“INVASION” von Emanuele Soavi bei MOVE!
gestern war nun in der Krefelder Fabrik Heeder die Indoor-Version der emanuele soavi incompany aus Köln von “L’ARMES BOUFFES” zu sehen, das im Sommer noch als MOVE! in Town zu erleben war
Träumend, die Realität erblicken
Nachtkritik von Laura Brechmann
Das Rascheln des transparenten Lackrocks lässt erahnen, dass es nicht der Can-Can ist, der an diesem Abend im Mittelpunkt steht. Auch wenn sich Tänzerin Lisa Kirsch gleich zu Beginn in die schmerzhaft-schnellen Posen des durch Jacques Offenbach berühmt gewordenen Unterhaltungstanz wirft. Doch statt lächelnd ertragend, skelettiert Kirsch – die seit 2013 für Emanuele Soavi in Company tanzt – die physisch höchst anspruchsvolle Choreografie. Was bleibt ist keine Unterhaltung, sondern von Glanz und Schein freigelegte Bewegung. Exakt eine Minute, dann: stop. Das wars. Dem Publikum wurde serviert was erwartet wird, wenn sich eine zeitgenössische Tanzkompagnie im Auftrag der Kölner Jacques-Offenbach-Stiftung dem deutsch-französischen Komponisten widmet. Anschließend erklingen ganz andere Töne. Die voluminösen Klänge zweier Celli (Katharina Apel-Hülshoff; Anja Schröder) verwischen das Bild der „Entertainment-Maschine“ Offenbach; und die von Musiker Stefan Bohne live gemixten elektronischen klirrenden, schabenden, piepsenden Sounds lassen es dann ganz verschwinden. Die Reise ins Unbekannte beginnt, man öffnet sich den Welten, die sich diffus und befremdlich vor einen ausbreiten.
In „Invasion“ konfrontiert sich das sechsköpfige Ensemble der Emanuele Soavi incompany beim diesjährigen Krefelder Move!-Festival mit der heiteren Welt des Operetten-Komponisten. Die Choreografie des Kölner Choreografen gleicht, wie der Titel erahnen lässt, einer feindlichen Übernahme, so dunkel, fremd, verheißungsvoll begegnen sich die Tänzer und Tänzerinnen in der Fabrik Heerder. Von einer eher unbekannte Operette Offenbachs, „Die Reise zum Mond“ (1875), inspiriert, dringt Soavis Choreografie in die Tiefe. Es ist ein Wechselspiel von Intimität und Distanz, Zuneigung und misstrauischer Abwehr. Die Körper sind durchgängig in Erwartung, in Angst, auf dem Sprung. Begegnung wird nicht präsentiert, sondern ausgehandelt. Es sind die kleinen, beinahe nebensächlichen Details in den Bewegungen – wie zaghafte Striche über Brust, Gesäß, durchs Haar – die die ausgebreiteten Welten von der Realität entrücken. In Soavis Choreografie spricht vor allem der Blick der Tänzer*innen die berühmten Bände. Die Blicke, und weniger die ermüdend zahlreichen Duette, verführen, erwarten, misstrauen. Durch sie wird sich träumend der Realität vergewissert. Im Zwischen der Blicke transformieren sich die Szenen. Besonders eindrucksvoll: die Wandlung einer von pfauenartigen Kreaturen bevölkerten Oberfläche in eine rhythmisch intensive Modeshow (Kostüm: Heike Engelbert).
Das Zusammenspiel von Offenbachs Celli-Kompositionen, elektronischer Musik, rasanten Pas-de-deux und sich an das Unbekannte herantastende Soli, ist Invasion und Angriff, Kennenlernen und Zuneigung zugleich. Es sind fremde Wesen, die sich, und dem Publikum, begegnen. Doch auch Offenbachs berühmter Sinn für Ironie und Satire ist hauchweise enthalten, wenn bei Soavi auch eher in den Klamauk abdriftende Szenen ausgedrückt.
„Invasion“, als Teil von „The Offenbach-Project“, ist ursprünglich eine für die Räumlichkeiten der Hochschule für Gestaltung Krefelds konzipierte Choreografie. Ortspezifisch erkundete das Ensemble im Sommer tänzerisch die Umgebung, erarbeitete Szenen der Begegnung und Aneignung und führte das Publikum durch Räume und Welten. Szenenartig wurden die Bilder in der nun gezeigten Bühnenadapation aneinander montiert. Die Brüche werden durch stellenweise (zu) hartem Lichtwechsel und skurriler Nummerierung (Invasion 3,2,4,1) augenscheinlich. Im Versuch die Brüche zu kaschieren wird die innere Kohärenz gestört und die Choreografie gerät stellenweise aus dem Takt. Es ist der hohen musikalischen und tänzerischen Qualität zu verdanken, dass der Abend trotz wackelnder Übergänge zu einer intensiven Erkundung fremder Welten wird, die zur Begegnung einladen.
Choreographie: Emanuele Soavi • in Zusammenarbeit mit den Tänzer*innen: Federico Casadei, Abine Leao Ka, Lisa Kirsch, Mihyun Ko, Giulia Marino und Michele Nunziata • Cello: Katharina Apel-Hülshoff und Anja Schröder • Sound: Stefan Bohne • Ausstattung: Heike Engelbert