Cocoondance zeigt „Ghost Trio B – corps multiples“ erneut vom 7. bis 9.Juni jeweils um 20 Uhr im Theater im Ballsaal Bonn
Hier unsere Nachtkritik von Bettina Trouwborst anlässlich der Uraufführung in Mülheim
Gespenstische Bedrohung oder Party-Spaß? Zig Augenpaare blicken einem aus Sehschlitzen beim Betreten des dunklen, verwinkelten Bühnenraums entgegen. Man denkt sofort an den rassistischen Ku-Klux-Klan, aber eben auch an lustige Geister. Am Eingang der Bühne im Ringlokschuppen in Mülheim bekommt jeder Zuschauer eine Kissenhülle mit Sehschlitzen. Jeweils zu dritt tritt man ein, so dass sich der Raum langsam füllt. Die meisten Besucher gehen mit der Stoff-Maske über dem Kopf herum, suchen Orientierung zwischen den schwarzen Trenn-Vorhängen. Andere stehen da und warten darauf, dass etwas passiert.
Dabei spielt sich das eigentliche Event im Kopf ab. Wieder einmal sprengt das freie Bonner Tanzensemble CocoonDance das konventionelle Bühnenerlebnis – nicht nur, was den Raum betrifft (was im zeitgenössischem Tanz ja schon fast normal ist). Choreografin Rafaële Giovanola spielt in „Ghost Trio B – corps multiples“, das nach der Uraufführung in der Schweiz seine deutsche Erstaufführung in Mülheim an der Ruhr erlebte, wieder raffiniert mit der Wahrnehmung.
Die anderen – das sind nichts als Körper. Wenn die Gesichter verdeckt sind, achtet man nur auf die Konturen, die Kleidung und die Bewegung der Menschen. Unter dem Schutz der Maske fühlt man sich als Voyeur. Jemand raunt mir etwas zu. Eine Frau scheint zu lächeln. Die Szenerie hat etwas von Stanley Kubricks Kinofilm „Eyes wide shut“ mit seinen unheimlichen nächtlichen Zeremonien auf einem Schloss mit Gestalten hinter venezianischen Masken Doch hier gibt es keine satanischen Exerzitien. Hier wird der Zuschauer – wenn er will – zum Performer. Denn alle suchen in der 60-köpfigen Menge die sechs Profi-Gespenster-Tänzer auszumachen, die in Maske und Straßenkleidung zunächst nicht auffallen. Sobald sich jemand tänzerisch bewegt, drängt die Menge in seine Richtung. Das geschieht öfters, denn unter den Zuschauern sind einige Folkwang-Schüler. Das Stück wird zum Versteckspiel. „Ghost Trio B – corps multiples“ ist mehr als ein originelles Tanzstück: Es ist ein Experiment der Körper-, Fremd- und Selbstwahrnehmung. Spannend.
Der Titel ist Ludwig van Beethovens Klaviertrio in D-Dur für Klavier, Violine und Cello geschuldet, das wegen seines melancholisch-spukigen Largo „Geistertrio“ genannt wird. Auf der Basis dieser Komposition entstand Jörg Ritzenhoffs Musik zu dem Vorgängerstück von CocoonDance, „Ghost Trio A –corps furtifs“ für das Beethovenfest in Bonn im September 2017. Aus dem Trio wurde nun ein Sextett, eingebettet in eine Gespenster-Gemeindeveranstaltung. Eine Zeremonie, wie der Titel andeutet, vieler Leiber zu einer anfangs hypnotischen Musik von Franco Mento nach Motiven von eben Ritzenhoffs Sound.
Die Aktionen für die Tänzer hat Rafaële Giovanola behutsam dosiert. So behutsam, dass sich die ersten 20 Minuten doch ein wenig in die Länge ziehen. Die Erwartungshaltung der Zuschauer spiegelt unmerklich ein Mann, der mit verschränkten Armen im Raum steht. Langsam gerät er in Schieflage, verdreht den Oberkörper. Aha, ein Künstler! Die Sehschlitze wenden sich ihm zu. In Zeitlupe kriecht ein anderer rückwärts am Boden, dreht sich gespenstisch langsam davon. Die Profi-Geister werden aktiver – und suchen Körperkontakt. An anderer Stelle verharrt eine Tänzerin in einem tiefen Ausfallschritt, dann wendet sie sich einer Frau zu, zieht sie ihr die Kissenhülle vom Kopf und schaut ihr fest in die Augen. Schlangenartig entfernt sie sich wieder. Ein kleiner, hoch konzentrierter Moment des Miteinanders von Publikum und Ensemble. Davon hätte man gern mehr.
Der Rhythmus der Musik zieht an. Zu immer härteren Beats beschleunigen sich auch die Moves. Ruckartig richten Tänzer sich auf, wechseln ihre Position, bewegen sich hautnah an anderen Körpern vorbei. Schließlich gleiten sie, die Unterarme wie in einem Reigen aneinandergelegt zu mehreren durch den Raum, wobei sie sich unter dem Arm des jeweils anderen hindurchwinden. Eine Szene von der Leichtigkeit und Anmut einer Blumenkette.
Überhaupt ist „Ghost Trio B “ ganz anders als andere, meist kopflastige Arbeiten von CocoonDance ungewöhnlich spielerisch angelegt. Diesmal tritt der intellektuelle Anspruch hinter den Unterhaltungswert zurück – was durchaus kein Nachteil ist. Wenn am Ende ein Tänzer plötzlich völlig unmotiviert zittert und schlottert, als wäre ihm der Heilige Geist erschienen, wirkt das, als sollte doch noch schnell ein kritischer Akzent gesetzt werden. Er passt so gar nicht in die entspannte Atmosphäre.
Erfreulich, das diese auch nach bald 20 Jahren noch hoch ambitionierte Company als einziges Ensemble aus Nordrhein-Westfalen im März zur Tanzplattform Deutschland nach Essen eingeladen ist.