Oona Doherty und Od Works zeigt im Depot 1 des Schauspiel Köln
Navy Blue – Feinfühlige Kommunikation
Von Thomas Linden
Zahlreich sind die Regionen der Welt, in denen derzeit offene Gewalt aufbricht. Konflikte der Vergangenheit treten wie Eitergeschwüre hervor, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Zukunft kein strahlendes Versprechen mehr für uns parat hält. In dieser Situation präsentiert die in Belfast lebende Irin Oona Doherty mit „Navy Blue“ eine Choreographie, die sich wie eine bittere Abrechnung mit der erbarmungslosen Seite des Kapitalismus ausnimmt.
Der Titel bezieht sich auf jenes leuchtende Blau, dem die britischen Offiziersuniformen ihre ganze Pracht verdankten. Aber die Herstellung des Indigoblau stellte ein Paradebeispiel für imperialistische Ausbeutung dar. Heute wird zwar synthetisch gefärbt, aber der „Blaumann“ ist eben auch die Kleidung der Arbeiterklasse und der Gefängnisinsassen. Und so tritt die elfköpfige Riege des Ensembles von Od Works in Köln auch vor ihr Publikum. Gleich Sträflingen, denen man ihren Stolz abgeschliffen hat, blicken sie uns im blauen Drillich entgegen. Der Augenkontakt mit dem Publikum gehört zum ästhetischen Selbstverständnis der 37-jährigen Choreographin. Mit dem Blick erzählen Dohertys Tänzerinnen und Tänzer von Furcht, Unterwürfigkeit und Trotz.
Einerseits ist hier ein Kollektiv zugange, das sich mit großer Geschwindigkeit wie ein Schwarm über den rechteckigen Tanzboden bewegt. Doherty und ihr choreographischer Partner Jamie XX verstehen sich auf Raumwirkung, rasch wechselnde Ensembleformationen ergeben sich, die dramaturgisch enorme Energie erzeugen. Das Lichtdesigne von John Gunning ist exquisit, denn in einem Meer von Blau und Schwarz entwickeln die Hände ein wunderbares Eigenleben. Sie erzeugen vor den dunklen Hintergründen eine Vitalität, die uns daran erinnert, dass es die Hände sind, die uns darauf verweisen, dass die Menschen ein denkendes Innenleben besitzen. Das ist hier auch deshalb bedeutsam, weil dieses Ensemble immer wieder zu einem Organismus aus vielen Körpern verschmilzt. Wir schauen Häftlingen, Arbeitern – die den Boden säubern – und letztlich uns selbst zu. Weil Doherty auf die üblichen Bewegungsstereotypen des Balletts ebenso verzichtet, wie auf die Entwicklung einer selbst erfundenen Körpersprache. Sie bedient sich vielmehr aus dem Repertoire jener Gesten, die wir alle aus dem Alltag kennen, dem Zeigen, dem Erschrecken oder dem Schutzsuchen. So stellt sie auch emotional einen ungemein elaborierten Dialog mit ihrem Publikum her.
Subtil ist diese Kommunikation angelegt. Ihre Wucht erhält sie durch den Sound, der zunächst Sergei Rachmaninows melancholischem „Klavierkonzert Nr. 2“ folgt. Dohertys Perspektive auf die Welt unserer Gegenwart ist geprägt von der Bitterkeit einer Irin, die zornig gegen die soziale Düsternis rebelliert, mit der die Regierung in London das Vereinigte Königreich überzogen hat. Die Ohnmacht ihrer Wut findet Ausdruck in der Erschießung ihrer Darsteller. Während Schüsse durch den Saal peitschen – mit sadistischer Langmut werden sie in großzügigen Zeitabständen abgefeuert – sinken die Körper der Tanzenden einer nach dem anderen in sich zusammen. Erbarmungslos, bis alle in einer blau leuchtenden Blutlache liegen.
Aus dem Off flüstert Oona Doherty den Mitgliedern ihres Ensembles die Worte eines von ihr selbst gesprochenen Monologs in den Mund. Darin beklagt sie die Zerstörung der Gesellschaft durch Gestalten wie Margaret Thatcher, Donald Trump oder Marine Le Pen. Das Böse wird zum Sujet einer Deklamation, die das Wort an die Stelle des Körpers rückt. Wo vorher vieldeutig und eindringlich die Sprache der Bewegung den Zustand unserer Welt in dunklen aber sinnlichen Gesten gezeigt hat, regiert nun das abstrakte Wort. Damit nimmt sich Oona Doherty etwas von der wilden Kraft ihrer Choreographie. Dennoch behält man diesen Abend lange in Erinnerung.