Viele bewegen

Das Polnische Tanztheater und Bodytalk zeigen „Solidaritot / Solidarnoc“

im Theater im Pumpenhaus in Münster

Kurze Nachtkritik von Melanie Suchy

Der Tanz ist für die Träume da. Für die lieblich-friedlichen, für die wilden, für diejenigen voller Furcht, Ekel, voller Lust, Sex, Chaos, Kampf, für die von Freiheit und vom guten Leben. Deshalb wünschen die Tanztheaterkünstler mit diesem Titel erst einmal eine gute Nacht, nein: eine Solidar-noc, Solidar-Nacht. Die deutsche Übersetzung des wortspielenden Titels ist fieser: Solidaritot. Als sei sie zuende und begraben, die Sache mit der Solidarität oder der Gewerkschaft Solidarnosc. Und als geistere sie nun durch Alp- und Wunschträume. Ein Gespenst zwischen den Meinungsfronten.

Das Künstlerteam von Bodytalk, Yoshiko Waki und Rolf Baumgart, ansässig in Münster, hat hier zum zweiten Mal, nach dem preisgekrönten „Jewrope“, mit dem Polnischen Tanztheater aus Poznan kooperiert und mit deren dreizehn Tänzerinnen und Tänzern an dem geschichtsträchtigen Thema der „Solidarität“ gebohrt und gebaut. Sie haben das einstündige Stück, das jetzt im Theater im Pumpenhaus Premiere hatte, hoffnungsfroh – oder verzweifelt – überladen. Irgendwie nämlich geht es um das Polen der letzten fast vierzig Jahre und heute, und die „Solidarität“ verliert sich dabei zunehmend. Wie in der Realität.

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski

Breit stapeln

Das beständige Element des Stückes sind die vielen grünen Bierkisten, die Mirek Kaczmarek beigesteuert hat. Mit ihnen stellen die Tänzer den ständigen Wandel dar, von sich flugs aufbauenden Treppen, einem Weg-Steg, der sozusagen beim Gehen entsteht, einem Türmchen, einer lückenhaften Mauer, über Fabrikarbeitssymbole bis zum Stuhlkreis und Abendmahltisch. Dass die Kästen beschriftet sind mit „LECH“, ist ein passender Witz zum Anlass: der Streik und die Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc 1980 in Danzig. Lech Walesa war der Anführer, wurde zum Helden ernannt, war später Präsident und Nobelpreisträger. „Solidaritot“ stellt jedoch zu Beginn die andere Geschichte ins Licht: kurze Texte der damaligen Kranführerin Anna Walentynowicz, wegen deren Entlassung sich der Streik formierte. Eine der Tänzerinnen ruft sie von ihrem Bierkistenturm aus ins Publikum. Ihre Kollegen berichten, als sie selber, wie wenig sie darüber im Geschichtsunterricht in der Schule gelernt hatten. Oder dass die Autorin lügt. Dass man sowieso nicht genau wissen könne, was genau damals passiert ist. Da schaudert es die deutsche Zuschauerin. Ohne also in direkter Weise die heutige polnische Regierungspolitik und –ideologie zu erwähnen oder gar zu kritisieren, deutet das Stück an, welches Klima sie schafft.

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski

SOLIDARITOT Rehasal Fotos Solidalitot von Maciej Zakrzewski