der Auftakt der diesjährigen Ausgabe des Bonner INTO THE FIELDS Festival stand ganz im Zeichen des Rituals und könnte thematisch kaum schlüssiger sein:

Eine Nachtkritik von Klaus Dilger

 

die erste Festivalwoche der diesjährigen Ausgabe des Bonner INTO THE FIELDS Festival stand ganz im Zeichen des Rituals und könnte thematisch kaum schlüssiger sein – hierzu gehören auch die Aufführungen von VIS MOTRIX der gastgebenden CoconnDance Company (siehe gesonderte Kritik dazu):

Den Beginn machte der Südafrikaner Rudi van der Merwe mit der magisch installativen Tanzperformance  TROPHÉE.

Es ist ein weites Feld, das KUNSTrasen-Gelände, direkt am Rhein gelegen,  das an diesem Abend von einem weissen Lattenzaun geteilt wird.  Zumindest erscheint dies so auf den ersten Blick, der in weiter Ferne nach und nach auch kleine Figuren in barocker Kostümierung erkennt, die aus dem Nirgendwo plötzlich aufgetaucht sind und nun in gut einhundert Meter Entfernung.über das Grün tippeln. In die anfangs an Sirenen erinnernde Soundkulisse von Beatrice Graf mischt sich reales Vogelgezwitscher, das dann immer mehr überlagert wird von rhythmischen Mustern und schliesslich immer mehr von gewaltigen, treibenden Perkussionskaskaden. Von Idylle keine Spur, denn allen Bildern haftet stets etwas Bedrohliches an. Was zunächst in der Weite hin und her zu wogen schien, bekommt plötzlich eine klare Richtung, die nur kurz von dem Lattenzaun aufgehalten wird, der nichts anderes ist, als eine Reihe von Schwertern, die in einer zurückliegenden Zeit Griff an Griff in den Boden gerammt worden waren, und die nun von den drei Performern herausgerissen, ins Gelände geschleudert, oder triumphal in die Höhe gereckt werden.

Ein jedes dieser Schwerter wird nach und nach, wie in einem Todesstoß, in die Erde gerammt, als würde damit ein unsichtbarer Feind durchbohrt und gleichzeitig dessen Grabstätte markiert; zunächst kreuz und quer, dann symmetrisch in langen Reihen.

Ihre Gesichter sind ausdruckslos, denn sie sind nicht vorhanden. Ihre Köpfe sind Wehrmachtsstahlhelme unter weissen Spitzenstoffen. Diese Gestalten erinnern an die (Un)Toten, die sich aus der Erde erheben in Jason’s Kampf um das Goldene Vlies, Gestalten die zu Reitern werden, wenn sie ihre barocken Reifröcke vor sich halten, wie die Zügel eines Pferdes, mit denen sie durch mittelalterliche Ritterschauplätze aufeinander zu galoppieren.

Nur vierzig Minuten dauert dieser faszinierende Spuk, dann entschwinden die Gestalten dorthin, wo sie hergekommen sind, aber das Terrain ist nicht mehr das, was es vor ihrem Erscheinen gewesen ist.

Claire-Marie Ricarte, Ivan Blagajcevic und Gyula Cserepes verwandelten mit Rudi van der Merwe’s und Beatrice Graf’s  „TROPHÉE“ die Bonner Rheinaue in ein Kriegsgräber-Mahnmal, dessen Aktualität bedrückend ist angesichts der weltpolitischen Entwicklungen, bei denen es ebenfalls um Posen, Pompöses, Gebärden,  Zäune, Grenzen, Trophäen und Kriegsgeschrei und -gerät geht, das sich leicht in einen gigantischen (Soldaten)Friedhof  verwandelt könnte, doch nicht nur symbolisch, wie hier.

Mit diesen Gedanken und Eindrücken ziehen wir weiter in das Theater im Ballsaal.

Ayelen Parolin liefert dort mit HÉRÉTIQUES | Ketzer: eine spannende Auseinandersetzung mit der kirchlichen Trinität, wie der Titel nahelegen könnte, oder nutzt sie die Form des Dreiecks nur als abstraktes Leitmotiv, so wie in früheren ihrer Arbeiten?

„In HERETIQUES entwickelt die argentinische Choreografin Ayelen Parolin gemeinsam mit zwei Tänzern und der Komponistin Lea Petra, die ihre Komposition live interpretiert, ein modernes Ritual. Doch wie viel Schamanismus geben unsere überkodifizierten Körper noch her? Lassen sich die Rhythmen einer von Effizienz geprägten Gesellschaft in solche verwandeln, die zu tranceartigen Zustanden führen?“ … Dies fragt das Programmheft zur zweiten Aufführung dieses Eröffnungsabends des internationalen Tanzfestivals INTO THE FIELDS 2018, das sich dem Thema des Rituals hier ein zweites Mal widmet.

Nach dem Auftakt auf dem weiten Feld in der Rheinaue mit TROPHÉE, erlebt das Publikum hier die Performer auf engstem Raum konzentriert, in einer Konstellation, die sich während der (nur) fünfunddreissig Minuten dauernden Aufführung räumlich kaum verändern wird.

Das Inszenierungsprinzip ist sehr schnell erkennbar. Die beiden Tänzer loten die Möglichkeiten der Abfolgen und Zeichen aus, die die Form des Dreiecks hergibt und das Tempo steigert sich hierbei in den Wiederholungen, bis das Maximum der technischen Fähigkeiten erreicht ist. Bis zu diesem Kulminationspunkt versuchen die Tänzer, sich synchron zu bewegen, ohne hierbei ihre räumliche Position zu verändern. Nachdem dieser erreicht wurde, einschliesslich einer hörbaren Verschnaufpause, beginnt dieses Spiel erneut, jedoch offensichtlich ohne den Zwang der absoluten Synchronität. Dieses Mal wird nicht nur die räumliche Fixierung minimal aufgehoben und beide Tänzer bewegen sich noch näher zum Publikum hin, auch wird der Kulminationspunkt lichttechnisch ausgeblendet.

Obwohl Marc Iglesias und Noé Pellencin ihre Sache ausgezeichnet machen und jeder ohnedies geneigt ist, seine volle Empathie zu entfalten, wenn Menschen sich so bedingungslos verausgaben wie hier, bleibt „Héretiques“ choreographisch doch wenig ketzerisch oder gar grenzüberschreitend.

Warum ist das Stück dennoch spannend, wie eingangs behauptet?

Weil die Komposition und die Live-Interpretation von Lea Petra einfach sensationell gut ist!

Ständig liegt sie auf der Lauer, peitscht, hämmert, schmeichelt die Bühnenaktion voran, ist Zeit, Raum und Bewegung zugleich. Grossartig!

Ayelen Parolin absolvierte nach ihrem Tanzstudium in Buenos Aires zusätzlich den ex.e.r.ce Master am CNN Montpellier. Seit 2003 kreiert Parolin eigene Stücke, die europaweit und auch in ihrer Heimat Argentinien gezeigt wurden. 2016 erhielt sie das von der Kunststiftung NRW aufgelegte Pina Bausch Fellowship for Dance and Choreography. Parolin lebt und arbeitet in Brüssel.