Zehntes Internationales Tanzfestival INTO THE FIELDs in Bonn eröffnet mit

„AeReA“

Ginevra Panzetti & Enrico Ticconi

von KLAUS KEIL

Mit einer geradezu spektakulären Tanz-Performance ist gestern Abend im Theater im Ballsaal Bonn das 10. Internationale Tanzfestival „INTO THE FIELDs“ eröffnet worden. Die Kuratoren Rafaele Giovanola und Karel Vanek haben wieder ein breit gefächertes Angebot an Tanz in all seinen Formen und Variationen zusammengestellt. Doch es deutet sich bereits an, dass die Tanzperformance „AeReA“ des italienischen Tanz-Duos Ginevra Panzetti & Enrico Ticconi zu einem singulären Festival-Ereignis werden könnte.

In der Fotografie gibt es symbolträchtige Bilder, die sich in das kollektive Gedächtnis ganzer Generationen eingebrannt haben– wie etwa die des vietnamesischen „Napalm-Mädchen“. Die Staub überhäuften Menschen und Feuerwehrleute von 9/11 gehören ebenso dazu wie schon jetzt die in einer unvorstellbaren Brutalität von Putins Krieg zerbombten Städte der Ukraine.

Im Theater und mehr noch im Tanz tauchen diese Bilder meist nur marginal auf.

Panzetti & Ticconi haben mit ihrer Duo-Performance  „AeReA“ einen ebenso unkonventionellen wie überzeugenden Zugang zu diesen Menschheitsthemen gefunden, der die vielen Facetten der Banalität des Bösen (Hannah Arendt) mit der ihnen eigenen immanenten Banalität entlarvt. Mit der Verschachtelung zweier Begriffe zu einem titelgebenden Begriff konfrontieren die beiden Performer das Publikum, das sich nunmehr selbst die Orientierung durch die etwa 30-Minuten-Performance suchen muss. Wie kann man „ARA“ (antiker Opfer-Begriff) und „AEREA“ (Luft als positives Element) zusammen bringen?

Aus dem Dunkel der Hinterbühne schälen sich schemenhaft zwei Menschen. Ihre Konturen sind unklar, verschwimmen scheints in einer riesigen Staubwolke.

Zaghaft setzen sie sich in Bewegung, um sich langsam gegen das Licht und gegen die begleitende Musik zu großen Flaggen vor zu arbeiten. Das Grollen und metallische Hämmern hat nichts menschliches, sondern ist hart und mechanisch, mal dezent im Hintergrund, dann wieder aufwallend zur lautstarken Kakophonie. Doch nicht die Musik, hier ein mehr oder weniger heftiger tonaler Steinbruch (in großartiger Zusammenstellung von Demetrio Castellucci), führt und fordert die beiden Protagonisten, sondern korrespondiert nur auf die Anforderungen der Choreografie.

Panzetti & Ticconi zeigen gleich zu Beginn ihrer ungewöhnlichen Flaggenparade, dass diese Tanz-Performance nur von der Präsenz der beiden zu jeder Zeit und an jedem Punkt der thematischen Auseinandersetzung lebt. Kraftvoll und tänzerisch bringen sich beide mit einer zeitlosen und örtlich ungebundenen Flagge ein. Ihre Flaggen sind farblos, damit gültig für alle Menschen. Wie keine andere Sache entwickeln Flaggen, wo auch immer ein Art Eigenleben. Man kann sich hinter ihnen versammeln, sie stellen Forderungen, führen zusammen, sie sind schlechthin die „Heimat des kleinen Mannes“.

Panzetti & Ticconi geben den vielen Aspekten, den Emotionen, von Zustimmung bis hin zu Widerstand und Aufbegehren eine tänzerische Bestätigung. Für jedes dieser Gefühle finden sie eine eigene Bewegungsform, einen eigenen kunstvollen Schwung, eine dafür typische Art und Weise ihrer Handhabung. Wenn ihre Schwünge immer schneller, immer kunstvoller und raffinierter werde, so verschweigen sie auch nicht, dass auch in Flaggen Gefahren stecken.

„AeReA“ ist ein großartiger Auftakt für ein großartiges internationales Festival, das bereits 10 Jahre lebt und begeistert.

ARA-ARA-©-Ettore-Spezza

ARA-ARA-©-Ettore-Spezza