OFFENER BRIEF AN DEN OBERBÜRGERMEISTER DER STADT KÖLN

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jürgen Roters,

wir wenden uns heute in letzter Konsequenz an Sie als den obersten Leiter der Verwaltung , der zugleich Vorsitzender des Rates der Stadt Köln ist und somit der erste Bürger unserer Stadt. In Ihrer Person ruht die Hoffnung, entstandene Widersprüche auf einen Lösungsweg zu bringen.

Wir möchten hierbei gerne auf die einleitenden Worte „Wir wissen wohl um die angespannte Haushaltslage…“ verzichten, denn der Wohlstand und die Zukunftsfähigkeit einer Stadt hängen letztlich nicht allein vom Geld, sondern vom kreativen und weitsichtigen Umgang mit den Potenzialen und Ressourcen derselben ab.

Wenn wir uns also heute an Sie wenden, dann tun wir dies nicht als Bittsteller, sondern als Teil des kreativen Potenzials dieser Stadt, deren Gegenwart und Zukunft wir mithelfen wollen so zu gestalten, dass die hier lebenden Menschen allen Alters und jedweder Herkunft aber insbesondere auch die nachwachsenden Generationen aller Kulturen, die nicht zu den Wohlhabenden zählen, einen Zugang zu dem finden, was Leben über die reine Existenz hinaus ausmacht. Nur wer diesen Zugang findet, wird sich aus eigenem Antrieb heraus eine Perspektive für seine Gegenwart und Zukunft über die Sicherung des Existenzminimums hinaus erarbeiten; wird lähmende Resignation und Depression überwinden, die als Bedrohung nicht nur in Köln, sondern in vielen Zentren Europas die Zukunft der Gesellschaften gefährden.

SCHLÜSSELSTELLUNG FÜR DEN TANZ BEI DER BEWÄLTIGUNG UNSERER ZUKUNFTSAUFGABEN

Die Krise einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik ist weltweit spürbar und wird sich wohl noch verstärken. Ob unsere Gesellschaften diese Krisen überwinden werden, hängt dauerhaft nicht von einem stetig wieder einsetzen müssenden Wachstum ab, sondern nachhaltig von der Identifikationsfähigkeit der Menschen mit einem sozialen Gebilde, um Solidarität entwickeln und leben zu können. Die Grundvoraussetzung hierfür ist die Identität(sfindung) eines jeden Einzelnen dieses sozialen Gebildes. Zu finden und zu wissen, wer wir sind, ist die Herausforderung der Gegenwart.
Zu Beginn der neunziger Jahre begann eine der grössten kulturellen Revolutionen der Neuzeit durch die Erschaffung virtueller Realitäten und den Zugang hierzu mit Hilfe des WorldWideWeb. Unsere gesellschaftliche und individuelle Realität haben sich gravierend verändert. Im Rahmen einer virtuellen, weltweiten Informationsgesellschaft, in der wir uns frei und grenzenlos bewegen und in der wir nach Belieben Identitäten annehmen und wieder ablegen können, in der wir uns austauschen und einbringen können, in der wir eine wirkliche oder scheinbare globale Relevanz erfahren dürfen, bekommt die Frage nach unserem Sein und unserer Identität, die über die bloße Existenz hinausgeht eine neue Bedeutung. Dies erfordert auch einen künstlerischen Diskurs den der Tanz in besonderem Maße beflügelt und befeuert, um Antworten auf diese Revolution zu finden.

HANDLUNGSGERÜST WURDE GEBAUT

Wir sind es leid, dass die ehrenamtlich sich aufopfernden Kulturpolitiker, die den Ausschuss Kunst und Kultur bilden, sich ebensolchen Politikern des Sozialausschusses gegenüber sehen, die nur noch Löcher stopfen, anstatt gemeinsam Zukunft zu gestalten, unisono mit den Finanz- und Wirtschaftspolitikern. – Verantwortliche Politik denkt nicht in Gegensätzen.

Vor nicht einmal vier Jahren hat der Rat der Stadt Köln in einem solchermaßen verantwortlichen Schritt für die Gestaltung der Zukunft unserer Stadtgesellschaft (und nicht für deren Ausschmückung), gemeinsam den KULTURENTWICKLUNGSPLAN KÖLN verabschiedet.
In diesem Leitbild sind nicht nur Maßnahmen und Ziele formuliert, deren Umsetzung, Erreichung und Weiterentwicklung der Verwaltung quasi als Aufgabenprotokoll ihrer Vorlagen für eine solche Kulturpolitik mit auf den Weg gegeben wurde. Diese Charta sollte das Handlungsgerüst einer nachhaltigen Kulturpolitik werden.

EINLADUNG UND AUFFORDERUNG AN DIE BÜRGER. – WIR SIND EIN TEIL DAVON!

Gleichzeitig stellte diese Zielvereinbarung aller Bürgervertreter im Rat für die gesamte Bürgerschaft und weit über die Stadtgrenzen hinaus eine Einladung dar, sich an der Verwirklichung dieses Plans zu beteiligen und sich zu engagieren.

Dies ist auch geschehen, insbesondere im und für den Tanz, der wie keine andere Kunstsparte in der Stadt unter katastrophalen Entwicklungen und Entscheidungen der Vergangenheit zu leiden und zu kämpfen hat: Die Künstler haben sich vor zweieinhalb Jahren zusammen geschlossen, effiziente Strukturen geschaffen, die auch die Trennung zwischen etablierter und freier Tanzkunst überwindet. Ein international anerkannter und ausgezeichneter TANZ ENTWICKLUNGSPLAN KÖLN (2012-2024) wurde aus der Szene heraus entwickelt, so wie es auch die Fortschreibung des KULTURENTWICKLUNGSPLAN KÖLN vorsieht. Die Marke „tanZkoeln“ wurde geschaffen; in zwei Kölner Tanzkonferenzen wurde der Tanz weiter in die Mitte der Gesellschaft getragen und erste Ankerpunkte gesetzt. Mit der fast einzigartigen Plattform „tanZwebkoeln.de“ wurde der Tanz in und aus Köln international sicht- und greifbar gemacht, erstmals ein entscheidender und wirksamer Schritt zur Publikumsgewinnung vollzogen und damit zusätzlichen Mitteln für die Tanzkünstler geschaffen. Ein ersten gemeinsames Agieren der Tanz-Rhein-Schiene wurde erfolgreich vorangebracht.

DIE BÜRGERSCHAFT WIRD DÜPIERT – DAS GERÜST ABGEBAUT

Welche Unterstützung finden die Bürger und Künstler in ihren Anstrengungen?

Kurz nach der Verabschiedung des KULTURENTWICKLUNGSPLAN KÖLN wurden für den Tanz in 2009 die längst überfälligen Zeichen gesetzt, die auch sofort durch das Land honoriert wurden. Es wurden die Mittel für ein städtisches Tanzensemble und für ein Tanzhaus in den Haushalt eingestellt und zaghafte Verbesserungen für die freie Tanzszene auf den Weg gebracht. Dies war richtig, ja grossartig und entschlossen!
Nicht einmal ein Jahr später begann die Verwaltung den Tanz erneut zu demontieren: sie schaffte es nicht, ein international ausstrahlendes Spitzenensemble an den Bühnen zu installieren, aus den drei Millionen wurde eine Million für Internationale Gastspiele, wieder ein Jahr später wurden sämtliche Mittel für ein Tanzhaus wieder gestrichen, dann die Tanzgastspiele um 30 Prozent gekürzt und jetzt wollte die Verwaltung sie komplett streichen, ebenso wie die beiden wichtigsten Bühnen für die freie Tanzszene, nämlich die Wachsfabrik und die Bühne der Kulturen, und zudem sieht sie eine weitere Förderung der erfolgreichen und einzigartigen Plattform tanZwebkoeln.de nicht mehr vor, die ein Leuchtturmprojekt für ganz NRW hätte werden können und müssen.
Ein ähnliches Desaster kündigt sich für den Bereich der interkulturellen Projekte an.

PLANLOSE ZERSTÖRUNG MUSS GESTOPPT WERDEN

Die Kölner Tanzszene hat durch das tanZbüroköln eine Evaluation zum Tanz erarbeitet (Siehe Anlage), aus der die Fakten zu den Strukturen und Bedingungen der Erarbeitung und Präsentation des Tanzes in und aus Köln deutlich ablesbar sind. Hierin fehlen lediglich die Informationen zur Nutzung der Tanzresidenz in der Venloerstrasse, die mit 58.000€ die bisher weitaus höchste Einzelposition im Rahmen der Bezuschussung der nichtstädtischen Tanzszene darstellt. Diese wurden angefragt, konnten aber bisher nicht beantwortet werden.

Die Evaluation ergab eindeutig, dass die Wachsfabrik in Sürth, die gleichzeitig auch der einzige Ort für den Tanz in Köln ist, der Produktions- und Aufführungsstätte zugleich ist, gemeinsam mit der Bühne der Kulturen in Ehrenfeld 48,5 Prozent aller Tanzpräsentationen der Freien Szene in einer Theaterstruktur präsentieren. Beide Orte haben zudem eine besonders hohe Bedeutung für den künstlerischen Nachwuchs.
Nach dem bisherigen Sachstand sind beide Orte dennoch von der Schliessung bedroht, obwohl dieses Kontingent an Aufführungen und Produktionen von den anderen Spielorten nicht aufgefangen werden kann (Siehe Anlage „Kommentierte Beantwortung der Verwaltung auf eine Anfrage zu den Spielorten im Tanz“). Eine Schliessung ohne geeigneten Ersatz würde de facto einen gravierenden und negativen Einschnitt für das bisherige Tanzschaffen der Stadt bedeuten.

Gefährdet würden damit auch die Entwürfe, die aus der Tanzszene heraus für ein MittelzentrumTanZköln (MZTK) entwickelt wurden und die nicht nur diesen beiden Bühnen ein neues Tanzprofil verleihen würden, sondern den Tanz in und aus Köln einen grossen Schritt der nationalen und internationalen Bedeutung näher bringen würde. (Siehe Anlage „Entwurf MittelzentrumTanZköln“). Voraussetzung hierfür wären nicht einmal die Zusetzung neuer Mittel, sondern die Rücknahme der Streichungen für die Bühne der Kulturen, die gemeinsam mit dem tanZbüroköln den Entwurf einer neuen Ausrichtung des Hauses vorgelegt hat (Siehe Anlage: „Neuausrichtung Bühne der Kulturen) und die weitere Verwendung der Mittel, die nach der Abmietung zum 31.7.2013 aus den bisherigen Mietzuschüssen für BarnesCrossing/Wachsfabrik in die Transferleistungen TANZ übertragen wurden, als Mietzuschuss für die Wachsfabrik bis zum Ende 2014.

Gefährdet würde auch die Bindung und Fortsetzung der Arbeit von Gerda König und der DIN A13 tanzcompany an Köln. 1995 gegründet, ist sie international eines der wenigen Tanzensembles, deren Mitglieder sich aus Tänzern mit unterschiedlichen Körperlichkeiten zusammensetzt.
Seit 2005 entstanden in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut Koproduktionen mit regionalen und internationalen Künstlern in Äthiopien, Südafrika, Brasilien, USA, Kenia, Ghana, dem Senegal, Sri Lanka und aktuell Venezuela.
Durch die kontinuierliche künstlerische wie vielschichtige konzeptuelle Entwicklung gehört DIN A 13 tanzcompany zu einem der führenden mixed-abled Tanzensembles weltweit.
In Deutschland ist die Arbeit der Kompanie einzigartig.

Gefährdet wäre dadurch auch die für November 2013 geplante Präsentation im Rahmen des Konzeps „Umbruch“, die 3. Produktion aus Israel, die ihren Probenzeitraum und Premiere in Barnes Crossing feiern sollte.
Abschließend sollten im Mai 2014 alle 3 Produktionen, die u.A. vom Goethe Institut gefördert sind, in Köln im Rahmen des Projekts eine finale, sinnlich sparten-übergreifende Installation ausgewählter Szenen der Choreographien in Beziehung zueinander und zu den in Auftrag gegeben Videoproduktionen gesetzt werden. Diese multimediale Tanztheater-Inszenierung sollte als letzte Station des Projekts die künstlerische Gesamtkomposition vollenden.
Hierbei werden 15 TänzerInnen mit und ohne Behinderung beteiligt sein
Zu beiden Projektabschnitten sind zusätzliche Schulveranstaltungen und Projekte vorgesehen, bei denen wir mit einer Beteiligung von 300 Jugendlichen mit und ohne Behinderung ausgehen.

Gefährdet wäre auch die Neuausrichtung des Arkadas Theaters – Bühne der Kulturen, die verstärkt mit grenzüberschreitenden Formaten und Workshops in Zusammenarbeit mit dem tanZbüroköln, weitergehende Formen der Performancekunst bis hin zu Zusammenarbeiten mit dem Nouveau Cirque, Free Running und Parcours in ihre interkulturelle Theater- und Vermittlungsarbeit integrieren will.

KERNSÄTZE UND WESENTLICHE BESTANDTEILE DES KULTURENTWICKLUNGSPLANS KÖLN

Mit der Zerstörung dieser bestehenden Strukturen, die ohnedies im Tanz und in der Interkultur äusserst rar sind in Köln, würde die Verwaltung in diesen Bereichen auch den Kern und die Basis des Kulturentwicklungsplanes angreifen.

Das Vertrauen und die Mitarbeit der Bürger und im Speziellen der Künstler unter ihnen würden nachhaltig beschädigt.

Weder Politik noch Verwaltung können die Herausforderung der Gegenwart für die Gestaltung der Zukunft ohne die Bürger und die Künstler unter ihnen bewältigen.

Bitte wenden Sie sich nicht von Ihrer besonderen Rolle und Verantwortung als erster Bürger ab, Herr Roters, bitte greifen Sie ein und handeln.
Lassen sie uns zusammen daran arbeiten, dass Phantasie, Visionen und geistiger Reichtum die Basis unserer Stadtgesellschaft werden.

gez. am 25.April 2013

tanZbüroköln 
Achim Conrad
Klaus Dilger
-Leitung-

BarnesCrossing e.V.
Daniel Hoernemann
Gerda König
Barbara Fuchs
Ilona Paszty
Kristòf Szabò
Sonja Franken
Jennifer Hoernemann

Bühne der Kulturen
Mahmut Canbay
– Intendant –

KunstSalonStiftung    
Andreas Schmitz
– Vorstand –

BUNDESVERBAND FÜR
INTERKULTURELLE
KULTUR UND BILDUNGS-     
ARBEIT E.V.          
Cafer Cebe
Vorstandsvorsitzender

tanZkoeln e.V.
Andreas Schmitz
– Vorsitzender –