EIN LANGER WEG UND VIEL PHANTASIE, ERFAHRUNGEN UND QUALITÄTEN

…werden nötig sein, um das geplante Pina Bausch Zentrum mit Leben zu füllen.

Dies hat der neuntägige „Versuch“ eines digitalen Festivals „Pina Bausch Zentrum – under construction – wir bauen zusammen ein Haus“ deutlich vor Augen geführt.

Ein Kommentar von Klaus Dilger

Was ursprünglich als analoge Begegnung der interessierten Bevölkerung vielleicht mit zusätzlichen Liveübertragungen im und mit dem Alten Schauspielhaus an der Kluse geplant war, musste, oder besser, hätte sich relativ kurzfristig als digitales Format behaupten müssen.

Noch in der Auftakt-Pressekonferenz wurden diesbezügliche Bedenken, auch im Hinblick auf die Qualität der Formate und mancher der Beteiligten, die möglicher Weise einer solchen Kurzfristigkeit geschuldet sein könnten, verneint. Dabei hätte es doch den Veranstaltern klar sein müssen, dass die Grundvoraussetzungen für eine Einladung an die Wuppertaler und die Welt, gemeinsam ein Haus zu bauen, nicht nur auf Vision und Interesse basiert, sondern in erster Linie auf Vertrauen. Vertrauen in das Projekt und seine mögliche Bedeutung und Wichtigkeit, aber auch in die Bauherren und -damen.

Das-Stück-mit-dem-Schiff_Pina-Bausch@TANZweb.org

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„KÖNNEN WIR EINANDER NOCH VERTRAUEN…? UND WENN JA, WIE LANGE NOCH?“

Physische Erfahrung ist fundamental für die Bildung unserer Identität und unserer Vertrauensfähigkeit. Wie keine andere Kunstform ist die des Tanzes mit dem Körper verbunden, mit physischer Präsenz, Körpersprache, Ausdruck durch Körper, Mimik, Gestik, Nähe und Distanz, fließend in Raum und Zeit im Wechselspiel und unter Ausnutzung der Gravität. Vertrauen entsteht durch unsere Fähigkeiten aus Mimik, Gestik, Körpersprache, durch Berührung, Umarmung, selbst einen Händedruck, die hierfür wichtigsten Informationen herauslesen zu können. Fertigkeiten, auf die wir durch Schutzmaßnahmen in Corona-Zeiten nicht mehr zurückgreifen können.

Diese Fragen gehören zur Quintessenz des Beitrags von Professor Dr. Gabriele Klein, Soziologin, Tanz- und Kulturwissenschaftlerin, in der allerletzten Gesprächsrunde des neuntägigen digitalen Festivals „Pina Bausch Zentrum – under construction“ zum Thema „Nachhaltige Kunstproduktion in einer Post-Covid 19-Gesellschaft“, an der außerdem Hans Haake vom Wuppertal-Institut und Roger Christmann, geschäftsführender Direktor des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, beteiligt waren. Ein Höhepunkt zum Schluss, der eine eigene Rezension verdienen würde.

Weshalb diese Runde deutschsprachiger Teilnehmer in englischer Sprache abgehalten wurde und ob es daran lag, dass diesem hochkarätigen Austausch nur zwischen 20 und 22 Zuschauerinnen gefolgt sind, gehört zu den vielen offenen Fragen zur Programmgestaltung und den Zielen von „Pina Bausch Zentrum – under construction – wir bauen zusammen ein Haus“.

Das-Stück-mit-dem-Schiff_Pina-Bausch@TANZweb.org

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Das Interesse hielt sich in engen Grenzen…

Dass es vermutlich nicht (nur) an der Sprache gelegen hat, dafür sprechen auch zwei Beiträge vom 25. November, als es um die Suche nach neuen Räumen ging, auch digitalen, die mit durchaus kompetenter und spannender Besetzung stattgefunden haben.

Auch hier bedauerlich wenige Zuschauer_innen.

Bei diesen Beispielen mag und muss man ein solches Desinteresse beklagen. Für den ganz überwiegenden Teil des Programms sieht man von den Workshops zum Mitmachen mit teils ehemaligen Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheaters einmal ab, die im Übrigen auch zum dauernden Angebot des TTW gehören, und vielleicht noch Robyn Orlin’s humorvolle „Exorzismus-Runde“ zusammen mit den Beiträgen von „Power of color“, mag sich das bescheidene Interesse entweder aus dem Format oder der Qualität der Beiträge ableiten.

Dabei kann sich der Begriff der „Qualität“ auch durchaus daran orientieren, dass zwar die Zielgruppe richtig ist, wie zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Schulklassen und den Tänzer-Choreograf_innen Gala Moody und Michael Carter, die aber ihr wichtigstes Gut, nämlich ihre Körper und den Tanz, in diesem Format nicht haben einbringen können.

All dies hatte sich bereits mehr als deutlich in der Pressekonferenz angekündigt, die für diese digitale Reihe an Veranstaltungen werben sollte: nachzulesen HIER Schade, dass sich die geäußerten Bedenken bedauerlicherweise bestätigten.

Das-Stück-mit-dem-Schiff_Pina-Bausch@TANZweb.org

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Dass dieses Desinteresse nicht generell dem Tanztheater Wuppertal und dem zu planenden Pina Bausch Zentrum gilt, zeigten die erwartungsfrohen Zuschauerzahlen der Auftaktveranstaltung:

Beim STREAMING-VERSUCH DER ETWAS ANDEREN ART etwa: „das schiff ist das schiff ist… das stück mit dem schiff goes digital“

Es wäre die grosse Chance gewesen, als Reaktion auf den zu erwartenden, Corona bedingten Ausschluss des Publikums aus der lange herbeigesehnten Wiedereinstudierung von Pina Bausch’s „Das Stück mit dem Schiff“, diese als eine faszinierende Aufzeichnung oder Live-Übertragung aus dem Opernhaus in die Welt zu senden und vielleicht parallel hierzu auf das Alte Schauspielhaus zu projizieren, das eines Tages „Pina Bausch Zentrum“ heissen soll, und das die Veranstalter von „under construction“ gerne schon als „Haus der Zukunft“ oder alternativ, als „Haus des 21. Jahrhunderts“ bezeichnen.

„Chance“ deshalb, weil damit und bei kluger Dramaturgie und Programmgestaltung, ein Grossteil der hierfür zu erwartenden Zuschauer_innen hätten gewonnen werden können, sich neun Tage lang mit den Möglichkeiten dieses Zentrums auseinanderzusetzen, in dessen Mittelpunkt das Visionäre des Werks von Pina Bausch hätte stehen können und müssen.

Dies hätte vorausgesetzt, dass die Pina Bausch Foundation und Salomon Bausch, als der Hüter des Erbes seiner Mutter, vielleicht auch der „Verlag der Autoren“, mit einer solchen Übertragung einverstanden gewesen wären.

Dies hätte auch vorausgesetzt, dass die Tänzer_innen zu diesem Zeitpunkt einer Aufzeichnung oder Übertragung auf der maximalen Höhe ihrer tänzerischen und authentischen Interpretationsfähigkeiten gewesen wären, für die das Ensemble normaler Weise Weltruf geniesst.

Und last but not least, eine Kamera- und Schnittarbeit, die im Idealfall nicht nur dokumentiert, sondern den lebendigen Tanz so in eine Zweidimensionalität „übersetzt“, dass diese zum Erlebnis werden kann.

Stattdessen blieb es beim Konjunktiv. Die Verlierer dabei waren zum Einen natürlich die Zuschauer_innen, die sich mit einer, auch technisch, mangelhaften „Kompromissprojektion“ abfinden mussten (oder auch nicht) die vor Ort nicht einmal mit Ton zu sehen war. Einer „Kompromissprojektion“ deshalb, weil statt des Stückes selbst die Projektion desselben auf das Alte Schauspielhaus abgefilmt und ausgestrahlt wurde.

Verlierer, selbstverschuldet letztlich, das „digitale Festival – under construction“ selbst, weil es damit bereits zu Beginn eines tragfähigen Elans verlustig ging.

Hierfür sprechen auch die Zahlen, die vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch vorgelegt wurden.

Verlierer hierbei waren aber auch die Tänzer_innen und das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, dessen Leitung die Künstler_innen einer Agenda ausgeliefert zu haben scheint, bei der es vor allem darum zu gehen schien, eine Künstlerin zu installieren, die einen behaupteten Transformation -Prozess befeuern sollte.

Möglicher Weise hat dies zu einem Zeitverlust in den Proben geführt, der wiederum zu einem deutlichen Weniger an Qualität geführt haben könnte, als dies in den vergangenen Jahren, seit dem Tod von Pina Bausch, von einem exzellenten Team an Probeleiter_innen geleistet wurde und die das Publikum erwarten darf.

Was das Publikum als Projektion zu sehen bekam, war dem Vernehmen nach der erste echte gemeinsame Probe – Durchlauf und nicht wie viele glauben mussten oder wollten, die Übertragung der Premiere ohne Publikum aus dem Opernhaus.

Auch so lässt sich wertvolles Vertrauen auf vielen Ebenen verspielen, die das Tanztheater und das Pina Bausch Zentrum dringend benötigen würden.

Das-Stück-mit-dem-Schiff_Pina-Bausch@TANZweb.org

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Chance Wuppertaler Modell

Greift man erneut die Schlussveranstaltung unter dem Thema der Nachhaltigkeit auf und hier die einer nachhaltigen Kunstproduktion in einer „Post-Covid19-Gesellschaft“, ein Zustand, der leider noch nicht erreicht wurde, und konstatiert, dass in den 17 UN Zielen für Nachhaltigkeit nirgendwo der Begriff der Kunst auftaucht, dann ergibt sich daraus eine außergewöhnliche Konstellation für das geplante Pina Bausch Zentrum:

Wuppertals neuer Oberbürgermeister Professor Dr. Uwe Schneidewind prägte zusammen mit dem Wuppertal-Institut den Begriff der „Zukunftskunst“ im Zusammenhang mit der Frage, wie die Gestaltung einer Zukunft aussehen könnte, die den drängenden Herausforderungen gerecht wird und spricht von „Kunst des gesellschaftlichen Wandels“. Kunst und insbesondere die Tanzkunst können hier im Dialog mit Wissenschaft, Gesellschaft und Politik ganz wesentliche Beiträge zu den Herausforderungen der Zukunft liefern. Pina Bausch ist als Visionärin eine Ikone der (Tanz)Kunst geworden, die weit über das vergangene Jahrtausend hinaus strahlt und die ihre künstlerische DNA an Generationen von Künstler_innen und Denker_innen vererbt hat. Dies allein würde bereits ein nationales Interesse an dem geplanten Zentrum rechtfertigen.

Gesellschaften und Gemeinschaften müssen wissen, woher sie kommen, um Zukunft erkennen und planen zu können. Mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, dem Pina Bausch Archiv, einem internationalen Produktionszentrum für Tanz und spartenübergreifende Künste, einem Forum für künstlerische Forschung und einem Zukunftslabor für die nachhaltige Gestaltung von Gesellschaften, deren Grundvoraussetzungen ein würdevolles Leben aller Menschen sind, könnte ein Wuppertaler Modell entstehen, das sowohl lokal als auch global eine große Bedeutung und Strahlkraft erlangen könnte.

In spätestens zwei Jahren soll mit dem Bau dieses Zentrums begonnen werden und noch scheinen nicht einmal die Inhalte klar zu sein.

Auf welcher Basis so die Ausschreibungen für einen vorgesehenen Architektenwettbewerb stattfinden sollen, bleibt fraglich.

Wenn die Investition in das neuntägige „Festival under construction“ (hoffentlich) nicht contra produktiv gewesen sein soll, dann muss zumindest aus der Erkenntnis, dass das „Pina Bausch Zentrum“ kein sogenannter Selbstläufer sein wird, möglichst profund analysiert und darauf reagiert werden, dass es dringend darum gehen muss, Inhalte zu definieren und in den baubedingten Schließungsjahren des Alten Schauspielhauses an alternativen Orten ein solches Zentrum erproben zu können.

Dann kann dieses Projekt ein sogenanntes Leuchtturmprojekt werden, ansonsten droht dieser Bau eine menschenleere Hülle zu werden.

Das-Stück-mit-dem-Schiff_Pina-Bausch@TANZweb.org

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