VIDEOIMPRESSIONEN VON “MY BODY IS YOUR BODY” beim Krefelder „MOVE!“ Festival
Overhead Project und seine Performer aus Nouveau Cirque und Tanz begeistert gefeiert
Nachtkritik von Klaus Dilger
Auf dem Weg zum Gastspiel des Overhead Project’s, mit deren neuer Produktion „My Body is your Body“ in der Fabrik Heeder in Krefeld, ertönt aus dem Autoradio ein Beitrag zum Ende des Steinkohleabbaus in Deutschland. Wehmütig und gleichzeitig begleitet von (etwas unsicherer) Aufbruchstimmung wird darin die Bedeutung dieser Veränderung skizziert, für die Menschen, die Städte, für die ganze Region, wenn am 21. Dezember zum letzten Mal das „Glück auf!“ ertönt, das die Bergleute seit jeher begleitet auf ihrer Fahrt 1000 Meter in das Erdinnere und ihnen eine gesunde Wiederkehr an das Tageslicht wünscht. Der Beitrag endet mit dem Wunsch einer der Bergleute: „Mögen sich zumindest die Werte der Bergleute erhalten, wo sich jeder mit seinem Leben auf den Anderen verlassen konnte.“
Wie das Leben, auch die Angst, sich 1000 Meter unter Tage anfühlt, können die wenigsten unter uns ermessen, dafür fehlen uns die Erlebnisse in diesem oder einem anderen Leben, die ein empathisches Mit- und Wiedererleben erst ermöglichen.
Auch auf den Schultern eines Anderen stehend frei durch den Raum zu schweben, sich ohne zu klammern auf diese Schultern und die Kraft des tragenden Menschen verlassen zu müssen und zu können, gehört nicht gerade zu unseren alltäglichen Erfahrungen. Allein, dass die Welt von dort Oben anders aussieht und sich anfühlt, weiss jeder der schon einmal auf einem Sprungturm gestanden hat und entweder vertrauensvoll ins Wasser gesprungen ist oder die Treppe zurück ins Parterre benutzt hat.
Genau darum ging es in Krefelds Fabrik Heeder beim diesjährigen Festival „MOVE!“, bei dem Tim Behren in seiner Inszenierung „My Body is your Body“, inspiriert durch das englische Parlament, die Zuschauer in jeweils zwei Reihen einander gegenüber gesetzt hatte.
(Die Anderen mussten im restlos ausverkauften Haus von der Galerie aus zusehen – wie im richtigen Leben der Demokratien)
Mit dieser szenografischen Idee schuf Behren in einem einzigen Wurf die eindeutige Situation, die er mit seinem souverän agierenden Ensemble, Leon Börgens, Leonardo García und Mijin Kim verhandelt wissen wollte: wir leben in einer Welt, in der häufig Menschen für und über Andere entscheiden, von deren Existenz, Leben, Bedürfnis, Sicht, Freiheit, Selbstbestimmtheit, Zukunft, sie kaum oder keinerlei Kenntnis haben und weder empathisch noch empirisch die Voraussetzungen für Entscheidungen haben. Hierzu müssten sie sich, im übertragenen Sinn, auf die Schultern des Anderen wagen.
Welche Auswirkungen das haben kann, darf jeder und jedes Jahr in Katalonien erleben, wenn die Menschen dort mit ihren Körpern Pyramiden entstehen lassen und mit fast unbegreiflichem Mut immer wieder den einzigen Punkt erforschen, wo Leidenschaft und Vernunft aufeinander treffen und Leben Leben ist.
Das Krefelder Publikum feierte die Performer mit begeistertem Applaus!