Alles sein und nichts werden

Beim 7. Bonner Tanzsolofestival gastierte „MOVE MORE MORPH IT!“ von  Anna Konjetzky im Theater in der Brotfabrik

Nachtkritik von Melanie Suchy

Nur ein kleiner Holztisch. Sahra Huby sitzt auf seiner Kante und kritzelt. Das ist zu hören, aber nicht zu sehen, „ch, ch, ch, ch-ch-ch-ch“, denn sie zeigt dem Publikum den Rücken. Manchmal zittert ihr weißes T-Shirt, das sie zur einfachen Jeans trägt; dann scheint sie mit Strichen das Papier vor ihr noch heftiger zu schraffieren. Als Zeichnerin erkennt man sie wieder, aber in dem berühmten Solo „Abdrücke“ von 2010 hatte sie weder Tisch noch Bühne noch, wie bei diesem musikalischen Stück von 2018 eigentlich vorgesehen, ein Klassenzimmer, sondern war in einen Glaskasten gesperrt, und die Kohlestriche, die sie fabrizierte, waren wie eine Selbstvergewisserung, lauter zusammenzuknüllende Versuche und verhinderte Mitteilungen.

Das Zeichnen, als Stricheziehen, Gestaltenerschaffen und –durchstreichen, führt dieses neue Solo fort. In „MOVE MORE MORPH IT!“ skizziert die Solistin in der Choreographie der Münchnerin Anna Konjetzky, was sie ist oder sein könnte oder müsste, doch jetzt mehr mit dem Körper und mehr Raum, im Tanz und mit Geräuschen.

©Franz-Kimmel

©Franz-Kimmel

Sie spielt. „Hallo, wie geht’s“, fragt sie ins Publikum, „ich fühl‘ mich so“: krümmt sich und macht „uoh“ und „haha“; ein kleines Mikrofon verstärkt ihre Sprache. Sie macht „bumm“, knüllt, pendelt ein Bein, kreist, ruckt mit Körperteilen, wabbelt die Knie. Das hat etwas von Strichen, Bögen, Wellen, als verkörpere sie Comicfiguren samt den beschriebenen Geräuschen, „zisch boing“, oder wie im Film. Der Tisch ist Mitspieler, ist mal Halt, mal Gefahr oder Podest, die Tänzerin zuckt zurück, hibbelt, springt auf ihn, tippelt mit den Fingern wie auf Keyboardtasten, biegt sich, rollt die Schultern. Ein ständiger und eiliger Wechsel von eigener Macht und Getriebensein, auch in Verbindung mit den Geräuschen, die sie selbst erzeugt oder die der Musiker Sergej Maingard neben der Bühne elektronisch einspielt, ohne dass der Unterschied immer auszumachen wäre. Bis Sahra Huby schließlich am Boden festzukleben scheint und am eigenen Bein zerrt. Plötzlich einfach läuft. Die tausend Striche und Strichelchen dieser Szene kratzen eher, als dass sie tiefer einschneiden, so bleibt es ein rasantes Durchblättern von Möglichkeiten zwischen „ich mache“  und „es macht mit mir“.

Vor-Bilder

Doch im zweiten Teil wird das Stück schwerer. Und lauter. Die Choreographie baut der grandiosen Tänzerin Posen ein, mal wirken sie ein bisschen neckisch-niedlich, „girliehaft“ träfe es vielleicht, Kopfkreisen, „wua wua“, Floss-Moves mit Hüftverschiebungen, oder Sahra Huby hebt den Tisch übern Kopf wie ein Obelix und bellt. Oder stampft, wackelt mit dem Hintern, macht Fäuste, rollt, tritt, steht breit, springt. Mit dem anschwellenden Sound wird das zu einer furchtbaren Verlorenheit zwischen eher männlichen, weiblichen oder sonst welchen Haltungsidentitäten oder im Internet abgeschauten Phrasen, einem Kampf, der dem ähneln könnte, den Hyperaktive fühlen. Wenn „Morphen“, Verwandeln, nicht mehr lustig ist.

Wunderbar still das Ende, eines der schönsten weit und breit: Die Tänzerin macht sich davon und legt auf dem Weg vom Tisch zum Ausgang immer kleiner werdende Schnipsel eines Papiers aus. Es geht vorbei.

©Franz-Kimmel

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