Richard Siegal nicht verlängert

Die Stadt Köln schlägt die Tür für Richard Siegal und das „Ballet of Difference“zu…

der Kommentar zur Posse von Klaus Dilger

Nein, …eigentlich müsste es heissen, „die Politikerinnen und Politiker der Stadt schlagen die Tür zu“, denn es ist weder das Publikum, das dem „BoD, dem Ballet of Difference“ immerhin den ersten Rang in den Auslastungszahlen im Drei-Sparten-Haus beschert, noch sind es die Medien, die sehr differenziert aber interessiert und zustimmend die Arbeit Siegal’s und dessen BoD in Köln begleiten.  Es scheint auch keine Jury aus ausgewiesenen Tanzexpertinnen und -Experten gewesen zu sein, die über derlei Fragen befunden und beraten hätte, zumindest keine, die ans Licht treten mag und sei es auch nur als eine Einpersonen-Jury.

Dass man oder frau sich in Köln ungern „jenen Hut der Verantwortung“ aufsetzen mag und damit sogar in den eklatantesten Fällen durchkommt, hat schon die Vorgängerin im Amt der Beigeordneten für Kunst und Kutur, Frau Laugwitz-Aulbach demonstriert, als anno 2015, vier Monate vor Eröffnung der beinahe fertig gestellt geglaubten Kölner Oper, bemerkt wurde, dass diese auf Grund der Auswirkungen einer unvorstellbar grossen Zahl an Fehlplanungen (die eigentlich unmöglich nicht hätten bemerkt werden müssen), nicht wird wie geplant eröffnen können!

SIEBEN JAHRE!!! und nach erneuter Korrektur sogar NEUN JAHRE!!!! später, soll diese nun, vom Nachfolger Stefan Charles, eröffnet werden können. Kosten noch nicht absehbar. Merke: Ohne Hut auch keine Konsequenzen!

Richard Siegal Interview©TANZweb.org_Klaus Dilger3

Richard-Siegal-Interview©TANZweb.org_Klaus-Dilger

IST DER GUTE RUF ERST RUINIERT, DANN LEBT’S SICH VÖLLIG UNGENIERT…

Im Gespräch mit den Kollegen des Deutschlandfunks meinte Charles, es sei eine politische Entscheidung des Betriebsausschusses gewesen, der einen FDP-Antrag auf Verlängerung um eine Spielzeit abgelehnt habe, und weiter auf die Nach-Frage, wie er sich das erklären könne: „Ha, das müssen Sie die Politik fragen…“

So kann man den Hut natürlich auch weiterreichen, aber wäre es denn nicht Aufgabe von Stefan Charles gewesen, die Optionen offen zu halten, oder auch nur verantwortlich darüber zu diskutieren,  indem er einen wie auch immer gearteten Antrag zur Diskussion und Abstimmung vorlegt?

UMGANG MIT DEN KÜNSTLERN

Dieses Nichthandeln hatte sich in zahlreichen Gesprächsrunden immer wieder angedeutet, wenn Stefan Charles sich nicht deutlich hinter den Choreografen und seine Compagnie gestellt hatte, sondern die Meinung vertrat, die Sparte Tanz an den Bühnen müsse neu ausgeschrieben werden, wohl auch um insgeheim einer neuen Schauspieldirektion die Option offen zu halten, hier eigene Vorstellungen noch durchsetzen zu können.

Dabei übersieht Charles, dass in der Vergangenheit zwar immer wieder herausragende Grössen oder Talente, die dann dazu geworden sind, als Intendanten und Künstlerische Leiter für das Schauspiel Köln gewonnen werden konnten, die Domstadt aber seit dem kläglichen Ende des TanzForumKöln im Jahre 1996 und dem Ende der weltbekannten Sommer-Akademie des Tanzes vom Ruf, eine Metropole des Tanzes zu sein, ins absolute Nichts gestürzt war.

Private Sponsoren ermöglichten zwar ein kurzes Intermezzo mit Amanda Miller’s „Pretty Ugly Company“ und die vollkommene Abwesenheit von international bemerkenswerter Tanzkunst wurde durch die Tanzgastspiele an den Bühnen, unter Leitung von Hanna Koller, abgewendet. Doch selbst diese standen immer wieder in der Diskussion, sie weiter zu fördern. Der freien Tanzszene, die zwar zahlenmäßig bedeutend ist in Deutschland, fehlt es seit jeher an Strukturen und Förderung, um zu glänzen oder bedeutende freie Choreografen zusätzlich an den Rhein zu locken.

Xerrox-Richard-Siegal©Thomas-Scherme

Xerrox-Richard-Siegal©Thomas-Scherme

UMGANG MIT DEN PARTNERN

Dass es gerade letzterer an besagten Strukturen fehlt, hat auch etwas mit dem Umgang Kölns mit seinen Partnern zu tun. Jahrelange gegenseitige Schuldzuweisungen wie Schneeballschlachten ausgeführt zwischen Stadt und Land NRW und das immer wieder auftauchende Argument, die Stadt sei kein zuverlässiger Partner (ob wahr oder nicht), führten zur desaströsen strukturellen Ausstattung der Stadt für deren freie Tanzszene und der einhergehenden Qualität der Arbeits- und Präsentationsbedingungen.

Welch bedeutende Choreografinnen und Choreografen glaubt die Stadt denn vor der „Tür“ zu sehen, die sich darum reissen werden, mit einem geplanten Minimalbudget hier ihre Zukunft aufbauen zu wollen?

NEW-OCEAN_Richard-Siegal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

NEW-OCEAN_Richard-Siegal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

„NEUE WEGE“

Es war ein Glücksfall für die Stadt Köln, dass unter der damaligen Ministerin Pfeiffer-Poensgen und unter Federführung des NRW KULTURsekretariats Wuppertal und des Leiter Christian Esch das neue Label mit dem Namen NEUE WEGE ins Leben gerufen wurde, das es den Häusern des Bundeslandes mit Landesmitteln ermöglichen sollte, Pilotprojekte an ihren Bühnen zu ermöglichen, zu erforschen und bei Erfolg nachhaltig dort zu verankern. Und es war ein Glücksfall, dass wohl maßgeblich Bettina Wagner-Bergelt, die Mitglied des Auswahlgremiums war, eine Verbindung zwischen Richard Siegal, der Residenzkünstler in den Münchner Muffathallen war (und noch ist), und dem Schauspiel Köln hergestellt hatte, die letztlich die Jury überzeugen konnte und dies sogar zweimalig.

So gefördert konnte erst durch die Arbeit von Richard Siegal der Grundstein gelegt werden, dass die Stadt Köln einen grundsätzlichen Beschluss gefasst hat, sowohl die Interim-Spielstätten weiterhin angemietet zu halten und diese, sowohl für die freie Tanz- und Performance-Szene, als auch für eine dritte Sparte an den Bühnen, nämlich den TANZ, zu nutzen.

Dass dem Wegbereiter dabei am gleichen Tag und in beschriebener Art und Weise der Stuhl vor die Tür gestellt wurde zeugt vom vollkommenen Unverständnis der Verantwortlichen und deren Unkenntnis in Sachen Tanz, aber auch von einer Skrupellosigkeit, die nicht nur jeden Künstler, sondern hier auch noch zudem den Partner, das Land NRW, erschüttern muss.

ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Alexander Lopez Guerra und Maria Giovanna Delle Donne in ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

SIEGAL AUCH WÄHREND CORONA EINER DER KREATIVSTEN

Dass Richard Siegal und seiner Compagnie die viel besprochenen Publikumskrisen nach der Corona-Pandemie nicht belasten, liegt auch daran, dass er wie kaum ein anderer kreative Antworten auf diese vollkommen neuen Herausforderungen zur Aufrechterhaltung der Kreationen, als auch dem Austausch mit dem Publikum, gefunden hat.

Mit seinem herausragenden Dramaturgen Tobias Staab hat er mehrere Stücke entworfen, sowohl im Öffentlichen-, als auch Digitalen-Raum, die auch ihn künstlerisch einen Schritt weiter gebracht haben ohne dabei die Tanzkunst auf hohem technischen Niveau aus den Augen zu verlieren.

Gerade in den installativen Arbeiten entstanden neue Zusammenarbeiten und Netzwerke, die der ehemalige Forsythe-Tänzer dann in den analogen Bühnenarbeiten einzusetzen wusste.

Wie etwa sein „New Ocean Sea Cycle“ in der grandiosen Installation „HOWL“ von Anish Kapoor.

So entstand zum Beispiel für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch „ECTOPIA“. Sein Bühnenbild bestand aus der Skulptur  „Shooting Into the Corner“ des weltberühmten Künstlers Anish Kapoor in den grossartigen Klanglandschaften von Alva Noto. ( https://www.tanzweb.org/wuppertal/nachtkritiken-wuppertal/richard-siegals-ectopia-im-forum-leverkusen )

Dass Siegal auch ein grossartiger Partner des Schauspiel Köln sein kann, bewies er nicht zuletzt in der vielunterschätzten Produktion „ROUGHHOUSE“ am Schauspiel Köln, mit Schauspielern und Tänzern gemeinsam ( https://www.tanzweb.org/koeln-bonn/nachtkritiken-koeln-bonn/baeng-baeng-richard-siegals-roughhouse-in-koeln )

ROUGHHOUSE-Richard-Siegal_SchauspielKoeln©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ROUGHHOUSE-Richard-Siegal_SchauspielKoeln©TANZweb.org_Klaus-Dilger

EIN „UNTERSCHIED“ DER FEHLEN WIRD

Dass sich Richard Siegal nicht für die Intendanz bewerben wird, die ab der Spielzeit 2025/26 beginnen soll, scheint sowohl von einigen Gremien der Stadt gewollt, als auch eher ausgeschlossen für den Künstler selbst nach dieser Behandlung.

Richard Siegal hat mit dem „Ballet of Difference“ ein Signal geschaffen, dass durchaus in vielen Bereichen in der Tradition des TanzForumKöln gestanden hat, zumindest was die Philosophie des erarbeitens von Tanzkunst betrifft. Dies ist bedeutend und macht es vollkommen unnötig, dass einige Medien versuchen möglichst häufig den Begriff der „Weltklasse“ zu bemühen. Das ist das „Ballet of Difference“ nicht und kann es mit diesem Budget auch nicht sein. Die besten Tänzerinnen und Tänzer der Welt würden vielleicht gerne mit Richard Siegal zusammen arbeiten, aber vermutlich nicht zu diesen Sparbedingungen, denen die Compagnie ausgesetzt ist.

Absolut „bemerkenswert“ und „anders“, vielleicht sogar „einzigartig“ ist „Ballet of Difference“ auf jeden Fall. Aber dies sind echte Werte, mit denen die Politiker der Domstadt und ganz allgemein ganz offensichtlich nichts anzufangen wissen.

Ein Unterschied, der fehlen wird.

ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger

ECTOPIA_Richard-Siegal_Tanztheater-Wuppertal©TANZweb.org_Klaus-Dilger