photos: klaus dilger

Festival tanz.tausch nrw berlin Leipzig, 13. – 16. Dezember 2012, Köln, BarnesCrossing – Freiraum für TanzPerformanceKunst

Kreativität des Körpers
Nachtkritik von KLAUS KEIL

Minutenlang dröhnt ein dumpfes Rauschen durch den Raum. Im Halbdunkel bewegen sich zwei Gestalten auf allen Vieren synchron vorwärts. Ihr langsamer Gang dehnt die Leere des Raumes fast ins Unerträgliche. Die Tänzerin São Castro und der Tänzer António Cabrita (ACSC) sind in ihrem Tanzstück „Wasteland“ zu einem Parcours der Bewusstwerdung gestartet, der ihre  Harmonie auf eine harte Probe stellen wird. Sie sehen sich nicht an, sie berühren sich nicht. Es scheint, als würden sie lange nicht wahrnehmen, dass der andere überhaupt existiert. Alle Bewegungen, alle Tanzschritte erfolgen absolut synchron, so, als spiegele sich einer im anderen. Doch langsam setzt ein Veränderungs- und Bewusstseinsprozess ein, der sich in kleinen Bewegungen andeutet, der zu ersten körperlichen Kontakten führt und schließlich in der Konfrontation enden wird.

Wasteland zeigt einen außergewöhnlich feinfühlig choreografierten Prozess des Wandels. Dennoch bleibt das Tanzstück abstrakt und ohne Präzisierung eines Inhaltes, aber es hat ein erkennbares Thema: mit der Sprache des Körpers die Leere zu füllen. Dabei spielen die beiden mit der Lust an der Entdeckung des anderen. Es beginnt mit einem zärtlichen Biss von São Castro in den Arm ihres Partners und schnell entspinnt sich daraus wie bei jungen Hunden ein lustvolles Balgen und Nähern. Dem Wandel der Beziehung folgt auch die Musik, sie wird klarer und Cello oder Bratsche mischen sich ins Rauschen. ACSC haben das Stück gemeinsam choreografiert und dabei zu einer sehr eigenen und hochästhetischen Tanzsprache gefunden, die diese Choreografie auszeichnet. Ein toller Start.

Mit diesem herausragenden Tanzstück hat das Festival tanz.tausch begonnen, das noch bis Sonntagabend jeweils zwei Stücke aus den Bereichen Tanz, Performance und Interaktion zeigen wird. Der tanz.tausch zwischen NRW, Leipzig, Berlin stellt Stücke gegenüber, die auch zum tanzästhetischen und stilistischen Austausch anregen sollen. Dazu finden sich täglich alle Beteiligten zu einem Roundtable und auch die Zuschauer, so hofft man, können jeden Künstler ansprechen oder am Samstag zur Publikumsdiskussion kommen.

hier geht es zum Video „Wasteland“
wasteland tanztausch 2012

Gleich der erste Abend war also ein Volltreffer. Zwei Beiträge vom je entgegengesetzten Pol des Tanzes standen auf dem Programm. Mit „Wasteland“ von ACSC steht ein Stück reinen Tanzes neben „Soft Landing“ von battleROYAL, einer tanztheatralen Performance, die von technischen Effekten lebt. Die Anlage als Doppelabend erweist sich als geschickte Festivaldramaturgie, die forcierend auf alle Gespräche wirkt.

Soeben war man noch eingenommen von der vielfältigen Ausdrucksfähigkeit der Körpersprache, die mit kleinen Bewegungen bis hin zur Ausführung dieser Bewegungen – mal glatt und harmonisch, mal ruppig und hart – ihre unverwechselbaren Aussagen macht, da wird man gleich im nächsten Stück von einer raffinierten Schwebetechnik beeindruckt, die Tänzern Sprünge und Figuren unter Aufhebung der Schwerkraft ermöglicht . In „Soft Landing“ erzählen schwebende Tänzer, die wie menschliche Marionetten von Seilen bewegt werden, von der Zerbrechlichkeit und Isolation älterer Menschen. Eine geradezu schreckliche Vorstellung, in seinen Aktivitäten nur noch auf die Signale der Seile reagieren zu können, und sicher keine Soft-Landung im letzten Lebensabschnitt. Wenn in „Wasteland“ mit der Ausdrucksfähigkeit des Körpers gespielt wird, so zeichnet „Soft Landing“ mit der Passivität der Puppets ein erschreckendes Szenario des Alterns. Das geschieht allerdings mit viel Komik und Slapstick-Situationen im Übergang vom Schweben zum Ankommen wunderbar unterhaltsam. Und da alle Performer die gleiche Maske tragen, sind wir wohl alle damit gemeint. Passivität, die aufrüttelt.