Von Geistern und Gespenstern: Rätselhafte Geisterwelt

Premiere von „SIGNIFYING GHOSTS“ im Theater im Ballsaal

„…Mit „EX-SITU“ von Rafaële Giovanola steuert die CocoonDance Company zwar ein bekanntes, aber aus „erneuter Lektüre“ von „No Body but me“ entstandenes Stück bei. Es ist das wohl energetischste, ja wuchtigste Stück des Abends, das sich langsam aus der Bewegungslosigkeit in einen regelrechten Bewegungsrausch steigert….“

Nachtkritik von KLAUS KEIL

Während die Zuschauer*innen ihre Plätze einnehmen, thront bereits mittig auf der Bühne im Halbdunkel eine majestätische Figur mit Umhang, deren Bild und Bewegungen live auf den Bühnenprospekt übertragen werden. Gleich zu Beginn des Stückes der südafrikanischen Choreografin Nelisiwe Xaba müssen sich die Zuschauer*innen entscheiden: Bild oder Abbild? Realität oder Projektion? Original oder Fake? Wem werden sie folgen?

Die Choreografin treibt in „FAKE N.E.W.S.“ ein intelligentes Verwirrspiel, das irritiert und zu Wachsamkeit herausfordert. Wird im Alltag nicht ständig unsere Wahrnehmungsfähigkeit auf die Probe gestellt? Aus dem schwarzen Umhang schieben sich Arme, dann Beine. Doch was ist das? Die Projektion zeigt es genau: Sie liegen an der falschen Stelle. Und damit nicht genug schieben sich weitere Gliedmaßen an verschiedenen Stellen vor, so dass man irritiert mitzählt, fünf, sechs, wie hingeworfen auf einen Haufen. Eben noch hat man geschmunzelt über die verquere Lage von Armen und Beinen. Wie gut, dass da die Projektion etwas Distanz schafft, denn Nelisiwe Xaba macht hier auf subtile Weise auf eine für uns Europäer*innen weitgehend unbekannte Zwischenwelt aufmerksam, deren Geister die Migrationsproblematik ebenso bestimmen wie die Alltagsrealität afrikanischer Gesellschaften. So gesehen, liegen diese menschlichen Extremitäten wohl eher auf einem Abfallhaufen: bizarre Realität und keine FAKE.N.E.W.S. Wie gut, dass auch die sechsbeinige Riesenspinne aus der Overhead-Projektion sich auf der Bühne als zwei übereinander liegende Menschen entlarvt.

FAKE-N.E.W.S.-Xaba_photo-by-Klaus-Fröhlich

Signifying Ghosts, FAKE N.E.W.S., Cocoon Dance Bonn, Premiere 12.6.2019

Doch die Choreografin bringt auch das Lachen auf die Bühne. In einem zweiten Teil werden mit Bändern Rahmen, Linien, Sprechblasen gelegt und ab jetzt schaut wohl jeder Zuschauer auf die Projektion. Denn erst in der Overhead-Projektion entfaltet sich die ganze Komik der Situation. Die drei Performer bewegen sich nur noch liegend voran. In der Projektion erscheinen sie dann schwebend, fliegend, schaukelnd, springend, auf den Schultern eines anderen balancierend, am Seil hängend: Eine großartige Idee, technisch perfekt von Martina De Dominicis, Álvaro Esteban und Greta Salgado umgesetzt. Unsere Wahrnehmung wird auf witzige Weise auf den Kopf gestellt. Die Zuschauer*innen amüsieren sich.

FAKE-N.E.W.S.-Xaba_photo-by-Klaus-Fröhlich

Signifying Ghosts, FAKE N.E.W.S., Cocoon Dance Bonn, Premiere 12.6.2019

Der dreiteilige Tanzabend „SIGNIFYING GHOSTS“ im Bonner Theater im Ballsaal ist das Ergebnis einer breit geförderten interkulturellen Begegnung zweier europäischer und zweier afrikanischer Choreografinnen aus Südafrika und Mali. Wie schon das erste Stück „FAKE N.E.W.S.“ zeigt, geht es dabei nicht nur um den Blick über den Tellerrand, sondern auch den Austausch und die Möglichkeiten, die ein experimenteller Begegnungsraum schafft.

„NULLSTELLE“

Der zweite Beitrag stammt von der Kölner Choreografin Vera Sander. „NULLSTELLE“ ist eine spröde Performance zweier Tänzer, deren Bewegungsformen vom Liegen und Krauchen bis zum Stand führen. Entgegen der Ankündigung ist die Choreografie nicht in der Lage den „Aufführungsraum zu füllen“. Es ist ein kopflastiges Stück, seine Intention nicht nachvollziehbar und in seiner Abstraktion sicher nicht als typisch für europäische Tanzkultur zu bezeichnen.

NULLSTELLE-Sander_photo-by-Klaus-Fröhlich

Signifying Ghosts, NULLSTELLE, Cocoon Dance Bonn, Premiere 12.6.2019

Zwischenwelten

Mit Geistern und Gespenstern, mit Wesen aus Zwischenwelten und tiefgründigen Wahrnehmungs- räumen haben die Tänzerinnen und Tänzer von CocoonDance um die Choreografin Rafaële Giovanola und dem Dramaturgen Rainald Endrass so ihre Erfahrungen gemacht. Immer wieder, und nicht zuletzt mit „Momentum“ über „Ghost Trio A“ und „Ghost Trio B“ bis hin zu „Vis Motrix“ ist das Duo Giovanola / Endrass eingetaucht in diese Zwischenwelten, um die Momente zu entschlüsseln, wo der tänzerische Körper neue Verbindungen von Raum und Zeit schafft und sich neue Formen choreografischer Darstellung entwickeln. Inszenatorische Neugier und choreografischer Forscherdrang haben ihnen Preise und Auszeichnungen eingebracht und die begeisterte Zustimmung eines Publikums, das der schwierigen choreografisch-tänzerischen Umsetzung philosophischer Fragestellungen fasziniert folgt und durch Zuspruch goutiert.

EX-SITU-Giovanola_photo by Klaus Fröhlich

Signifying Ghosts, EX-SITU, Cocoon Dance Bonn, Premiere 12.6.2019

EX-SITU

Mit „EX-SITU“ von Rafaële Giovanola steuert die CocoonDance Company zwar ein bekanntes, aber aus „erneuter Lektüre“ von „No Body but me“ entstandenes Stück bei. Es ist das wohl energetischste, ja wuchtigste Stück des Abends, das sich langsam aus der Bewegungslosigkeit in einen regelrechten Bewegungsrausch steigert. Seine emotionale Wirkung wird verstärkt durch den direkten Blick der sitzenden Gruppe auf die Zuschauer*innen und gegen Ende des Stückes durch das bedrohliche Vorrücken der Gruppe an die Bühnenrampe. Bis dahin steigern sich die Bewegungen der sieben Performer*innen von leichten Vibrationen und Zuckungen über unvermittelte Sprünge und Fallen bis hin zu einer rennenden wilden Horde leidender Kreaturen.

Großartig, wie es der Choreografin gelingt, den sich ankündigenden Zusammenbruch, das Chaos zu verhindern, indem einzelne mit ihren Sprüngen und Aufbegehren wie Blitzableiter wirken und die Gesamtgruppe zur Ruhe findet.

Die fehlerhafte Zuordnung von Namen und Orten in der gestrigen Kurzkritik bitten wir zu entschuldigen.

EX-SITU-Giovanola_photo by Klaus Fröhlich

Signifying Ghosts, EX-SITU, Cocoon Dance Bonn, Premiere 12.6.2019