photo: Harald Schröder

Redebeitrag Dieter Buroch (Initiator und ehemaliger Intendant Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt): Zur kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung des Bühnentanzes und der Bedeutung der Kölner Tanzgastspiele
Anlässlich der Protestveranstaltung in Köln EXPO XXI am 14.April 2013

In Frankfurt wurde 2002 aus finanziellen Gründen das Ballett (unter William Forsythe) abgeschafft, das Theater am Turm (als internationale Produktions- und Gastspielbühne) geschlossen und (als Alibi) ein Gastspielprogramm eingeführt, um es nach zwölf Monaten ohne nachvollziehbare Gründe wieder einzustellen.
Es steht mir als Frankfurter also nicht zu, der wunderbaren Stadt Köln in Sachen Tanz irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Ich kenne aber die Folgen von übereilten Kahlschlägen und erlaube mir ein paar Gedanken zu äußern.

Kulturpolitiker als Zukunftsforscher
Es gibt zwei Arten von Kulturpolitikern: 1. Der andauernde Krisenmanager und 2. Der Zukunftsforscher. Der Krisenmanager ist vorwiegend mit Einsparungen befasst, der Zukunftsforscher stellt sich die Fragen: Wie wird sich unsere Gesellschaft, die Kunst, die Wirtschaft und das Freizeitverhalten in den nächsten 20 Jahren verändern und welche Entscheidungen müssen heute dafür getroffen werden?

Für unseren konkreten Fall bedeutet das: Der Krisenmanager muss ein Haushaltloch von T€ 700 stopfen, sucht nach dem Kulturangebot, bei dem der geringste öffentliche und juristische Widerstand zu erwarten ist und setzt dann beherzt den Rotstift an. Die Krise ist bewältigt und die nächste wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.

Der Zukunftsforscher bedenkt die Folgen für die Gesellschaft, das Publikum und die Künstler und stellt fest, dass nicht weniger sondern mehr Geld für den zeitgenössischen Tanz in Köln erforderlich ist, um Zukunftsfähig zu sein:


Dieter Buroch schuf mit Rui Horta S.O.A.P. Dancetheatre in den neunziger Jahren und mit Chrystal Pite’s KIDD PIVOT am Frankfurter Mousonturm freie Tanzensembles in Deutschland, die Weltbedeutung erlangten. – Hier Dark Matter – Kidd Pivot

Der Zukunftsforscher weiß die Deutsche Theaterstruktur mit dem dichten Netz von Stadt und Staatstheatern zu schätzen. Er weiß aber auch, dass wichtige künstlerische Impulse aus dem internationalen Freien Theater kommen und findet Wege, beide Formate sinnvoll zu verbinden.
Mit der Tanzreihe in Köln ist das bereits weitsichtig gelungen und wird von vielen Städten als Anregung diskutiert. Auch die Kulturstiftung des Bundes hat nicht ohne Grund ein Programm aufgelegt, bei dem die Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Freien Theatern unterstützt wird.

Der Zukunftsforscher weiß, dass sich die Darstellende Kunst nicht alleine auf Theater und Schauspiel reduzieren lässt, sondern auch der zeitgenössische Tanz – eine der innovativsten Kunstformen – zwingend einzubinden ist. Deshalb strebt er langfristig ein Produktionszentrum oder Tanzhaus an. Bis dahin aber hält er die Sparte Tanz mit hochkarätigen Gastspielen im Fokus der Öffentlichkeit, die das Angebot dankbar annimmt und eine Widerwahl des Zukunftsforschers in Erwägung zieht.

Der Zukunftsforscher ist nicht nur Visionär, sondern auch ein kühl kalkulierender Unternehmer. Er weiß, dass er mit hochkarätigen Gastspielen, mit vergleichsweise geringen Kosten, sein Theaterangebot für das Publikum wesentlich erweitern und sogar externe Besucher anziehen kann.
Bei der Tanzreihe in Köln wurden nicht nur auswärtige Besucher gesichtet, sondern auch viele Kollegen, die sich über internationale Entwicklungen im Zeitgenössischen Tanz informieren wollten, weil sie das in ihrer Heimatstadt nicht zu sehen bekamen. Gleichzeitig mussten tanzinteressierte Kölner nicht mehr nach Berlin oder Paris fahren.

Crystal Pite / Kidd Pivot Frankfurt RM
„The You Show“ (U.S. Premiere)
Jerome Robbins Theater
Baryshnikov Arts Center
New York, NY
February 23, 2012
Photo Credit: Julieta Cervantes

Dieter Buroch schuf mit Rui Horta S.O.A.P. Dancetheatre in den neunziger Jahren und mit Chrystal Pite’s KIDD PIVOT am Frankfurter Mousonturm freie Tanzensembles in Deutschland, die Weltbedeutung erlangten. – Hier – Kidd Pivot am Baryshnikov Center New York

Der Zukunftsforscher weiß, dass sich auch eine Kulturmetropole wie Köln in einem ständigen Wettbewerb befindet und Alleinstellungsmerkmale schaffen muss.
Außerhalb der wenigen Tanzfestivals finden in Deutschland fast nur noch in Köln großformatige Tanzgastspiele mit Companien wie ROSAS, WIM VANDEKEYBUS, NDT, SIDI LARBI CHERKAOUI statt, weil die großen Produktionen räumlich nicht in die wenigen Gastspielhäuser (wie Tanzhaus NRW, Mousonturm, PACT) passen und von dort auch nicht finanziert werden können.
Der Zukunftsforscher ist stolz auf seine Freien Künstler und plant mittelfristig die Produktionsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Er weiß aber auch, dass Freie Choreografen nicht nur Probe- und Aufführungsmöglichkeiten benötigen, sondern auch Anregungen, Informationen, Netzwerke und Kontakte. Er ist stolz darauf, dass er das mit der Tanzreihe in Köln bereits geschaffen hat.

Der Zukunftsforscher ist ein Gewinner-Typ. Er möchte Köln wieder in der ersten Liga sehen. Nicht nur im Fußball, sondern auch im zeitgenössischen Tanz. Deshalb ist er Hanna Koller so dankbar, die seine Arbeit mit einem großartigen internationalen Gastspielprogramm, mit vergleichsweise geringen Kosten, unterstützt.
Er verhandelt und entscheidet sorgfältig und weitsichtig, weil er weiß: Für Köln ist Hanna Koller der Lucas Podolsky für den zeitgenössischen Tanz.

Dieter Buroch

Dieter Buroch schuf mit Rui Horta S.O.A.P. Dancetheatre in den neunziger Jahren und mit Chrystal Pite’s KIDD PIVOT am Frankfurter Mousonturm freie Tanzensembles in Deutschland, die Weltbedeutung erlangten. – Hier – Kidd Pivot