TanzSoloFestival Bonn

Tatiana Julien zeigt im Theater im Ballsaal in Bonn

Soulèvement

von Thomas Linden 

Aufstände sind gesellschaftliche Reaktionen, die von Gefühlen existenzieller Bedrohung ausgelöst werden. Eine ernste Angelegenheit, die nicht leichtfüßig daher kommen kann, das liegt in der Natur der Sache. Auch deshalb geht es in Tatiana Juliens Produktion „Soulèvement“ (dt. „Aufstand“) – die sie jetzt im Rahmen des 8. Internationalen Bonner Tanzsolofestivals im Theater im Ballsaal präsentierte – auch sehr laut zu. Aus dem Off johlt eine aufgepeitschte Menge. Wer jedoch genau hinhört, dem entgeht nicht der lustvoll-aggressive Unterton, der sich in dem Höllenlärm Bahn bricht. Die französische Choreographin und Tänzerin Tatiana Julien lässt sich feiern wie ein Popstar. Den Catwalk schreitet sie mit wiegenden Hüften ab, sperrt den rot geschminkten Mund so weit auf, als wollte sie das obszöne Zungenlabel der Rolling Stones verschlucken. Im Playback legt sie eine mitreißende Show hin. Trotz rebellischer Songtexte, hat das alles jedoch nichts mehr mit politischen Intentionen zu tun. Provokant hält sie uns den Spiegel vor, Politik ist zum Showgeschäft geworden und die Showbühne gibt sich ihrerseits gerne politisch. Tatiana Julien hat die entsprechenden Gesten parat, läßt sich feiern wie eine Heldin, die aus dem Krieg zurück kommt, in Wahrheit aber nur einen Song effektvoll geträllt hat. Dieses Repertoire mythisch verbrämten Kitschs, der durchaus religiöse Züge trägt, ist der Unterhaltungsindustrie eingeschrieben. Jedes Rockkonzert partizipiert auf die ein oder andere Weise daran.

Wirklich neu sind diese Erkenntnisse nicht, wenn die Französin sie auch mit der Verve einer Künstlerin zu präsentieren versteht, die in jedem Moment weiß, was sie tut. Diese Sicherheit ist es, mit der sie ihr Publikum in die Tiefen eines Abends geleitet, der weit mehr als gekonnte Persiflagen zu bieten hat. Selbst dann, wenn sie sich mitten in der Show eine Pause gönnt und türenknallend den Saal verlässt, warten alle gespannt darauf, wie sich diese tänzerische Tour de Force fortsetzt. Es sind nicht alleine die weichen Moves, die Tatiana Julien zu ihren Technosounds liefert, und die auch dem Publikum unweigerlich ins Blut gehen. Sie wechselt vom Stakkato in den Hiphop, torkelt mitunter vor Erschöpfung, fängt sich wieder und stellt auch mit lauten Atemgeräuschen ihre Erschöpfung aus. Letztlich verkauft sie buchstäblich ihre Haut.

Soulevement©Hervé Goluza

Soulevement©Hervé Goluza

Denn plötzlich wird es philosophisch mit einem Exkurs zu Albert Camus und seinem Text „Der Mensch in der Revolte“, der für eine desillusionierte Generation, wie wir sie heute erleben, von ganz neuer Bedeutung ist. Der Aufstand der Massen wird hier zudem zu einer Revolte des einzelnen Menschen. Einer Revolte, die unablässig ausgefochten werden muss, im Bewusstsein, dass sie nie an ihr Ziel gelangen kann. In dieser Show ist „der Mensch“ eine Frau. Spielte Tatiana Julien zuvor mit ihren glänzenden Outfits und Sneaker, bleibt nun nichts mehr als der eigene Körper. Sie tanz nackt und dann noch nackter und dann lässt sich die Entblößung nicht weiter steigern und geht in eine Art Verzweiflung über, die nur noch von der Ohnmacht erzählt, nicht aus seiner Haut entfliehen zu können. Die Bewegungssprache des Tanzes lässt sie hinter sich, statt dessen läuft und springt sie nun durch den Saal des Theaters, das der ideale Ort für diese intime Performance darstellt. Der Kontakt zum Publikum erweist sich gerade in diesen expressiven Momenten als essenziell. Und dann führt uns Tatiana Julien für einen genialen Moment dorthin, wo der Tanz herkommt, in die unkontrollierte Bewegung, die plötzlich Grazie gewinnt. Motive aus Henri Matisse’ Gemälde „Der Tanz“ tauchen auf. Archaische Bewegung mündet in künstlerischem Ausdruck. So gelingt ihr das treffliche Finale eines Solos, das von solcher Kraft und Entschlossenheit getragen wird, dass das Publikum in Bonn einfach begeistert sein musste. Und so war es denn auch.

Soulevement©Herve-Goluza

Soulevement©Herve-Goluza