CocoonDance stellt “MoveApp” vor:
Irgendwas mit Bewegung
Nachtbesprechung von Rico Stehfest
Die Bonner Company CocoonDance zelebrieren mit ihrer MoveApp eine Einladung zum Tanz und zeigen im Rahmen der Präsentation aus dem Theater im Ballsaal, wie schwer der Schritt hin zur Digitalisierung für uns alle ist.
Eine fragile Kunstform in Sprache übersetzen, Tanz in Sprache übersetzen. Ein Archiv, dank dessen „die Dinge“ länger leben können. Die Worte Rafaële Giovanolas, Gründerin der Company CocoonDance waren groß gesetzt, als gestern Abend in einem Live-Stream aus dem Theater im Ballsaal der offizielle Launch der durch Pro Helvetia geförderten MoveApp gefeiert wurde. Diese basiert auf einem Gamification-Ansatz, mit dem Menschen jeglichen Hintergrunds dazu angeregt werden sollen, sich mit Bewegung auseinanderzusetzen. Dafür bietet die App bislang 16 Aufgaben, die allesamt medienübergreifend zusammengedacht worden sind. Da gibt es Töne, lyrische Beschreibungen, aber auch Grafisches, das als Ausgangspunkt für subjektive Reflexionen dienen möchte. Zunächst begegnen den Usern der App allerdings nur diese Aufgaben. Bisherige Uploads werden lediglich durch kurze GIFs angeteasert. Dieser Anreiz will dazu animieren, eigene entwickelte Ausdrucksformen zu digitalisieren und diese auf der App hochzuladen. Erst im nächsten Schritt erhalten die User Zugang zu den bisherigen Uploads. Der Gedanke dahinter: Nach Möglichkeit sollen reine Imitationen ausgeschlossen werden. Wer hier an Dance-Challenges auf TikTok denkt, liegt nicht direkt weit entfernt.
Selbstredend ist der Ansatz nicht schlecht, Menschen überall auf der Welt dazu zu animieren, sich ohne konkrete Ansprüche frei und offen mit Bewegung auseinanderzusetzen und dabei alle möglichen Medien wie Wort, Bild und Klang mitzudenken. Die Ergebnisse in einem Pool zu vereinen wirkt ebenso reizvoll. Unklar ist allerdings bisher, was dann mit diesem Archiv geschehen kann, welchem Zweck es dienlich sein könnte. Wer kann hier wie profitieren? Zwar fiel der Begriff der Vernetzung, erkennbar ist er aber nicht.
Viel wurde im Rahmen der Präsentation über Zoom von den Anwesenden gesagt. Die Aussage blieb aber auch nach gut eineinhalb Stunden im Vagen. Das lag allerdings nicht allein am Konzept der App. Insgesamt ließ sich leider feststellen, dass der entscheidende Teil der Beteiligten schlichtweg unzureichend vorbereitet war, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Die Journalistin Dorothea Marcus hatte die Moderation übernommen, wirkte allerdings über weite Strecken überfordert. Begleitet wurde das von einer unkoordinierten Kameraarbeit. Da sprach Dorothea Marcus ins Off statt in die Kamera zu schauen. Da sprachen Teilnehmer der Diskussion aus dem Off, weil die Kamera nicht hinterher kam. Naoto Hieda, Experte für Digitalisierung zeitgenössischer Kunst, war, ganz in Schwarz gekleidet, in die am schlechtesten ausgeleuchtete Ecke platziert und dadurch im Stream kaum wahrnehmbar.
Auf die Frage nach den möglichen Potenzialen der App hin stockte Isa Wortelkamp, Tanzwissenschaftlerin an der Universität Leipzig zunächst und fügte dann etwas hilflos hinzu, sie könne sich alles vorstellen. Und das ausgerechnet nur wenige Stunden, nachdem die Grünen-Politikerin Irina Gaydukova nach einem blamablen Auftritt vor laufenden Kameras auf simple politische Kernfragen keine Antworten parat hatte und in der Folge kurz darauf tatsächlich aus der Partei ausgetreten ist.
Während all dessen agierten im Hintergrund hinter den Diskutanten Mitglieder der Junior Company, die sich in der Zwischenzeit mit einer der Aufgaben aus der App beschäftigen. In ihrer Marginalisierung wirkten sie wie unter Aufsicht spielende Kinder. Am Ende stellten sie das von ihnen Erarbeitete vor, Zeichnungen, aber auch Bewegungsstudien. Grundlage dafür war die Aufgabe „broken toys“, über die Rafaële Giovanola nonchalant anmerkte, sie wisse selbst noch nicht, was diese Aufgabe eigentlich bedeute. Räumlich führt diese Präsentation zu noch weiterer Unkoordiniertheit im Raum, mit der die Kamera schlichtweg überfordert war.
So viele haben über Angela Merkels Bemerkung, das Internet sei für uns alle Neuland, höhnisch gelacht. Wahrscheinlich, weil kaum einer die Komplexität dieser Worte erfasst hat. Zusammenfassen lässt sich die „Geburtstagsfeier“ der MoveApp aber ganz schlicht. Irgendwann im Lauf der Diskussion merkte Naoto Hieda an, er hätte den sozialen Medien den Rücken gekehrt. Noch einmal kurz zur Erinnerung: Er wurde als Experte für Digitalisierung zeitgenössischer Kunst vorgestellt. Noch bevor er Gelegenheit erhielt, diese doch so provokante wie interessante Äußerung zu erläutern, fiel ihm Dorothea Marcus ins Wort: „… um Deine Seele zu retten!“ Damit hat sie der App auf jeden Fall keinen Gefallen getan.