MOVE!extended

SONIC INTRODUCTION und RESTRAINT

Doppelabend in der Fabrik Heeder mit Gästen aus Berlin, im Rahmen von „MOVE!extended“.

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Gedanken dazu von Klaus Dilger

Zum dritten Mal soll auf diese Weise das „Mutter“-Festival „MOVE! Krefeld tanzt zeitgenössisch“, das in diesem Jahr zum 23.Male stattfindet, über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinaus erweitert werden.

Für die Tanzschaffenden aus NRW, so unser Zwischen-Fazit nach jahrelanger Begleitung, stellen die Tanzreihen in der Stadt  und der Krefelder Fabrik Heeder (zusammen mit First&Further Steps und bei MOVE!inTown) vielleicht den wichtigsten Partner und Ort ihrer Karriere-Förderung dar und auch ihrer (anfänglichen) Verortung in der Tanzwelt, einschliesslich der Förderung ihrer Sichtbarkeit.

Krefeld darf getrost als eine der Wiegen des zeitgenössischen Tanzes in NRW und damit wohl auch in Deutschland angesehen werden.

Wie das? Krefeld?

Ja, und Ihre eventuellen Fragen und Ihr Stirnrunzeln zeigen, dass vielleicht auch Sie sich längst an Pathos und Behauptung gewöhnt haben, die heute marktschreierisch alles begleiten, was wahrgenommen werden soll. Egal, wie wertvoll etwas ist, für Geist, Körper und Seele. Denn die Krefelder haben das sehr lange leise, bescheiden aber erfolgreich getan.

Im Jahr 2019 blickten wir zusammen mit den Verantwortlichen Jürgen Sauerland-Freer und Dorothee Monderkamp zurück auf 30 Jahre zeitgenössischen Tanz in Krefeld:

HIER GEHT ES ZU TEIL  IHIER GEHT ES ZU TEIL IIHIER GEHT ES ZU TEIL III HIER GEHT ES ZU TEIL IV

Amuleto-Manuela©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Amuleto-Manuela©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Lange waren es Einladungen aus wechselnden Europäischen Gastländern, die künstlerischen Arbeiten der Tanzschaffenden aus NRW in einen international vergleichenden und meist spannenden Kontext stellten. Dies hat auch dem Festival und seinen Besucherinnen und Besuchern wohl getan.

Erstmals eine „Sonic Introduction“

mit dem der hier besprochene Abend begann, die das Programmheft so ankündigte:

„Die Klangkünstlerin und DJ Amuleto Manuela lädt das Publikum zu einer Sonic Introduction ein, die eine musikalische Hinführung und Einstimmung auf das Stück »Restraint« ist. Amuleto Manuela, DJ und Klangkünstlerin, verwebt in diesen beiden Bereichen Musik und Klänge zu kompromisslos positionierten und persönlichen Hörerfahrungen, mit einem Schwerpunkt auf, aber nicht nur, Vinyl-Schallplatten. Ihre Arbeit als Klangkünstlerin umfasst die Herstellung von Klanglandschaften, Klangskulpturen, DJ-Sets und kollektiven Hörpraktiken, die sich alle um das Hören als Kernprinzip und die Suche nach Räumen der Begegnung drehen. …“

Einen so hohen Anspruch, wie er sich aus solchen Ankündigungen ableitet, konnte diese „Introduction“ leider nicht einlösen.

RESTRAINT_Lina-Gomez©TANZweb.org_Klaus-Dilger

RESTRAINT_Lina-Gomez©TANZweb.org_Klaus-Dilger

Das Krefelder Festival will, auch dies ist im Programm nachzulesen, ganz bewusst sehr unterschiedliche Positionen, auch um darüber ins Gespräch zu kommen, Neues zu entdecken und Horizonte zu erweitern, auch die der Toleranz. Dies alles mit einer formulierten Prämisse: „Sie (die Künstlerinnen, die Künstler und ihr Publikum) begegnen sich in ihrer hohen künstlerischen Qualität und dem Anliegen, Tanz als berührende und aufwühlende Ausdrucksform zu verstehen, die ebenso Bezug nimmt auf gesellschaftspolitische Fragestellungen wie auf Potenziale, die dem Menschen – oft unbewusst – inneliegen…“

Diesem Anspruch wollen wir uns überaus gerne anschliessen, allein, Sensibilität für Kunst und deren Werte entsteht nicht im Programmheft, auch wenn sie immer häufiger und deutschlandweit noch so phantastisch formuliert sein mögen, sondern immer nur durch die Kunst selbst.

RESTRAINT_Lina-Gomez©TANZweb.org_Klaus-Dilger

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RESTRAINT (übersetzt „eingeschränkt“)

Michelangelo Contini (Schlagzeug) und Julek Kreutzer (Bewegung) treten vehement und kraftvoll in den Bühnenraum ein und zerteilen ihn. Gleichzeitig mit Contini, der sein Instrument erreicht und sofort den ersten Trommelschlag vibrierend in den Raum schickt, durchzucken diese wie Stromstöße den Körper von Kreutzer. Continis perkusive Stimme scheint das Innere der Tänzerin zu sein und so wird er das Äussere dessen, was ganz offensichtlich aus „Ihr“ heraus will. Ausser den Schlagstöcken und den Takt gebenden Füssen bewegt sich bei ihm (für einen Schlagzeuger bemerkenswert ungewöhnlich) so gut wie nichts. Zweiundzwanzig Minuten wird das Publikum Zeuge von etwas, das die Grenzen zwischen Schüttelfrost und Tanz auslotet und damit zunehmend zu einem Akt wird, der wie ein exorzistisches Ritual anmutet. Die reduzierten, zunächst auf Schultern und Körpermitte beschränkten Bewegungsimpulse, verstärken den Gedanken an Gefangenschaft und Ausbruch, doch wohin und wie weg von sich selbst, seinem Körper, Geist und Inneren? Erst später werden die Impulse sie in den Raum explodieren lassen oder zu Wellen, wenn sie sich auf Knien von dem Drumset anziehen oder abstossen lässt, wie es scheint. Das ist hochpräzise choreografiert und ebenso ausgeführt, auch in der Musikalität der Darbietung. Die Grenzen und die Steigerungen verschieben sich minimal und doch effektiv bis zum finalen Paukenschlag zum abrupten Lichtwechsel in ein merkwürdig sphärisches Türkis, anstatt des erwarteten Blackouts zum scheinbaren Höhepunkt, der keiner ist. Die angedeutete Öffnung in eine, noch offene und undefinierte Sphäre….

Hier regiert das Kalkül, wird mit der erwartbaren muskulären Kraft und Erschöpfung der Protagonisten manipuliert. Alle Fragen, die doch auch hätten entstehen können, lösen sich bei weiten Teilen des Publikums in jubelndem Applaus auf, – manche bleiben still.

Kreutzer erschöpft ihren Körper während dieser zweiundzwanzig Minuten ohne innere Erregung und Betroffenheit in den Vordergrund zu rücken. Das öffnet vielleicht bei manchem innere Räume für die im Raum bebenden Schwingungen aus Ton und Bewegung, behauptet aber auch gleichzeitig Abstand zum Gegenstand der Konzeptidee von RESTRAINT.

Interessant? JA-NEIN-VIELLEICHT – Berührend? NEIN – Abgeschkossen? – NEIN-JA-VIELLEICHT

RESTRAINT_Lina-Gomez©TANZweb.org_Klaus-Dilger

RESTRAINT_Lina-Gomez©TANZweb.org_Klaus-Dilger