Premiere „Next Stop: Dream City“ von CocoonDance im Theater im Ballsaal Bonn

Tänzerische Begehbarkeit einer Stadt

Von Elisabeth Einecke-Klövekorn

Für ihre Choreografie „Sphynx“ am Staatstheater Mainz erhielt Rafaёle Giovanola kürzlich den begehrten „Faust“-Preis des Deutschen Bühnenvereins. Ihre Arbeit beeindrucke „durch die äußerst präzise und konsequente choreographische Umsetzung einer fesselnden Idee: die Deklination des menschlichen Ganges“, heißt es in der Jury-Begründung. In ihren Recherchen zum „ungedachten Körper“ setzt die Choreografin sich mit ihrer Bonner Company CocoonDance seit 2016 mit Bewegungsmustern diverser Kulturen auseinander und befragt traditionelle Körperbilder. In dem 2019 uraufgeführten Bühnenprojekt „Dream City“ untersuchte CocoonDance zusammen mit professionellen Tänzerinnen und Tänzern und Jugendlichen Bewegungsformen im urbanen Raum. Als Traum von einer Stadt, in der sich unterschiedliche Identitäten frei entfalten können.

CocoonDance-NEXT-STOP-DREAM-CITY-_Alessandro-De-Matteis

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Daran knüpft das neue Werk „Next Stop: Dream City“ an, das am 16. Dezember 2022 im Bonner Theater im Ballsaal seine Premiere feierte. Unterstützt wurde es von dem „Nationalen Performance Netz – Stepping Out“, das im Rahmen der Initiative „Neustart Kultur“ insbesondere den zeitgenössischen Tanz neue Aktionsfelder öffnen will. CocoonDance ist also nach draußen gegangen, um mit Bonner Bürgerinnen und Bürgern (einige haben bereits mitgewirkt in der Bonner Senior-Company „Go.Old“ der Choreografin Gudrun Wegener) und Mitgliedern der CocoonDance-Junior-Company das Gehen auf Straßen und Plätzen zu erforschen. Zur rhythmisch pochenden und dynamisch pulsierenden Musik von Franco Mento kommen sie von allen Seiten auf die weiße Tanzfläche: Mehr als zwanzig Menschen zwischen acht und zweiundachtzig Jahren alt, darunter auch eine einbeinige junge Frau auf Krücken. Barfuß mit kokettem Hüftschwung tänzelnd, munter trippelnd, mit durchgedrücktem Rückgrat und geschwellter Brust stolzierend, lässig schlendernd, ziellos promenierend, energisch den Raum durchquerend oder vorsichtig mit kleinen Schritten am Bühnenrand balancierend. Ohne Mimik ganz konzentriert auf die körperliche Fortbewegung. In ihren schwarz-weiß-grauen und silbern schillernden Outfits (Kostüme: Veronika Kaleja) sind sie jedoch keine Alltagserscheinungen mehr, sondern bewusst agierende Kunstfiguren in einem abstrakten Raum. Jede und jeder hat ein persönliches Tempo und individuelle Bewegungsmotive. Aus dem Gehen entwickeln sich kleine gestische Momente und spielerische Beziehungen. Mitunter formieren die Akteure sich zu Gruppen, bleiben vereinzelt stehen oder verschwinden eine Weile.

Das erinnert ein wenig an Peter Handkes vor dreißig Jahren uraufgeführtes wortloses Theaterstück „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“, hier allerdings fokussiert auf die gemeinsame Präsenz bewegter Körper. Trotzdem lässt jede eigenwillige Schrittfolge individuelle (lange oder kurze) Biografien erahnen und den Traum von einer Stadt, die niemanden ausschließt. Die ca. 40minütige Performance (professionelle choreografische Mitarbeit: Ada Sternberg, Fa-Hsuan Chen, Marcelo Omine) markiert unspektakulär einen Pfad zur gesellschaftlichen Transformation und zur körpersprachlichen Aufmerksamkeit. Sie macht spielerisch geistreich, ohne großen theoretischen Über- oder Unterbau Lust auf tänzerische Erkundungen urbanen Zusammenlebens – sowohl bei den Mitwirkenden wie bei den Zuschauenden. Ein gelungenes Beispiel für die Gewinnung neuer Publikums-Communities für den zeitgenössischen Tanz: Alle drei Vorstellungen waren restlos ausverkauft.

CocoonDance-NEXT-STOP-DREAM-CITY-_Alessandro-De-Matteis

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