Emanuele Soavi im Alten Schauspielhaus
VIDEO_IMPRESSIONEN-THE DAY I BECAME A CLOUD
ESincompany in Wuppertal im Rahmen von tanz nrw 2025
gesehen von Klaus Dilger
Der Himmel über dem Alten Schauspielhaus Wuppertal ist an diesem Mai-Mittwoch noch wolkenlos. Alle dunklen Wolken brauten sich wohl gerade konzentriert über Düsseldorf zusammen, wo Landesregierung und Ministerium dabei sind, sich ganz unsäglich zu blamieren bei ihren körper-, seelen- und rückgratlosen Versuchen an der Rolle-Rückwärts in der ursprünglich zugesagten Kulturförderung. Doch diese Wolken werden an diesem Abend vor dem erhofften Pina Bausch Zentrum nicht zu sehen sein, aber sie werden Wuppertal erreichen, so viel lässt sich erahnen.
Auch aus den Umarmungen, die rund ein Dutzend schwarz gekleideter junger Menschen draussen vor dem Schauspielhaus immer und immer wieder exerzieren. Es sind Suchende, Einsame, Nähe- und Liebesbedürftige, die ihre inneren Zustände für lange und kurze Momente zu überwinden, erfüllen, lindern suchen und auch in verzweifelten Gesten festzuhalten, was sich nicht festhalten lässt: der, die das Andere.
IM TIEFEN INNEREN
Im tieferen Inneren, hier den Bahnen und Korridoren, die Gerhard Graupner um das Garten-Atrium des Schauspielhaus-Foyers gezogen hat, begegnen wir Tänzerinnen und Tänzern, die einzeln und verteilt auf Spiegelflächen, die gerade so gross sind, dass sie zur narzisstischen Selbstreflexion taugen, ihr körperliches Selbst in einen Raum zu dehnen versuchen, der flüchtig bleibt – Passagen eben. Für die Schönheit der Garten-Natur scheinen sie keinen Blick zu haben, zu sehr ist dieser stets auf sich selbst gerichtet oder geht ins Nirgendwo.
Im Foyer werden sie sich dann begegnen. Auch hier stets auf Spiegelflächen, von denen es zwei gibt und die kaum mehr Platz ergeben, als die der permanenten Selbstreflexion in den Korridoren.
In getanzten Soli, Duos, Trios, auch zu Viert, werden sie in präzise getakteten Intermezzi aneinander und an sich selbst zerren, sich versuchen festzuhalten, wieder einander, aber mehr noch sich selbst. Erst gegen Ende dieser Interventionen werden daraus Umarmungen und ganz zum Schluss löst sich die Gruppe in einer einzelnen zärtlichen und liebevollen Geste auf, die kein reales Gegenüber kennt. Sie gilt der Luft oder vielleicht doch sich selbst?
HARTER BRUCH
Der grosse schwarze Vorhang im Rücken der Zuschauenden öffnet sich unvermittelt. Wir blicken im Umdrehen auf eine Anordnung von zwei Tischen, eine Mischung aus Künstleratelier und modernem Fernseh-Nachrichtenstudio. Vier Rahmen umgeben die Tischinstallation, in denen jeweils ein Bandoneon eingespannt ist, wie Blasebälge, die die vier Tänzer, wie die Gehilfen am Schmiedefeuer bedienen, um der live gespielten, eindrucksvollen Komposition von Johannes Malfatti das Volumen zu verleihen. Am Ateliertisch eine unfertig scheinende Gipsskulptur (Emanuele Soavi- alias George, wie wir später lernen), sitzend zur Starre von Unten bis Oben eingegipst, den linken Arm auf der Tischplatte liegend. Am Moderatorinnen-Tisch, in einer Mischung aus Kartenlegen und Wetterbericht, Lisa Densem, die ihren Monolog (der vierzig Minuten dauern wird) mit der Beschreibung von Halluzinationen beginnt, wie sie von „magic mushrooms“ ausgelöst werden, um über den vollkommen „ausgetrockneten“ George zu verschiedenen Wolkenformationen zu gelangen, die in unterschiedlichen Höhen sich sammeln und entladen. (Text: Kate Strong und Emanuele Soavi – wie immer stark getanzt: Federico Casadei, Taeyeon Kim, Lisa Kirsch, Lorenzo Molinaro)
ZYNISCHE METAPHERN
All diese Exkurse, die wie Metaphern auf menschliches Mit- oder besser Nebeneinander wirken, werden von Zeit zu Zeit ergänzt oder unterbrochen von wenigen getanzten Interventionen.
Soavi widmet hier die ganze Konzentration der Verbindung von Wort, Musik und Skulptur, um die Vergeblichkeit und Vergänglichkeit von Nähe und Umarmung aus den ersten Teilen wieder aufzunehmen. Seine Rauminstallation mit den vier Bandoneon wirkt wie eine Intensivstation, dessen Koma-Patient (Soavi – George), reglos aber bei Bewusstsein, die zynische Bilanz und Abrechnung (s)einer gescheiterten Beziehung, (s)eines gescheiterten Lebens, erdulden muss.
Dann, nach vierzig Minuten, beginnt sich die graue Skulptur unendlich langsam zu bewegen, wird den Gipspanzer von sich abblättern lassen, Reste davon aus Gesicht und vom kahlem Schädel wischen, sich elegant bekleiden und eine, Intelligenz suggerierende, übergrosse Brille mit dem dicken schwarzen Rand aufsetzen… er wird davon gehen… und vermutlich all das mutmaßlich vergeblich Gelebte erneut leben…
„Ohh, er ist weg …“ wird die Frau dann in englischer Sprache sagen, „Dieser fast unbekannte Mensch ist gegangen und hat den Lärm mitgenommen, um einen Zug zu erwischen, ein Taxi zu nehmen, um an einen uns unbekannten Ort oder zu einer uns unbekannten Person zu gehen.
Der Druck ist weg … Alles ist leer. Unbewohnt. Leerer Stuhl-Leerer Tisch-Leerer Himmel-Leerer Regen-Leere Wolke-Leerer Sturm-Leere Bewegung-Leere Saite-Leere Note-Leerer Horizont-Leeres Flugzeug-Leere Religion-Leere Träne-Leere Ankunft-Leere Stunde-Leere Einsamkeit-Leerer Traum-Leerer Tod-Leeres Wasser.
Während ich hier sitze, habe ich beobachtet, wie sich der Himmel verändert. Ich habe gesehen, wie Sterne von den Wolken verdeckt wurden, wie sie die Sterne freigaben, dann wieder verdeckten. Jetzt nehme ich die Veränderung nicht mehr wahr. Jetzt sieht mich niemand mehr, und ich verändere mich nicht mehr. Wie viel besser ist es, hier allein zu sitzen. Lass mich hier für immer sitzen, mit den bloßen Dingen, den Dingen an sich, ich mit mir selbst.“
„THE DAY I BECAME A CLOUD“
ist eine tänzerische Meditation, ein Nachdenken und Loslassen der Gedanken zugleich. Die Produktion wurde ursprünglich konzipiert für das Musée d’Art Moderne in Paris und das Max Ernst Museum Brühl und aufgeführt mitten in den ausgestellten Werken. Wer diesen konzentrierten Abend erlebt hat, im Alten Wuppertaler Schauspielhaus, ehe die Wolken aus Düsseldorf herüberziehen konnten, wird sich derlei Ausstellungs-Ablenkung nur schwer vorstellen können.