Alla Kovgan „Cunningham in 3D“ in Wuppertal im Cinema…

CUNNINGHAM IN 3D

Das hört sich an wie „PINA in 3D“, wie Rezept und auch wie „Hühnchen in Rotweinsoße“…. war auch so… ein wenig zumindest….

Nach(t)besprechung von Klaus Dilger

Das letzte Mal, als ich Merce Cunningham in „3D“ gesehen habe, war das in Arles im Théâtre Antique vor 30 Jahren, zusammen mit geschätzten 3000 Besuchern, zumindest zu Beginn der Vorstellung, die der Uraufführung von „Inventions“ beiwohnten und er hat selbst ein kleines Stück darin getanzt. Dieser Abend wird mir für immer unvergesslich bleiben, denn niemals zuvor oder danach habe ich erleben müssen, wie sich ein EXODUS im performativen Bereich anfühlt: nach etwa der Hälfte der Aufführung reduzierte sich das Publikum von etwa 3.000! auf geschätzte 150 Zuschauer, überwiegend französische „Tanzfunktionäre“ oder sonst irgendwie zum Bleiben Verpflichtete, für die es vermutlich das Ende der Karriere bedeutet hätte, wenn sie sich der Massenflucht angeschlossen hätten, so bedeutend war (und ist?) Cunningham damals in Frankreich (zusammen mit Alwin Nikolais), denn dort fehlten eigene Wurzeln im Modern Dance und | oder eigene (damals zeitgenössische) Strömungen im künstlerischen Tanz, die selbst ein ausreichendes Gewicht hätten erlangen können. Ein solches Erlebnis ist ebenso gespenstisch wie unbeschreiblich….

In diesem Jahr wäre Merce Cunningham 100 Jahre alt geworden. Er starb neunzig jährig in 2009, nur wenige Tage nach Pina Bausch. Wim Wenders Film über die Ikone des Deutschen Tanztheaters kam in 2011 in die Kinos, nun, nach sieben Jahren Vorbereitungszeit, feierte der Film „CUNNINGHAM“ Premiere in 3D in Wuppertal.

Szenen-aus-dem-Dokumentarfilm-Cunningham

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Warum „Hühnchen in Rotweinsoße“?

Die Macherin des Cunningham-3D Films war anwesend, beziehungsweise traf pünktlich zum Ende der Aufführung ein, um ein Publikumsgespräch führen zu können! Das scheint auf den ersten Blick absolut bemerkenswert und relativiert sich erst mit den Informationen, dass dieser Film überwiegend in NRW und mit Hilfe der Film- und Medienstiftung NRW hat entstehen können. Bettina Wagner-Bergelt, die Intendantin  und Künstlerische Leiterin des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, hatte sich freundlicher Weise bereit erklärt, das Gespräch mit der Regisseurin im Anschluss an den Film zu gestalten und tat dies mit der Eingangsfrage, die nach Sichtung der Wuppertaler Erst-Präsentation im Raume stand: „was war denn letztlich die Motivation und Intention, diesen Film über Merce Cunningham zu machen?“.

Diese Frage wurde überraschend ehrlich mit der Bestätigung eines Verdachts beantwortet, der sich während der Betrachtung des Films aufgedrängt hatte: … der Erfolg von Wim Wenders 3D Epos „PINA“!

Dem Regisseur hatte der Film überraschend Preise und Reichtum eingebracht (an dem die Tänzer des Tanztheater Wuppertal, die diesen Film wesentlich getragen haben, finanziell leider nicht entsprechend partizipieren durften). Ein Film, der aber vor allem belegte, dass Wim Wenders weder von Tanz, noch von der Verwendung von 3D Technik für Tanz im Film eine Ahnung hat(te?), zumindest nicht in der Auffassung des überwiegenden Teils der Fachwelt des Tanzes.

Dennoch geriet der Film PINA zum Erfolg, an den Kinokassen, Wenders Bankkonten UND es machte Pina Bausch’s Tanztheater Wuppertal zu einem Thema in der Gesellschaft, ein Erfolg und Mehrwert, der nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Szenen-aus-dem-Dokumentarfilm-Cunningham

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Ein Erfolgsrezept also, auch wenn Viele aus gutem Grund kein „Hühnchen in Rotweinsoße“ mögen, weil es weder das Hühnchen noch den Rotwein schmackhafter macht…

Ganz so schlimm wurde es für die Regisseurin Alla Kovgan, in Moskau geborene und mit viel Selbstwertgefühl ausgestattete Amerikanerin, nicht… einerseits, denn es gelangen ihr durchaus sehenswerte Bilder in 3D, zum Beispiel in „Summerspace“ (von 1958) oder noch eindringlicher im Zusammenhang mit der Nachinszenierung von „RainForest“, einer Choreographie von Merce Cunningham zu der Andy Warhol das Bühnenbild, in Form von gasgefüllten silbernen Kissen, schuf. Eine Inszenierung für die Kamera, die für Cunninghams Choreographie durchaus einen Mehrwert erkennen liess, auch wenn dies vielleicht und vermutlich nicht im Interesse des 2009 verstorbenen Choreographen gewesen wäre. Doch darüber und sicherlich auch an vielen anderen Stellen, wird die Regisseurin mit Gewissheit lange und ausführlich mit den künstlerischen Begleitern und Wegbegleitern Cunninghams, Robert Swinston und Jennifer Goggans, gerungen und gestritten haben…

Sieben Jahre hat Alla Kovgan an diesem Film gearbeitet, recherchiert und vor allem immer wieder Geldgeber suchen müssen, die diesen, 3 Millionen teuer gewordenen Film finanzieren. Dass der Film nun passend zum hundertsten Geburtstag des vor zehn Jahren verstorbenen Choreographen erscheint, war nach den Worten der Filmemacherin nicht geplant, denn eigentlich hätte der Film bereits 2013, spätestens 2014 fertiggestellt sein sollen, doch erst als die Film und Medienstiftung NRW 2018 in die Produktion eingestiegen war, konnte das Vorhaben weitergeführt werden. Für gerade einmal 18 Drehtage habe das Budget gereicht, verrät sie im „aftertalk“ der Filmpremiere, davon nur einer in New York, alle anderen in Europa und vorwiegend in Deutschland.

Vor Drehbeginn begaben sich die Tänzerinnen und Tänzer der letzten Cunningham Company, die 2011 auf Wunsch des Choreographen aufgelöst worden war, erst einmal fünf Monate ins Studio, um an sechs Tagen die Woche, jeweils sechs Stunden zu arbeiten, um sich fit zu machen für Cunninghams Technik, die Vieles aus dem Klassischen Ballett bezieht, was die Beinarbeit und Posen anbelangt und diesem einen Torso verordnet, der aus dem Modernen Tanz stammt (Cunningham war Solist bei der Martha Graham Dance Company), hinzu kommen nicht selten Einflüsse der Fussarbeit aus dem Steptanz, den er schon als Junge erlernt hatte. Ein Technikmix, der nur vor dem Hintergrund der Zeit zu begreifen ist, in der sich viele Choreographen von dem „akademischen Diktat“ des Klassischen Balletts befreien wollten, um den Tanz als zeitgenössische Kunst unter den Künsten zu verankern. Cunningham war es ein Anliegen, dass sich der Tanz von der Musik befreit, auch dies eine Fessel des akademischen Tanzes, der zur Folge der Tanz der Musik zu folgen habe. 1942 begann er, eigene Choreografien mit Musik von John Cage zu entwerfen, der gleichzeitig auch sein Lebenspartner war. Im Laufe der Zeit wurde der Tanz und die Musik der beiden immer unabhängiger voneinander, und in den frühen 1950er Jahren war schließlich die einzige Bindung zwischen Tanz und Musik die Gleichzeitigkeit ihrer Darbietung. Für Cunningham wie für John Cage war das Zufallsprinzip von zentraler Bedeutung für ihre Arbeit, „…um die Natur in ihrer Wirkungsweise zu limitieren…“ und sich „…von den Einschränkungen der Gewohnheit und Intuition zu befreien…“ wie sie sagten.

Szenen-aus-dem-Dokumentarfilm-Cunningham

Szenen-aus-dem-Dokumentarfilm-Cunningham

Musik, Tanz und Film sind zeitbasierte Kunstformen, Kovgan (und natürlich nicht nur sie) hätte also durchaus  ihr eigenes Medium nutzen können, um genau jene Erfahrungen erlebbar zu machen, um die es Cunningham in seiner Arbeit oftmals ging, dass nämlich zeitbasierte Künste in einem Raum nebeneinander existieren können und in ihrem „Auseinanderfallen“ etwas Neues, Unvorhersehbares, Kunst entsteht.

Für den Zufall war in Kovgans Film offensichtlich kein Platz, wie auch in dem Gespräch mit Wagner-Bergelt deutlich wurde. Nach sieben Jahren Vorbereitung musste jedes Detail für jeden der 18 Drehtage minutiös geplant und durchgeführt werden, auch weil es für die Tänzerinnen und Tänzer physisch nicht möglich gewesen wäre, die Tänze in höchster Präzision endlos oft zu wiederholen.

Doch dies kann nur für die nachgestellten, neu gefilmten Tänze gelten.

SUMMERSAPCE-©-Miko-Malkshyan

SUMMERSAPCE-©-Miko-Malkshyan

Überraschend dann doch, in Anbetracht der langen Vorbereitungszeit, wie Vieles in Kovgans Film wie blosse Behauptung anmutet, insbesondere dann, wenn die Regisseurin mit Archivmaterial den Choreographen zitiert, um diese Zitate dann mit bewegungstechnischen „allerweltsfloskeln“ zu bebildern, so etwa wenn es um die „Neuvermessung“ des Raums geht und die Bebilderung lediglich aus Tänzern besteht, die den Raum durchqueren, um nur ein Beispiel zu nennen.

Überraschend und bedauerlich auch, dass die Filmemacherin sich lediglich auf einen Schaffenszeitraum von 1944 bis 1972 beschränkt und damit genau jenen Zeitraum bis zu Cunninghams Tod in 2009 ausblendet, in dem sich der Choreograph selbst der Mittel des Films, Motion-Capture und Animation für sein Schaffen bedient.

Dass sie für den behandelten Zeitraum selten gesehenes Archivmaterial aufbereitet, gehört zu den positiven Aspekten des Films, weil so deutlich werden kann, weshalb Cunninghams Kunst, trotz auch breiter Ablehnung (siehe Eingangsbeispiel von Arles), für Viele als spektakulär und historisch bedeutend angesehen wird: die Öffnung und Anziehung gattungsüberschreitender Künstler durch den Tanz. Namen wie Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Jasper Johns, Roy Lichtenstein, John Cage und Nam June Paik tauchen filmisch im Archivmaterial auf und vermittelt deren Begeisterung (Bei Andy Warhols Filmausschnitt vor allem für sich selbst).

Auch dass die Filmemacherin mit diesem Archivmaterial durchaus eine Ahnung davon vermittelt wie schwierig die Arbeit mit Cunningham für die Tänzerinnen und Tänzer oft gewesen sein muss, trotz des Charismas des Choreographen, ist positiv zu vermerken, ebenso wie die fein eingestreuten Nuancen seines Humors und seiner kritischen Selbstreflexion.

Auch wenn „Cunningham“ in 3D nach ähnlichem (Erfolgs?)Rezept gedacht oder gemacht sein mag, wie Wenders PINA in 3D, so könnten die Filme inhaltlich kaum unterschiedlicher sein. Für Pina Bausch war es bekanntlich „…nicht wichtig wie die Leute sich bewegen, sondern was sie bewegt…“ und damit manifestiert sie das Gegenteil von Cunninghams Anspruch.

Nur ganz selten gelang es dem Film, mich auf einer sinnlichen oder emotionalen Ebene zu berühren oder zu erstaunen. Wenders Film „PINA“ hatte mich emotional berührt: als Ärgernis in fachlicher Hinsicht und als Freude, dass sich soviele Menschen neu mit der Arbeit von Pina Bausch beschäftigt haben.

Gleiches ist auch dem Film „Cunningham“ zu wünschen, trotz aller Skepsis, dass dies gelingen wird, dazu ist einfach die Arbeit Cunninghams vermutlich nicht  ausreichend emotional zugänglich, ein Thema, um das sich die Cinematographie doch im Wesentlichen dreht.

Eine interessanten Behauptung stellte die Filmemacherin auf die Frage auf, ob der Film nur in 3D oder auch in  2D zu empfehlen sei: Die Gehirnaktivitäten des Zuschauers seien beim Betrachten in 3D um etwa fünfzig Prozent höher, weil er sich emotional stärker und aktiver mit den Tänzern und dem Tanz verbunden fühlt, während in 2D die Sympathie eindeutig näher bei Merce Cunningham läge. Für die Frage zum Beweis blieb gestern leider keine Zeit, aber das mag der Zuschauer ab Heute an vielen Orten selbst herausfinden!

SUMMERSAPCE-©-Miko-Malkshyan

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