STANDING OVATIONS IN DER FABRIK HEEDER

Von Musik, von Liebe und anderen Katastrophen

Tchekpo Dance Companny aus Bielefeld präsentiert beim Krefelder „move!“ Festival für Zeitgenössischen Tanz einen Doppel-Abend

Nachtkritik von René Linke

Vom Kopf auf die Füße, vom Hirn direkt mit Schmackes ins Herz – die beiden Kurzstücke, die die Bielefelder Tchekpo Dance Compagnie in der rappelvollen Fabrik Heeder jetzt präsentierte, könnten unterschiedlicher nicht sein. Eine sehr konzentrierte, fast hermetische Hommage an Miles Davis wurde abgelöst von einer ausufernden und mitreißenden Herzergießung – das Publikum war begeistert.

Tchekpo-Dance-Company-Pour-Miles-D.-©Jim-Coleman

Tchekpo-Dance-Company-Pour-Miles-D.-©Jim-Coleman

Ankunft eines Weltreisenden in Sachen Cool-Jazz: „Pour Miles D.“ heißt das gut halbstündige, intensive Stück. Ein schmaler Lichtstreifen, ein Mikro hängt von der Decke, eins steht rechts, eins links, fahle Spots (Szenographie: Elisabeth Masé): Tchekpo Dan Agbetou betritt mit einem Rollkoffer die Bühne. Wir hören Passagen aus Keith Jarretts Album „Bye bye Blackbird“, ebenfalls eine Verbeugung vor Miles Davis. Ruhe, Konzentration, dann der explosionsartige Ausbruch: Immer wieder streckt und reckt sich Agbetou zum Mikro, stößt einzelne Laute, Satz-, Wortfetzen hinein, immer wieder schnelle, rasante Schrittfolgen im auf die untere Körperhälfte fokussierten Stil des „Jeux des Jambes“. Es ist keine Erzählung über Miles Davis, eher fast eine Beschwörung: die lange, innerliche Suche nach einem Ton, einem Laut, der Ausbruch, das Sprunghafte. Und es bleibt oft disparat, Tanz, Ton, Musik begeben sich eher in Reibung als sich harmonisch zuzuspielen. Trotz aller Virtuosität bleibt es ein verschlossenes Stück, anspielungsreich, hermetisch.

Danilo Valpassos Cardoso@samadhyana dance company

Danilo Valpassos Cardoso@samadhyana dance company

Und dann der Griff ans Herz. Ching-Mei Huang und Danilo Valpassos Cardoso zeigen „BetrAchtungen“. Cardoso hat dieses pas de deux selbst choreographiert. Als es nach einer halben Stunden vorbei ist, atmet das Publikum hörbar auf – denn es hatte zuvor vergessen zu atmen. So ist die Liebe: Verschmelzend, verzweifelt, voller Sehnsucht und voller Schmerzen. Eng umschlungen rollen die beiden Tänzer voller Hingebung auf die Bühne: Nähe, Vertautheit, Intimität – bis die erste Distanz, der erste Riss, die erste Entfernung zu spüren ist: Liebe ist auch Macht und Abhängigkeit, mal stoßen sie sich ab, mal umklammern sie sich – und immer bleiben sie an einem Körperteil kleben. Rasante, atemstockende Bewegungsfolgen, eindringliche Bilder, Konstellationen. Eine Produktion, die nicht nur unter die Haut geht, sondern mit Lust und Leidenschaft ans Herz fasste. Langer, begeisterter und stehender Applaus für eine überwältigende Performance, für einen insgesamt sehr gelungenen Abend in der Fabrik Heeder.

Tchekpo-Dance-Company-BetrAchtung-©Jörg-Brückner

Tchekpo-Dance-Company-BetrAchtung-©Jörg-Brückner