Ein Tanzfunke, der nicht recht zündet…
… aber auch Momente, die durch raffinierte Einfälle überraschen. Emanuele Soavi Incompany mit Atlas I/Any Body Sounds bei Move!
Nachtkritik von Bettina Trouwborst
Eine Plexiglasscheibe, die größer ist als er selbst, trägt Emanuele Soavi vor sich her. Er zieht sie zu sich heran, erzeugt ein Vibrationsgeräusch. Immer hastiger und heftiger bewegt er die Scheibe, und das Geräusch, das der Akustik-Experte Mikel R. Nieto am linken Bühnenrand mit seiner Soundmaschinerie verstärkt, erfasst den ganzen Raum, bis die Sitze und die Zuschauer selbst in Schwingungen geraten. „ Any Body Sounds“ behaupten Emanuele Soavi und Jone San Martin in ihrer gemeinsamen Produktion – und lassen das Publikum selbst die Auswirkungen von Klang körperlich erleben. Nach der Uraufführung im Tanzhaus NRW in Düsseldorf gastiert das Stück beim Festival Move! in der Fabrik Heeder in Krefeld.
Die beschriebene Szene ist die wohl intensivste dieses Körper-Klang-Stückes. Emanuele Soavi und Jone San Martin, zwei exquisite Bewegungskünstler, tanzen in ihrem jeweiligen Duktus durch den Raum und kommunizieren mal mehr, mal weniger miteinander. Sie unverkennbar als langjährige Forsythe-Tänzerin in dessen Dekonstruktionsidiom, er dahinfließend, geschmeidig, leichtfüßig und ungeheuer beweglich. Dabei sind die beiden verkabelten Künstler in einem nicht immer erkennbaren Dialog mit Nieto. Der Sound-Künstler gibt Klangkulissen vor, in denen sie sich orientieren. Es gibt auch Stimmen aus dem Off, die von Räumen, Rhythmen und Frequenzen in Beziehung zum Körper erzählen. Auf diese Einspielungen reagieren die beiden Tänzer.
Das ist eine Weile interessant, weil die Bewegungsqualität von Soavi und San Martin beeindruckt. Doch das Stück zerdehnt sich wie der Sound vom Mischpult. Die Leichtigkeit, die die beiden in ihren Trainingsanzügen anfangs noch mit dem Publikum plaudernd vermitteln, weicht bald einer gedankenschweren Langatmigkeit.
„Any Body Sounds“ ist Teil I des dreiteiligen Projektes Atlas, das sich einer choreografischen Spurensuche und dem Körper in Ausnahmesituationen widmet. Die Ergebnisse sollen in einem Atlas, der Grenzgänge von Bewegung und Klang kartographiert, festgehalten werden.
Der Auftakt ist wie ein Tanz-Funke, der nicht recht zündet. Angestrengt sucht man nach Bezügen zum Bewegung-Klang-Konzept, wenn beispielsweise Soavi in vogelartiger Pose verharrt. Oder wenn sich die beiden voneinander losgelöst arg lange durch den Raum bewegen.
Dabei gibt es durchaus Momente, die durch raffinierte Einfälle überraschen. San Martin liegt bäuchlings am Boden und erzählt auf Deutsch, in Englisch, Spanisch über ihren sprechenden Körper. Da zieht Soavi sie plötzlich an den Füßen nach hinten weg und ihre Stimme wird zum eindrucksvollen, raumfüllenden Echo. Einmal wird es auch poetisch: Die Spanierin liegt unter jener Plexiglasscheibe und drückt diese mit flatternden Händen immer wieder von sich. Dabei erzählt sie von einem Erlebnis im Baskenland, als eine Möwe immer wieder gegen eine Glasscheibe flog und jemand versuchte, sie zu retten. Diese Szene habe sie an Ophelia erinnert.
Anderes ist schlicht belanglos. Wenn Soavi sich mit Klebeband einen Sensor auf einer kleinen Plexiglasscheibe über dem Bauchnabel fixiert und San Martin sich hinter ihn stellt, um durch ein Klopfen auf der Scheibe Geräusche zu erzeugen, schweifen die Gedanken zu ganz anderen Performance-Erlebnissen mit technischem Equipment.
Denn wirklich innovativ ist das künstlerische Konzept nicht. Von Jan Minarik, der sich schon 1982 in Pina Bauschs „Nelken“ das Mikrofon ans Herz hielt bis zu Wayne Mc Gregor und seinen neurologischen Studien auf der Bühne gehören verkabelte Tänzer längst zum ästhetischen Kanon der Tanzkunst.
Dem Stück mangelt es an einer konsequenten Umsetzung des Konzepts, das eigentlich gar keiner großartigen Technik bedarf. Aus der künstlerischen Idee hätte man deutlich mehr machen können. „Any Body Sounds“ ist ein nur phasenweise unterhaltsames Stück