Gut abgehangen

Mit „IN-CONNECT+ION“ hebt Adrián Castelló in der Tanzfaktur Köln Performance in die dritte Dimension

Nachtkritik von Rico Stehfest

Bereits der Titel weist in eine klare Richtung. Anziehungskräfte, die auch immer ihr Gegenteil mit sich bringen, egal, ob auf atomarer Ebene oder der sozialen. Die fünf Performer, unter ihnen der Choreograf Adrián Castelló selbst, sind die beweglichen Teilchen und gleichzeitig ihre eigenen Bezugspunkte innerhalb eines durchaus überschaubaren Systems. Castelló ist nämlich nicht nur Tänzer und Choreograf. Er ist auch Biologe. Und seine mikroskopischen Beobachtungen bewegen sich hier tatsächlich ein ganzes Stück weit weg von dem, was als Tanz mit dessen grundlegender Ästhetik gilt.

Die Performer stecken in groben Overalls, ein Blauton in Kombination mit schwarz, individuell variiert, aber doch uniform (Kostüme/Bühnenbild: Katrin Lehmacher). Dazu Harnesse, die die Assoziation zu Fensterputzern von Hochhäusern nicht abwegig erscheinen lassen. Von Anfang an sind daran Seile befestigt. Oder sie sind damit an Seilen befestigt. Diese perspektivische Frage ist durchaus nicht irrelevant. Verbindungen weisen auch hier über sich selbst hinaus. Leicht atmosphärisch anmutende Klänge (Musikalische Arrangements: Nadine Witt) begleiten die In-Beziehung-Setzungen der Performer, das Gegen- und Miteinander, das sehr zeitig vertikale Hebefiguren zeigt, die spätere Bilder vorwegnehmen, wenn die Performer an Seilen von der Decke hängen. Wiederholte Nahaufnahmen (Video: Cornelius Schaper) wirken wie Portraits der Einzelnen. Sie individualisieren die Mitglieder dieser kleinen Gemeinschaft. Der Kamera kommt hier, wen sollte es wundern angesichts der Dreidimensionalität der Arbeit, eine besondere Rolle zu. Dazu sind sowohl die Rückwand der Bühne wie auch der Tanzboden in Weiß gehalten. Sobald die Kamera die Perspektive von oben wählt, aus der Draufsicht, kippt dadurch die Wahrnehmung des Zuschauers und die so entstehenden Bilder scheinen nicht von oben, sondern frontal aufgenommen. Einen vergleichbaren Effekt hat bereits Eva Meyer-Keller in ihrer Arbeit „Living Matters“ genutzt. Auch sie suggerierte damit den Blick durch ein Mikroskop.

IN-CONNECTION-Foto-@Oliver-Stroemer-scaled

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Hier allerdings liegt der Fokus auf den zu beobachtenden Beziehungen, die durch die Seilverbindungen der Performer untereinander, die schließlich auch eine (neuronale) Vernetzung zulassen, gleichzeitig entstehen und sichtbar gemacht werden. Das verlangt den Performern nicht wenig an körperlicher Fitness ab. Diese Elementarteilchen hängen teilweise reglos kopfüber von der Decke, fast leblos. Sie sind untereinander, nicht ausschließlich miteinander. Sie sind zu synchroner Aktion und damit zu Organisation fähig, bilden als Gruppe aber eher eine Ansammlung als eine geschlossene Gemeinschaft. Ihre Form der Kommunikation liegt gänzlich in ihrer Interaktion, aber auch der Möglichkeit der Verweigerung dessen. Verbindungen können (wechselseitig) Abhängigkeit bedeuten, aber auch Sicherheit. Einklinken, Ausklinken. Teil dessen sein oder nicht. Die Wahl besteht.

Die Kombinierungen der Performer miteinander im Raum, in Analogie zum naturwissenschaftlichen Ansatz kann das durchaus so gesehen werden, ist auf der sichtbaren Ebene geprägt von den Gesetzen der Physik und den Grenzen körperlicher Kraft. Damit wirkt die Performance augenscheinlich befreit von emotionaler Bewegtheit. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass diese Sichtbarmachung zwischenmenschlicher Verbindungen eben doch Ausdruck des Inneren stellvertretend vermittelt. Im wörtlichen Sinn gelangt hier der Eine ohne den Anderen nicht in die Höhe. Anders gedacht: Dank des Einen gelangt der Andere zu sonst unmöglichen Höhen. Kollegial wird wörtlich an einem Strang gezogen. Die Gemeinschaft verleiht damit dem Einzelnen eine gesicherte Form der Freiheit.

Diese Bilder erschließen sich mühelos, sind aber tatsächlich komplexer als man meinen könnte. Welche Rolle spielt bei Abhängigkeiten Macht? Und was ist mit deren Missbrauch? Diese Fragen sind dabei unbedingt mitzudenken, will man den inhaltlichen Ansatz dieser Arbeit nicht unterschätzen. Denn was unter der Linse des Mikroskops sichtbar wird, ist nur die Oberfläche der Dinge.

IN-CONNECT-ION@Oliver-Stroemer_

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