• CocoonDance, VIS MOTRIX, Premiere 2.3.2018 ©Klaus Fröhlich

VIS MOTRIX, die bewegende Kraft

CocoonDance mit ihrem Stück VIS MOTRIX zur TANZPLATTFORM nach München eingeladen

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir erneut die Nachtkritik der Premiere:

VIS MOTRIX, die bewegende Kraft

Kritik | Nachtkritik von KLAUS KEIL (geschrieben anlässlich der Premiere in Bonn)

Vier Körper ganz in schwarz liegen langgestreckt auf dem weißen Bühnenboden. Das erinnert an kalligraphische Zeichen des asiatischen Kulturraums mit einer schwer zu entziffernden Botschaft. Wird hier die Botschaft die Form oder der Inhalt sein? Tragen die vier Körper in VIS MOTRIX, dem neuen Stück von CocoonDance, überhaupt eine Botschaft in sich? Während im Kopf des Zuschauers der Assoziationsreigen noch weitergeht, kommt Bewegung in die Körper. Kaum wahrnehmbar, dann immer deutlicher stemmt erst eine, dann auch die anderen den Brustkorb hoch, zieht den Kopf in den Nacken. Der Sound eines leisen Grollens, das sich später bis zu einem rhythmischen Schlagen verstärkt, scheint den körpereigenen Energiefluss in Gang zu bringen.

Nacheinander stützen sie sich erst auf die Ellenbogen, heben dann ruckweise den ganzen Oberkörper, ziehen die Beine erst einzeln, dann beide an, und haben nur noch mit dem Po Bodenhaftung. So beginnen sie sich mit schnellen Körperdrehungen in alle Richtungen zu bewegen, bilden gemeinsame Formationen, lösen sich wieder daraus und formieren sich neu. Diese bodennahen Moves mit schnellen Drehungen und Richtungswechseln erinnern stark an Stilelemente des Breakdance, einer Tanzform, mit der die unteren sozialen Schichten ihren Frust an der Gesellschaft ausdrücken.

CocoonDance, VIS MOTRIX, Prmiere 2.3.2018

Doch diese Körper hier erscheinen fremd. Fremd in der Form, fremd in der Bewegung, fremd im Outfit. Sie wirken wie Wesen aus einer anderen Welt. Nicht Mensch, nicht Tier, nicht Maschine – und doch von allem etwas: Mischwesen, wie sich in ihren Bewegungen zeigt.

Noch sind die vier Performerinnen keine personifizierten Wesen, sondern gesichtslose Körper. Das Licht lässt ihre Gesichter im Dunkeln. Jetzt heben sie, nur gestützt auf Arme und Beine, ihre Körper zur Brücke. Eine hybride Haltung, in der sie sich nun die meiste Zeit fortbewegen. Immer wieder stoßen sie dabei in einer fast schon aggressiven Streckung mal einen Arm, mal ein Bein vom Körper ab, so dass ihre Gliedmaßen wie um sich greifende Tentakel wirken. Doch nicht um etwas zu greifen oder zu fassen, sondern eher wie suchende Sonden zur Wahrnehmung ihrer Umgebung, ihrer Position im Raum. Dazwischen immer wieder Stillstand und plötzlicher Aufbruch. Diese Fortbewegung erinnert an Insekten, die zu ihrer Sicherheit erst in totaler Starre verharren und bei der leisesten Veränderung ihrer Umgebung unvermittelt aufbrechen.

CocoonDance, VIS MOTRIX, Prmiere 2.3.2018

Im letzten Teil des Stückes gibt die Lichtregie den Tänzerinnen wieder ihr Gesicht zurück, sie werden menschlicher. Der Boden ist nun nicht mehr ihr einziges Element. Immer wieder erfolgt der Aufbruch in einen flüchtigen Stand, aus dem sie zwar wieder zurückfallen auf den Boden. Doch ihre Fall- und Drehbewegungen wirken wie ein Loslösungsprozess zu eigener Stärke und eigener Kraft, der einer ungeheuren Kraftanstrengung bedarf. In diesem körperlichen Aufbegehren zeigen sich endlich wieder die bislang verdeckten menschlichen Züge, die Emotionen, wie sie sichtbar in der Freestyle-Technik des Krumping zu finden sind, die nicht nur schnell und dynamisch bis aggressiv ist, sondern den Ausdruck, das Anliegen, mit einbezieht. Krumping ist dabei ein reines Kunstwort, wobei das Kürzel KRUMP für Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise steht. Seine wesentlichen Schritte und Bewegungen sind Stomps, eine Art Stampfen, und Armswings, das Schwingen mit den Armen. Jetzt schießen in VIS MOTRIX Arme und Beine nicht nur aggressiv in die Höhe, sondern die Tänzerinnen lassen die Beine auch krachend auf den Boden knallen. Endlich möchte man fast erleichtert sagen, endlich. Es sind vor allem die Tänzerinnen Fa-Hsuan Chen, Martina de Dominicis, Tanja Marin Friđjónsdóttir und Susanne Schneider, die der hybriden Choreografie von Rafaele Giovanola – oszillierend zwischen Mensch und Tier – mit ihrer starken Präsenz den Rücken stärken.

CocoonDance, VIS MOTRIX, Prmiere 2.3.2018

Von |2020-03-02T11:52:26+01:002. März, 2020|

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