Unsere Videoimpressionen

Was übrig bleibt…

… von „Café Müller“ im Rahmen des Club Amour Abends von Boris Charmatz

von Klaus Dilger

Melanie Suchy hat für uns den Abend besprochen und gelangt zum fragenden Fazit : „Vielleicht ist es Zeit, das Café abzuschließen“ (HIER geht es zur Nachtkritik). Daher, ergänzend zum Aspekt der eigenen Eindrücke für das Publikum durch unsere Videoimpressionen, ein paar Gedanken zur ablesbaren Entwicklung des Tanztheaters Wuppertal:

Jeder Interpret bringt eine neue Farbe in ein Stück ein und dies ist gut so, aber nicht jeder neue Fassadenanstrich passt zu jedem Gebäude. Tanzkunst lebt von der Architektur, dem Echoraum, der Resonanz, der Vielschichtigkeit, der Ausführung, Umsetzung, Interpretation, Timing und Können der Protagonisten und Protagonistinnen, die deren Werke immer wieder neu lebendig werden lassen und sie erlangt Bedeutung und Gravität durch das Zusammenspiel aller Ebenen, Raum, Licht, Ton und Vieles mehr. Dies gilt selbst in der Meisterschaft der Choreografie und Inszenierung von Tanztheaterstücken, wie sie Pina Bausch in den allermeisten ihrer Stücke bewiesen hat. Dieses Zusammenspiel auf den Bühnen (und wo auch immer aufgeführt wird) mag immer wieder wie ein kleines Wunder anmuten, basiert aber auf sehr viel Arbeit, gepaart mit Können und den Strukturen, die dieses „Wunder“ bewirken.

Manche Künstlerinnen und Künstler haben verfügt, dass ihre Werke nach ihrem Tod nicht mehr aufgeführt werden sollen, mitunter auch, weil sie selbst in oben genannte Qualitäten dann nicht mehr gestalterisch verantwortlich eingreifen können.

Lange hat es so ausgesehen, als wäre es ein absoluter Glücksfall, dass in Wuppertal die Mitgestalterinnen und Mitgestalter der Pina Bausch Werke nach dem Tod der Choreografin das Heft in die Hand genommen haben und die Werke immer wieder neu beleben und an nachfolgende Generationen erfolgreich und behutsam weitergeben konnten.

Warum scheint das nicht mehr zu funktionieren?

Liegt es daran, dass dem neuen Intendanten, dem Franzosen Boris Charmatz, diese Weitergabe „zu langsam, zu schwer, zu deutsch ist“ („c’est trop lente, trop lourde, c’est à l’allemand“), wie er in Montpellier auf einem Diskussionspodium von sich gab? (Wir berichteten HIER). Hinterlassen solche Äusserungen Spuren bei der Probeleitung oder gar in den strukturellen Bedingungen der Wiedereinstudierung? Liegt es im Fall von „Café Müller“ daran, dass der Intendant der ganz offensichtlich irrigen Meinung zu sein scheint, dass dieses Signaturstück Jede und Jeder der Compagnie tanzen kann und soll und im Eventmodus sogar mehrmals hintereinander (Look as much as you can…)?

Wann ist auch für Salomon Bausch die qualitative Schmerzgrenze erreicht?

Der Erbe und Rechteverwalter der Bausch-Werke, die übergeführt wurden in die öffentlich geförderte Pina Bausch Stiftung, hat sich anlässlich von „40 Jahre Café Müller“ zu Recht sehr offen und positiv für Experimente gezeigt (HIER geht es zu seiner Eröffnungsrede), aber eben auch das Kriterium der Qualität hervorgehoben, das für ihn und die Stiftung von grosser Wichtigkeit seien. Pina Bausch war zu Lebzeiten äusserst wählerisch, wenn es darum ging, ihre Werke an andere Compagnien weiter zu geben. Aus gutem Grund, wie nicht wenige Beispiele zeigen, in denen nach ihrem Tod eine solche Weitergabe erfolgte. Rühmlich dagegen die jüngste Einstudierung  von „Le Sacre du Printemps“ mit dem Berliner Staatsballett, das hierfür über geeignete Interpretinnen und Interpreten verfügte, hervorragende Tänzerinnen und Tänzer, die auch Werke von Naharin, Goecke oder Sharon Eyal zu tanzen vermochten. Blöd nur, dass der neue Berliner Intendant, Christian Spuck, die allermeisten davon bei Amtsantritt entlassen hat und in Folge das Stück, trotz seines 92 köpfigen Ensembles,  nicht mehr getanzt werden kann mangels geeigneter Kräfte hierfür. – Auch hieran lässt sich ablesen, welche Bedeutung dem Können der Interpreten, ihrem täglichen Training und Konditionierung, zukommt, nicht nur im alten Berlin, auch im neuen, für das manche Werbetexter die Stadt an der Wupper ausgeben wollen.

Tantiemen für Aufführungsrechte

Natürlich gibt es für die Foundation auch noch eine andere Interessenlage, als die Verbreitung des Werks der Tanztheater-Ikone, denn deren Arbeit und das Archiv benötigt Gelder, die allein aus der öffentlichen Hand kommend, stets eine Zitterpartie darstellen. Das Berliner Exempel dürfte für die Pina Bausch Foundation einen Verlust darstellen, denn hier geht es nicht nur um die wertvolle Einstudierung, sondern Tantiemen für die Aufführungsrechte des Stückes.

Die Vergabe von Aufführungsrechten an andere Compagnien hat gefühlt in letzter Zeit zugenommen. Das mag natürlich auch dem Alter der Protagonisten der ersten Stunden geschuldet sein, auch im Hinblick auf die Weitergabe des Weiter-Gebens an und durch jüngere Ensemblemitglieder, die es so vielleicht in Wuppertal zu halten gilt, so lange das eben möglich ist.

Die Tantiemen-Thematik spielt selbstverständlich auch für Boris Charmatz eine Rolle, wenn er zwei seiner alten Stücke aus den Neunzigern in den Liebes-Club verfrachtet (Club Amour) und auf Reisen schickt, (ebenso vermutlich für alle seine weiteren Stücke) unter dem Label des Tanztheater Wuppertal.

„Sacre“ wurde geopfert…

Wofür, ausser für die Tantiemen und Charmatz‘ Versuch, seine Stücke auf Augenhöhe zu denen einer Pina Bausch zu bringen? Für ein behauptetes spannendes Experiment, um dem, seit Jahren praktizierten, Doppelabend mit „Das Frühlingsopfer“ einen anderen Echoraum gegenüber zu stellen? Dieses Experiment ging nach Meinung unserer Kritikerin (und der anderer Leitmedien der Tanzkritik) deutlich nicht auf. Vielleicht aber wäre das Tanztheater Wuppertal, siehe Beispiel Staatsballett Berlin, derzeit personell gar nicht mehr in der Lage das anspruchsvolle Stück auf dem erforderlich hohem Niveau zu tanzen? Und das zum 50jährigen Bestehen des Ensembles in Wuppertal?

Spärlicher Applaus…

des Premierenpublikums, gemessen am Wuppertaler Standart

Um präziser zu sein: es war der spärlichste Applaus, den der Rezensent in den letzten 35 Jahren in Wuppertal für eine Aufführung des Tanztheaters jemals erleben durfte. Zu Recht, auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass die routinemäßigen „Standing Ovations“ bei Weitem nicht immer verdient wurden.

„… Es ist ein Versuch: den Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheaters Wuppertal, die diese Stücke noch nicht interpretiert haben, die Möglichkeit geben, sich mit der spröden Subtilität von Café Müller und der ungezügelten Radikalität von Aatt enen tionon auseinanderzusetzen und dieses Duo aus dem Stück herses (une lente introduction) mit in vollkommener Vereinigung ineinander verschlungenen Körpern zu präsentieren. Es soll ein lebendiger Abend sein: Purcell trifft auf PJ Harvey, die zeitlosen Kostüme von Café Müller stehen im Kontrast zur Nacktheit von Aattt enen tionon, die drei Stücke werden das Tanztheater Wuppertal 2024 in Schwingung versetzen!“ versprach Boris Charmatz in seiner Ankündigung im März 2023

„Vielleicht ist es Zeit, das Café abzuschließen?“…

…hat unsere Kritikerin gefragt. Den Schlüssel haben die Verantwortlichen aus Politik und Findungskommission in die Hände von Boris Charmatz als neuen künstlerischen Leiter gelegt. Nicht für zwei Jahre, auch nicht für fünf Jahre, wie sonst für solche Positionen häufig angewandt, sondern für acht Jahre. – Das ist sehr viel Zeit – vielleicht für das „WUNDER von WupperTAL“?

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger

Café Müller_nach Pina Bausch©TANZweb.org_Klaus Dilger