blumen, aber sehr dunkel. Als würde man in ein Loch fallen und nicht mehr zurückkommen. Viel Lärm, aber verzweifelt nach Ruhe. Es kommt nicht von einem Ort, an dem ich etwas Trauriges machen möchte, sondern etwas, das ich aus mir herausnehmen muss, wie einen dunklen Stein, den ich in meiner Brust habe.“

(OCD LOVE mit der L-E-V Dance Company ist übrigens am 14. und 15.Oktober in Münster im Theater im Pumpenhaus zu sehen)

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann

Viele der beinahe schon zwanghaften Bewegungen des ersten Teils tauchen wie Zitate in „Chapter 3“ wieder auf.

Während sich „CHAPTER 2“ anfühlte wie das Ende aller Hoffnungen und wie ein dunkler Sog in die potentielle Selbstzerstörung von wandelnden Schatten, die ihre Individualität längst im Dauerschmerz verloren hatten, beginnt in Eyals’ neuer Kreation wieder Etwas zu leuchten.

Vielleicht muss das Publikum diesmal etwas genauer hinsehen und dechiffrieren, was bei Eyal oft wie ein „déjà vue“ aussieht, als etwas, von dem die Choreografin einmal sehr früh in ihrer Karriere gesagt hatte, sie würde am liebsten nur ein einziges Stück machen.

Es sind nicht zuletzt die filigranen Kostüme der Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri, die jedem und jeder einzelnen der (diesmal) acht Performer einen individuellen Lebensatlas auf den Leib tätowiert und damit die möglichen, in der Gruppe stets verborgenen, Zugänge erahnen lässt. Leider  sind die Kostüme so detailliert nur in den ersten Reihen zu sehen. Zugang finden und fanden die Zuschauenden jedoch bis in die letzten Reihen, durch  die ebenso individuellen wie authentischen Bewegungsimpulse der Tanzenden, wie sie insbesondere die Bewegungssprache von Ohad Naharins’ Gaga Technik hervorzubringen vermag und derer sich Sharon Eyal bedient.

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann

Längst zu einem ihrer Markenzeichen geworden, sind die wunderbar ausgreifenden und fliessenden Armbewegungen, die ihre Tänzer auf engstem Raum zelebrieren, ohne sich dabei zu berühren, sind die unglaublich kompakten Gruppenchoreografien, aus denen Einzelne herauswachsen, so wie in den Bildern, aus denen eine Person herausspringt, die sich der Konformität der Tausenden widersetzt. Immer wiederkehrend sind auch die Welten die diejenigen auf halber Spitze von denen trennen, die mit flachen Sohlen tanzen.

Ohne Unterbruch treibt die Choreografin ihre unisex erscheinenden Performerinnen zu den beats von Hauskomponist und Musiker Ori Lichtik zusammen und auseinander zu stets neuen Tableaus, die ihre Architektur durch und im exzellenten Lichtdesign von Alon Cohen finden.

Auch wenn diese Tableaus den Rezensenten in ihrem Innersten gelegentlich an Francis Bacon erinnerten, andere werden ihre eigenen Bilder und Welten in sich entdeckt haben. Begeisterung und Zustimmung sind demnach nicht unwesentlich verbunden mit dem, was tief verborgene und ganz persönliche (Lebens-)Folien antwortend widerspiegeln. Auch dies eine Stärke der Arbeiten der Company aus Tel Aviv, deren Tänzerinnen und Tänzer von den Zuschauern im ausverkauften Schauspiel Köln für ihren grossartigen Tanz gefeiert wurden.

Noch einmal Heute Abend ist die Weltelite des Tanzes in der Kölner Tanzgastspiel-Reihe zu sehen.

Es tanzten: Clyde Emmanuel Archer, Keren Lurie Pardes, Rebecca Hytting, Darren Devaney, Alice Godfrey, Guido Dutilh, Dana Pajarillaga, Etay Axelroad, Edit Domoszlai

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann

Sharon-Eyal_Love-Chapter-3©Ursula-Kaufmann