Das Krefelder Festival für Zeitgenössischen Tanz: „move!“ 2019 ist gestern zu Ende gegangen

You make my life beautyful!

Die Anton Lachky Company überführt den Tanz in die Wunschbox

Nachtkritik von René Linke

In wessen Kopf sind wir hier? In wessen Welt? Auf welchem Kanal? Zum Abschluss des diesjährigen „move!“-Festvials, den inzwischen schon „18. Krefelder Tage für modernen Tanz“, schubst uns die aus Brüssel stammende Company des slowakischen Choreographen Anton Lachky mit Kraft, Poesie und entschlossener Passion in die Untiefen der Virtual Reality: Tanz 4.0!

Das Spiel heißt Spiel, also „Ludum“, ein E-Game im weißreinen Phantasieraum der Fabrik Heeder – und wie in jedem Videospiel stellen sich erst einmal die Kombattanten vor. Sechs bunt und futuristisch gekleidete Charaktere präsentieren sich mit kurzen, kraftvollen Soli – getanzt wie im Zeitraffer, wie wildgewordene Animé-Figuren vor dem Kriegseinsatz. Spätestens aber wenn die Hosts des Games die Bühne betreten: Ein breitbeiniger Mann im lachsfarbenen Anzug, mit Cowboyhut und –stiefel, und eine Pailletten-behangene Prosecco-Schickse, spätestens dann wissen wir: Es wird kurios, klamaukig, kitschig. Aber wie selbst die schlichtesten Phantasien eben so sind: auch auf herzerfrischende Weise komisch. „You make my life beautyful“, schnurrt die Pailleten-Lady ihrem Cowboy zu – und schon sind wir im nächsten Level, im nächsten Szenario. Nur einmal stoppt der Computer selbst – auch im Tanz gibt es eine Kindersicherung.

Ob Wasserballett zur Hollywood-Schnulze, ob Kampf-Duell á la Matrix, ob Western- oder Raumschiff-Abenteuer, getanzt wird in äußerlicher, rasanter Hollywood-Perfektion oder mit asiatischem Kampfkunst-Furor. Die Regeln des Ludums bleiben offen, eine skurrile Phantasie ohne Grenzen wird zelebriert, eine Feier des technologischen Fortschritts: „Well done, Samsung!“. Anything goes – das ist der Humor, der mitreißende anarchische Spaß dieses Abends. Doch es gibt bei aller Ausgelassenheit auch eine nüchterne Botschaft: Wenn alles möglich ist, bleibt es oft im Rahmen. Die freie Phantasie wiederholt altbekannte Genres, altbekannte Klischees und altbekannte Rollenbilder. So führt selbst dieser knallbunte Klamauk unterschwellig eine graue Kulturkritik mit sich.

Es war die dritte Produktion aus Belgien, dem diesjährigen Länderschwerpunkt von „move!“: Nach dem poetischen Auftakt durch die Compagnie Giolisu, der konzentrierten Dekonstruktion der Choreographin Ayelen Parolin nun zum Abschluss ein furiose Vergnügen mit der Anton Lachky Company. Das begeisterte Krefelder Publikum wollte die Tänzer gar nicht richtig von der Bühne lassen – vielleicht auch, weil einem ein wenig wehmütig wurde angesichts des Endes von „move!“: Zehn höchst unterschiedliche Produktionen waren zu bestaunen, Tanz im öffentlichen Raum, Tanz im Film, Workshops, physical instructions, lebendige Nachgespräche – Krefeld zeigte sich sechs Wochen lang tanzbegeistert, viele Aufführungen waren ausverkauft.

„Wir haben inzwischen nicht nur einen hohen Zuschauer-Zuspruch, die Compagnien fühlen sich hier wohl und sind begeistert vom ebenso fachkundigen wie offenen Krefelder Publikum“, fasst Dorothee Monderkamp, „move!“-Organisatorin, erleichtert ihre Eindrücke zusammen. „move!“ hat gezeigt: Krefeld, das in letzter Zeit so häufig als sperrig und wenig einladend gescholten wird, hat nicht nur ein Herz für den Tanz – es hat sogar eine Hüfte.