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„AUFREGEND GUT“… FÜR EINE HALBE STUNDE!

– POLITICAL BODIES FEIERTE SOEBEN SEINE NRW PREMIERE IN KÖLN – DAS BAUTURM-THEATER ZU GAST BEI JACK IN THE BOX

von Klaus Dilger

HIER GEHT ES ZUM VIDEO IN VOLLER AUFLÖSUNG!

„Bauturm Theater – aufregend gut“ so heisst es im Logo des Koproduzenten von „POLITICAL BODIES“ von Yolanda Gutiérrez und Jens Dietrich, das soeben in Köln seine NRW Premiere feierte. „Aufregend Gut“ – auf diese knappe Formel liesse sich auch reduzieren, was die Senegalesischen Tänzer und Musiker auf die provisorische Bühne von JACK IN THE BOX in der Vogelsangerstrasse gebracht hatten. Dies gilt zumindest für die erste kraftvolle halbe Stunde, in der es einen spannenden Mix zu entdecken, besser noch aufzuspüren, galt, der scheinbar mühelos archaische Tanzrituale mit Hip Hop und Voguing Elementen verband, die vor allem dann ihre Sogkraft entwickelten, wenn sie auf den kehligen, in Teilen beinahe schon brutalen Franco-Afro-Rap Matadors stiessen.

In diesen ersten dreissig Minuten wurde spürbar, weshalb in den achtziger Jahren rund um Les Halles und das Centre Pompidou selbst in Paris soetwas wie eine „Beunruhigung“ von diesen „neuen urbanen Tanzbewegungen“ der dort auf den Plätzen agierenden, meisst schwarzen Jugendlichen ausgingen und die mit der Gruppe BlackBlancBeur bald schon „hoffähig“ gemacht und „verbürgerlicht“ werden sollte, um so jeden Schrecken und revolutionäres Potential zu verlieren.

Diese Erinnerung und vor allem an die Mechanismen, wie schnell sich revolutionäre Kraft verbraucht, wird sie erst einmal von der Strasse weggeholt und zum lebenden Ausstellungsstück gemacht, beschlichen den Betrachter noch ehe die halbe Zeit der Vorstellung vorrüber war.

Politisches Tanztheater ist in der Domstadt selten zu sehen und so ist es hierzulande kaum fassbar, dass die Massenproteste in Senegal im Jahr 2011 angeführt wurden von bekannten Künstlern und Intellektuellen, die die Bürgerbewegung „Y’en a marre“ ( – eigentlich von  „J’en ai marre“ – deutsch: „Mir reicht’s!“) mitbegründeten, die sich gegen die politischen Missstände im Land richtete. Protagonisten waren u.a. Rapper und Breakdancer, die auf öffentlichen Plätzen eine massenwirksame Protestform kreierten, die sie „Urban Poetry Guerilla“ nannten.

Dass sich diese politische Dimmension nicht ohne Weiteres in die Theaterhäuser transportieren lässt und seien sie noch so konträr zu den bürgerlichen Musentempeln, mussten zumindest gestern die Gestalter Yolanda Gutiérrez (Choregraphie) und Jens Dietrich (Dramaturgie) in Köln machen. Vollkommen unverständlich im Nachhinein, weshalb hier ein „klassischer“ Theaterkontext gewählt wurde und das Publikum auf Sitzreihen fixiert, als sozusagen „vierte Wand“ agieren musste. Und: Noch selten ist eine kraftvolle Anlage und Aussage besser geworden, indem das Ganze, Einlage um Einlage, oder auch neudeutsch  Showpart um Showpart, gestreckt wurde, wohl in der vorauseilenden Erfüllung, „Political Bodies“ müsse auf „abendfüllende Länge“ angelegt werden?

In Hamburg wurde die Präsentation von „Political Bodies“ als Demonstration in den Rahmen einer zweitägigen Veranstaltung von Symposien, Workshops und Diskussionen rund um den HipHop auf Kampnagel eingebettet. Wohl zu Recht.

Die Musiker MATADOR,  DJ Zen Jefferso und die Tänzer Baidy Ba, B-Boy Abdallah, B-Boy Ben-J, Papa Sangone Vieira, Lamine Diagne wurden vom Kölner Publikum für ihre physische Leistung gefeiert.

Wer eine Ahnung davon oder gar die Hoffnung mitnehmen wollte, dass der revolutionäre oder auch nur politische Funke „Senegals 2011“ von den tanzenden Körpern auf  unsere Gesellschaft überspringen könnte, wurde desillusioniert nach Hause geschickt.

Aber: Vielleicht steckt ja auch bereits eine Kraft in der Erkenntnis, dass sich ein authentisches Werk oder künstlerisch politisches Anliegen nur in seinem schöpferischen Kontext und im energetischen Fluss der Strasse und im Spiegel des „wirklichen“ Volkes fernab der Theatersitze entfalten kann und dass „Theaterproduktionen“, wie sie hier gezeigt wurden, nur eine Oberfläche transportieren können? – Oder in der Beobachtung, dass beinahe jeder der Videoclips auf YouTube zu POLITICAL BODIES mehr von dem verändernden Potential zu vermitteln mag, als dieses Bühnenkonstrukt?

Dennoch: ein grosses Lob an das Kölner Theater im Bauturm, sich als Koproduzent eines politisch motivierten Tanztheaters engagiert zu haben. Hiervon würden wir in Köln gerne mehr Ansätze erleben dürfen.

POLITICAL BODIES –  ist eine Koproduktion der GbR political bodies, Kampnagel Hamburg, Ecole de Sables und Theater im Bauturm. Gefördert im Fonds TURN der Kulturstiftung des Bundes sowie durch das Goethe-Institut Dakar, die Kulturbehörde Hamburg, die Hamburgische Kulturstiftung, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und die Rudolf-Augstein Stiftung. Kooperationspartner: Bruxelles Airlines. Africulturban Senegal