photos: klaus dilger

Artikel für Tanzwebkoeln.de
Melanie Suchy, 30.11.2012
Häutungen

In der Alten Feuerwache gastierte die Kompanie Irene K. aus Aachen und Eupen mit einer deutschen Erstaufführung

„Hungry“ hieß das Stück der Choreographin Irene Kalbusch, doch statt dass es Appetit machte, wünschte man sich nach einer Weile nur noch, dass das ewige Geraschel ein Ende haben würde. Die vier Tänzerinnen und der eine Tänzer trugen bodenlange Röcke aus Plastikfolie, meistens jedenfalls. Einmal gibt es sogar eine Art Hochzeits- oder Königinnenkleid aus dem feinen hellen Material, dieser falschen Seide, auch Schleppen, Schals und Schleier. Daran ziehen und knautschen sie, wickeln sich ein und aus. Auch ihre Oberkörper entkleiden sie manchmal. An der Bühnenseite hängen halbdurchsichtige längliche Cocons aus gebogenem Draht und: Plastikfolie. Hohl und leicht, als hätten sie einst die Eier von fliegenden Riesenfischen geborgen. Auf dem Boden liegt irgendwann auch so ein Gefäß, eine Herberge, in die natürlich dann auch die Tänzer kriechen, mal rein, mal raus. Ja, so ist die Natur. Wenn es welche wäre.

Konservieren

Denn das Programmheft des Abends spricht von beidem: von Natürlichkeit, von Metamorphosen, also Veränderungen im Sinne von Verpuppung-Entpuppung, von „Hunger nach Leben“; und auch von „Reflektion über das Material“. Die feinen Cocons hat der Bildende Künstler Werner Bitzigeio aus der Eifel geschaffen. Sie wirken zerbrechlich, unantastbar, geheimnisvoll, zauberhaft. Die exquisite Lichtgestaltung von Jean Louis Gille mit ihren Orange- und Blautönen tut das Ihrige zum schönen Schein. Wenn sich aber die Tänzer bei Auf- und Abtritten ihnen vorbei zwängen, verkommen die Gebilde zur Bühnenmöblierung. Dass Plastikfolie ein Erdölprodukt ist und als Müll die Umwelt verschmutzt, kommt in den „Reflektionen“ des Stückes aber nicht vor. Oder der Gedanke, damit verderbliches Fleisch frisch zu halten? Irene Kalbusch meint „Hungry“ im Sinne von Unzufriedenheit, von „Wollen und Begehren“, schreibt sie. Nur erkennt man das kaum im Bühnengeschehen, das allzu oft das interessante Bild zu suchen scheint, als Veränderungen oder Verwandlungen irgendwie plausibel darzustellen.

Zunächst sind die Tänzer alle gleich in den Kostümen von Sabine Kreiter: mit Raschelrock, weißem T-Shirt und Kapuze. Sie laufen in Trippelschritten, was wie ein Gleiten aussieht und an japanisches Theater erinnert. Sie tanzen ein paar laue Schwünge unisono, sie knubbeln sich zu einem Haufen, recken die Arme, schneiden Grimassen, zischen zähnezeigend, eine Kollegin bleibt draußen. Sie spreizen und biegen die Finger und knicken die Arme ruckartig in verschiedene Richtungen, was ein bisschen tierhaft aussieht. Später versinken sie in den Raschelröcken, so dass oben nur Haare, dann Köpfe herausschauen. Das ist so putzig, dass man sich fragt, ob sich „Hungry“ eigentlich an Kinder richtet. Auch die langen roten Handschuhe, die sie sich mal über alle vier Extremitäten ziehen, ergeben bloß ein niedliches Bild von seltsamen herumkullernden Vierbeinern. Soll das der Hunger nach Regression sein?

Fettarm

Einmal tritt ein erwachsenes Paar auf, Hiroshi Wakamatsu und Masami Sakurai, majestätisch, wie aus einer alten Welt. Als sie die Distanz zwischen sich verringern, kommen sie aber nicht richtig zusammen, denn die Frau trampelt auf dem ausgebreiteten Rock des Mannes herum und stellt sich schließlich auf seinen Rücken. Sieht gemein aus, aber vielleicht ist beider „Wollen und Begehren“ genau das? Vieles bleibt so unklar, die Szenenwechsel so willkürlich, dass einem das Geschehen dann auch gleichgültig wird. Nur als sich einmal eine Tänzerin zu den hängenden Cocons hin reckt und eine andere einen Haufen Folie vor ihren Bauch drückt, erkennt man: Fruchtbarkeits- und Kinderwunsch. Großes Thema, aber nur mal kurz erwähnt. Warum sich einzelne Tänzerinnen den Oberkörper entblättern, bleibt ein wiederkehrendes Rätsel. Denn sie machen sich nicht „frei“, sondern drehen sich erst vom Publikum weg und verdecken die Brüste mit den Armen. Dann zeigen sie sie doch her und ziepen und drücken an ihnen herum, und, laut Gesichtsausdruck, leiden sie daran (aber nie an Bauch-Beinen-Po), was das Aufreizende an dem Anblick aber nicht verhindern kann. Dazu mal gedehnte, mal hektische Töne im Technotakt, mal etwas Reibendes, Blubbernd, Dängelndes, gegen Ende tiefgelegtes Herzwummern: Die Musik von Pierre Remy und Bernd Thewes vom Band kombiniert solche elektronische mit halbnatürlichen Klängen eines  Klaviers, das mit Tasten gespielt und auf dessen Saiten gezupft wird. So umhüllt der Sound freundlich die biedere Inszenierung.