Premiere in der TanzFaktur Köln:

Piep Piep Piep. A voice of a generation

Das neue Stück des Kölner Performance-Duos Artmann & Duvoisin in der Tanzfaktur

Nachtkritik von Melanie Suchy

Manchmal singt jemand, manchmal alle, im Chor oder im geordneten Durcheinander, schief oder gerade. Manchmal lehnen sie aneinander, halten sich, schräg oder kopfüber oder als Bündelchen in des anderen Armen oder fassen ein Bein an oder eine Hand oder zwei. Manchmal ist jeder allein oder nur einer von fünfen oder zwei. Mal wallen sie im Hocken oder floaten mit lockeren Armen wie Nebelschwaden umher, wölben die Brustkörbe, biegen sich in die Brücke oder fallen in Zeitlupe und stürzen in real time, aber schnellen wie Flummies gleich wieder hoch. Kein Liegenbleiben. Echt gekonnt. Und dazu reden sie noch eine Menge. „A voice of a generation“ des Performanceduos Artmann & Duvoisin, alias Elsa Artmann und Samuel Duvoisin, verstärkt durch Anne-Lene Nöldner, Diana Treder und Ophelia Young, lässt sich nicht lumpen 85 Minuten lang. Aber für wen und von wem spricht diese eine „voice“? Und worüber?

Es müsse eine gewisse Dringlichkeit erkennbar sein, heißt, im Jargon der Insider, eine der Forderungen an Tanzstücke. Sonst schaue man dem Treiben oder Nichttreiben auf der Bühne zu und frage sich, wozu man diese Zeit im Theater verbringt. Hat die Kunst, haben die Kunsttreibenden da etwas mitzuteilen, jetzt und hier? Diese Forderung hat viel für sich, ist schön unscharf, wie Gummi anwendbar und bestimmt nicht allgemeingültig. Dringlichkeit ist bei diesem Tanzstück der unpassende Begriff, sogar Tanzstück passt nicht wirklich. Es breitet die Undringlichkeit aus, das ist der Kniff. Auf die Nerven zu gehen, ist das Recht dieser fünf, aber das zu ertragen, muss man sich beim Anschauen erarbeiten. Oder, im vom Stück zitierten Tänzerpsychobegriff: Man muss da hindurchgehen oder muss sie durch sich hindurchlassen, die Genervtheit, den Ärger.

Voice of a Generation_artmannduvoisin©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Voice of a Generation_artmannduvoisin©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Eine von einer

Zum Vorschein kommt ein Verzweifeln an sich selbst und ein Zweifeln an Überzeugungen, das sich kaschieren muss. Damit der Mensch funktioniert oder nicht zu doof dasteht vor anderen. Die kleinen Geschichten,  die sie hier erzählen, vom Überprüfen der Haut vorm Spiegel nach einem Kuss oder vom Gesichtsausdruck beim Anhören einer Jobabsage oder vom Versuch, „authentisch“ zu wirken: Diese Peinlichkeiten sind so altmodisch, dass die Behauptung der „Generation“ im Titel ein Witz ist. Vielleicht beabsichtigt. Es fehlen denn auch eindeutige Signale fürs 21. Jahrhundert, wie Smartphone, Insta, Hashtag etc. Ein Hauch von Achtzigern weht da herum, und Arthur Schnitzler lebt auch noch.

Das Stück gibt sich witzig, indem es Ansagen aus dem (auch nicht superneuen) zeitgenössischen Tanztraining ad absurdum führt. Atmen, innere Impulse kommen lassen aus den Organen, Fühlen! Tiefer fühlen, mehr fühlen! Reach, grab, pull, diktiert Anne-Lene Nöldner mit angemessenem Ernst. Wer nicht fühlt, tue halt so als ob. Brustkörbe und Arme öffnen sich, Knie wippen. Im Angesicht dreier Wasserflaschen, nach denen drei der Tänzer greifen, sie anheben und heranziehen, siehe oben, und dann lange an dem Inhalt schlucken mit Gurgeln und Prusten, wird  klar, wie sich die Ansage zum Impulsefühlen verbindet mit reklame-erwünschtem Konsumieren, also dem ganzen kapitalistischen Kram. Ein schlauer Gedanke, der wohl Teil jener Verzweiflung ist. Nur ist es ein – immerhin nicht als solches ausgestelltes – ärgerliches Jammern auf Wohlstands- oder Boheme-Niveau.

Die wollen nur

Was die hier wie hineingebastelt und unterfordert wirkende Ophelia Young, früher Weltklassetänzerin beim Tanztheater Wuppertal, einmal sagt, „wir spüren keine Grenzen, wir embracen alles, es geht immer weiter, für fühlen keinen Widerstand“ (während sie durch die Seitentür verschwindet), ist eine der verlogenen Phrasen, die sie hier dreschen, die aber als Tanzanweisungen in der Welt sind und natürlich gern bei allerlei Körper-Geist-Trainings verinnerlicht werden – allerdings aufs Ich bezogen, selten auf „Wir“. Wer immer das sein soll. Die Texte des Stückes sind denn auch sein Potenzial; entsprechend wird es bald eine Hörversion geben. Der Tanz dagegen wird eher ironisch ausgestellt, Schrittchen hier, Kreiseln dort, Knie heben, Arm strecken. Dem trauen sie hier nicht, was konsequent ist, aber zu fader Coolness führt.

Passend füllt die Soundbegleitung von Annie Bloch an einem Synthesizer, auf einem Podestchen platziert, den Raum mit leicht schrägen Akkorden, Klingeln, fast heiligem Orgeln. Dieses „fast“ stellt diese „Voice of a generation“ ans Ende. „Ich gebe 150 Prozent – von 70 Prozent. Ich flippe nur ein bisschen aus. I eat the space, but I can’t digest it“. Ja, aber. Mehr wollen, es aber nicht kriegen oder hinkriegen. Geschenkt.

„A voice of a generation“ ist das bislang beste Stück von Artmann & Duvoisin, die keine Newcomer mehr sind nach „Hätten Sie von sich aus die Familie erfunden“, „Pressspan“ und „Umzug in eine vergleichbare Lage“, bei denen Texte und Bühnensetting dominierten und das Bewegen Sinnlosigkeit ausstrahlte. Diesmal passt das Nichtpassen unterhaltsamer zusammen.

„Wir lieben es, mit unserem Potenzial herumzuliegen.“

Noch einmal heute, 27. August. Folgetermine: 9. und 10. Dezember 2022 20 Uhr in der Tanzfaktur

Voice of a Generation_artmannduvoisin©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Voice of a Generation_artmannduvoisin©TANZweb.org_Klaus-Dilger